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Sportausschuss-Vorsitzender
Zweifel an Frank Ullrichs Vergangenheit bleiben

Dem Vorsitzenden des Bundestags-Sportausschusses und früheren Biathleten Frank Ullrich wird seit eineinhalb Jahren vorgeworfen, er sei mehr in das Dopingsystem der DDR verstrickt gewesen als er bisher zugab. Ein angekündigtes Gutachten gab er nie in Auftrag. Nun versucht er, sich mit fremden Dokumenten zu entlasten.

Von Wolf-Sören Treusch |
Frank Ullrich in der 52. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 09.09.2022.
Frank Ullrich (SPD) ist Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Sportausschusses. (IMAGO / Future Image / IMAGO / Jean MW)
„Ich rufe den Tagesordnungspunkt eins auf, es geht um den Antidoping-Bericht der NADA.“
Sportausschuss-Sitzung am 24. Mai dieses Jahres. Mit keinem Wort erwähnt der Vorsitzende Frank Ullrich, SPD, das unabhängige Gutachten in eigener Sache, auf das die Mitglieder schon so lange warten. Ein Jahr zuvor hatte er angekündigt, es in Auftrag zu geben, um die Vorwürfe gegen ihn wegen seiner ungeklärten Doping-Vergangenheit aufzuklären. Auf den ihm zustehenden Posten im Aufsichtsrat der Nationalen Anti-Dopingagentur NADA hatte er deshalb sogar verzichtet. Doch bis heute hat Frank Ullrich kein Gutachten in eigener Sache beauftragt. Philip Krämer von Bündnis 90/Die Grünen, Ullrichs Stellvertreter als Ausschuss-Vorsitzender, ist ernüchtert.

Stellungnahme soll Frank Ullrich entlasten

„Wir sind jetzt mittlerweile 16 Monate nach diesem Sportausschuss, wo angekündigt worden ist, ein eigenes Gutachten in Auftrag zu geben, ein unabhängiges, das ist nicht passiert, natürlich ist das durchaus ein Symbol oder hat eine gewisse Symbolkraft, wie der Vorsitzende des Sportausschusses des deutschen Bundestages mit dieser Thematik umgeht.“
Stattdessen beruft sich Frank Ullrich neuerdings auf eine gutachtliche Stellungnahme, die der Deutsche Skiverband in Auftrag gegeben hatte und die seit wenigen Tagen bekannt ist. Sie würde ihn entlasten von dem Verdacht, als Trainer seinen Athleten wissentlich Dopingmittel verabreicht zu haben. Deshalb sei er „froh und erleichtert“, schreibt der Sportausschuss-Vorsitzende der Deutschen Presseagentur. Es sei, Zitat: „an der Zeit, die Unschuldsvermutung mit Leben zu füllen. Mehr als Aufklären geht nicht.“ Zitat Ende.
„Unfassbar. Dass er diese Dreistigkeit besitzt. Frank Ullrich ist für mich keineswegs entlastet mit diesem Gutachten“, findet Evelyn Zupke, SED-Opferbeauftragte der Bundesregierung. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Steiner habe im Auftrag des Deutschen Skiverbandes lediglich überprüft, ob eine frühere DSV-Kommission zum „DDR-Doping“ einwandfrei gearbeitet habe, als sie 2009 den damaligen Biathlon-Bundestrainer Frank Ullrich entlastete. „Es ist ja ein Gutachten über ein Gutachten quasi, es wurde nicht nochmal in Akten geforscht, es wurden keine neuen Erkenntnisse einbezogen, keine neuen Forschungsergebnisse, überhaupt nichts, es geht ja nur darum, das damalige Gutachten zu bewerten, ist das in irgendeiner Form zu beanstanden?“

Frank Ullrich bringt keinerlei Licht ins Dunkel

Die Antwort darauf gibt Steiner in einer anderthalb Seiten kurzen Expertise. Die Kommission habe damals „mit größtmöglicher Sorgfalt“ gearbeitet. Eine Verstrickung Ullrichs ins DDR-Zwangsdoping neu zu bewerten, ist nicht Teil der DSV-Stellungnahme. SED-Opferbeauftragte Zupke hält es für schwer vorstellbar, dass Frank Ullrich in seiner Zeit als Trainer in der DDR nichts davon gewusst habe. Und sie ist erzürnt darüber, dass der Vorsitzende des Sportausschusses kein bisschen mithilft, Licht ins Dunkel seiner möglichen Doping-Verstrickungen zu bringen. Obwohl er es ihr versprochen hatte.
„Wenn jemand mir ins Gesicht guckt, mir die Hand gibt und sagt, ‚ja Frau Zupke, ich werde zur Aufklärung beitragen, und ich werde mich bei Ihnen melden, ich werde diesen Prozess unterstützen, ich komme auf Sie zu, wenn ich Hilfe brauche, beim Gutachten‘, dann gehe ich erstmal davon aus, dass er das ernst meint.“

Doch geschehen ist bisher nichts

Doch geschehen ist bisher nichts. Noch im Mai schrieb er dem Deutschlandfunk, er sei Zitat: „zuversichtlich, eine geeignete Person jetzt zeitnah finden zu können“. Keine Silbe dazu, warum er es ein Jahr lang nicht geschafft hatte. Und auch jetzt keine Antwort auf die neue Anfrage, ob er ein unabhängiges Gutachten in Auftrag geben werde.
„Also ich habe jegliches Vertrauen da verloren“, fühlt sich Evelyn Zupke getäuscht vom SPD-Politiker.
„Mir zeigt der Prozess der letzten 15 Monate ganz deutlich, oder ich muss davon ausgehen, dass Herr Ullrich seine Zusage, die er damals gegeben hat, wie gesagt nicht nur mir, sondern dem Sportausschuss, überhaupt niemals ernstgemeint hat.“
„Bedauerlich finde ich, dass das Gutachten gar nicht von Frank Ullrich in Auftrag gegeben wurde, sondern vom DSV freiwillig gemacht worden ist“, erklärt jetzt auch Philipp Krämer von den Grünen resigniert. „Für mich ist das Ganze aber, bis wir jetzt irgendwie nicht neue Anhaltspunkte haben, erstmal geklärt.“

Zur Person von Frank Ullrich ist alles gesagt

Auch der sportpolitische Sprecher der FDP, Philipp Hartewig, findet, mangels wesentlicher gegenteiliger Anhaltspunkte sollte zur Person von Frank Ullrich alles gesagt sein. Es sieht nicht danach aus, als würden die Sportausschuss-Mitglieder ihren Vorsitzenden allzu intensiv an sein Versprechen erinnern, aktiv seine mögliche Doping-Vergangenheit aufzuklären. Sogar die Vertreter der Opposition verhalten sich ruhig, die der Regierungskoalition sehen keinen weiteren Handlungsbedarf. Philip Krämer hat sich für den Rest der Legislaturperiode vorgenommen, wenigstens den Opfern des DDR-Zwangsdopings eine Stimme zu geben:
„Die Glaubwürdigkeit des Sportausschusses im Umgang mit den Opfern der SED-Diktatur, insbesondere des SED-Dopingsystems, ist natürlich nicht wiederhergestellt, und wir tun gut daran, gerade vor den ganzen Debatten, die wir in Bezug auf Differenz zwischen Ost-West führen, dass wir uns dieser Thematik nochmal annehmen und hier vielleicht einen Schwerpunkt setzen.“