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"Frankenstein / Homo Deus" am Thalia Theater
Schabernack mit den großen Fragen

Cyborgs und Frankenstein: Jan Bosses neues Stück am Thalia Theater in Hamburg widmet sich dem Thema künstliche Intelligenz - und der Frage, ob wir Menschen unseren Zenit bereits überschritten haben. Dafür bringt er den Horrorklassiker von Mary Shelley mit "Homo Deus" von Yuval Noah Harari zusammen.

Von Eberhard Spreng |
    Der Mensch als Maschine: ein Symbolbild für künstliche Intelligenz aus dem Stück "Frankenstein / Homo Deus"
    In "Frankenstein / Homo Deus" geht es um die Frage: Wird der Mensch bald durch denkende Maschinen ersetzt? (Armin Smailovic)
    Wie in Zeitlupe wabern ein paar Schauspieler in knallgelben ABC-Schutzanzügen und Atemmasken durch das Foyer. Sind das Cyborgs, die sich schützen müssen vor Kontaminationsgefahren, die vom Homo sapiens, vom Publikum im Thaliatheater ausgehen? Das ist in vier Gruppen aufgeteilt. Im ganzen Haus - im Zuschauerraum, im Rangfoyer und auf der abgeteilten Bühne – sind, eine nach der anderen, kleine Szenen zu sehen. Dazwischen: Wartezeiten, Schlangestehen.
    Regisseur Jan Bosse sah für die theatrale Bewältigung einer der größten Herausforderungen der Menschheit wohl keine Chance für eine kohärente Erzählung. So sind es dann doch eher versprengte Ideen, Bilderskizzen, kurze Einblicke in eine gewaltige Materialsammlung, die hier geboten werden. Als Stummfilm präsentiert sich die kurze Geschichte von zwei Cyborgs, die ein gefährliches Menschenreservat besuchen. Anschließend, nunmehr im Rangfoyer, zieht die von Karin Neuhäuser gespielte Putzfrau einem Maschinenmenschen zu Beginn von dessen Vortrag einfach den Stecker und sie stellt sich angesichts der posthumanistischen Revolution drängende ethische Fragen:
    "Was wollen wir werden? Oder angesichts dessen, dass wir schon weit auch unsere Wünsche programmieren können, sollten wir uns vielleicht fragen: Was wollen wir wollen? Wem diese Frage keine Angst macht, der hat sich nicht genügend mit ihr beschäftigt."
    Soziallabor mit etwas plumper Pädagogik
    Wiederum im Saal des Thaliatheaters forschen zwei der putzigen Androiden nach Spuren der menschlichen Existenz im versammelten Publikum und versuchen sie mit diversen kleinen Verhaltenstests zu ermitteln. Ein Soziallabor mit etwas plumper Pädagogik. Dann geht es auf die Bühne, in ein anatomisches Theater, wo Viktor Frankenstein mit seiner Apparatur dem Homunkulus den Lebensfunken einhauchen will.
    "Ihr Geister rings des unbegrenzten Alls,
    die ich gesucht, in Finsternis und Licht,
    beim Fluch, der schwer auf meiner Seele lastet.
    Zwing ich zu meinem Willen euch, erscheint!"
    Zwischen Mary Shelleys Frankenstein und Yuval Noah Harari gibt es tatsächlich eine wichtige, in diesem Theaterabend aber nur angedeutete Verbindung: Es ist eben nicht nur die metaphysische Frage der Verantwortung eines gottgleichen Schöpfermenschen, der sich über die Konsequenzen seiner Forschung keine Gedanken macht. Es ist die simple physische Tatsache, dass es im Kern der elektrische Strom ist, der die Träume vom Maschinenmenschen und der künstlichen Intelligenz befeuerte und immer noch befeuert. Vor Shelleys dystopischer Zukunftsvision von Frankensteins künstlichem Menschen entdeckte Luigi Galvani den Zusammenhang von Muskelkontraktion und elektrischem Reiz, brachte man mit Alessandro Voltas erster Batterie Extremitäten von verstorbenen Tieren und Menschen in Bewegung.
    Strom als sichere und unbegrenzte Ressource
    Auch alle heutigen Visionen von neuronalen Schnittstellen von Mensch und Maschine, in die Tesla, Google, Amazon und andere Konzerne im Silicon Valley derzeit Unsummen investieren, setzen Strom als sichere und quasi unbegrenzte Ressource voraus. Sie alle treibt, wie der israelische Historiker Harari in seinem Bestseller erklärt, der Traum von der Unsterblichkeit um. Wiederum Karin Neuhäuser, unbestreitbar Herzstück im posthumanen Frankenstein-Ensemble am Thalia lobt zu Beginn der letzten Szene:
    "Posthuman zu werden, ist die erstrebenswerteste Metamorphose der gesamten Menschheitsgeschichte, der größte Aufbruch in ein neues Zeitalter. Ich frage sie: Bringt der Homo Sapiens sich um, wenn er zum Homo Deus wird?"
    Kein Weckruf oder Appell an öffentliches Nachdenken
    Zu einer großen, ironiegetränkten Schlussszene versammelt Bosse noch einmal alle Akteure auf einer von Stéphane Laimé gestalteten Phantasiebühne, von deren Schnürboden ein übergroßes Geflecht aus Nervenbahnen- und Zellen herabhängt. Kissenschlacht inklusive treiben die transhumanistischen Übergangswesen da allerlei Schabernack mit den großen Fragen, bis alle mehrfach erschossen sind und sich nicht mehr bewegen.
    Am Ende irrt der einzige verbliebene Cyborg umher wie weiland Frankensteins vaterloses, verlassenes Monster. Aber: Ob wir das wollen oder nicht, Silicon Valleys posthumanistisches Projekt wird unsere Zivilisation wohl tiefgreifend verändern. Angesichts dieser Tatsache ist Bosses lockere Show nicht wirklich ein Weckruf oder Appell an ein öffentliches Nachdenken. Sie kommt ein bisschen zu leichtfertig daher, zu ironisch spöttisch dahingeplaudert.