Frankfurt Hauptbahnhof, die sogenannte "B-Ebene". Ein weitläufiges, unterirdisches Geschoss zwischen Bahnhofshalle und den umliegenden Straßen des Bahnhofsviertels. Fast-Food-Stände, Fahrkartenautomaten, Rolltreppen, die noch weiter unter die Erde auf U-Bahnsteige führen. In einer Ecke durchsuchen sechs Polizisten zwei Männer um die dreißig, deren Hautfarbe auf einen Migrationshintergrund aus dem arabischen Raum schließen lässt. Die beiden Männer müssen den Inhalt ihrer Hosentaschen auf den Boden legen. Ihre Ausweise werden kontrolliert, dann dürfen sie weitergehen. Während die Männer unmittelbar nach ihrer Durchsuchung keine Lust auf ein Gespräch haben, beschreibt eine Frau, die die beiden begleitet, was hier gerade geschehen ist:
"Weil hier viel Leute dealen. Deswegen machen die Routinekontrollen"
Die sogenannte "B-Ebene" im unter dem Bahnhofsvorplatz von Frankfurt am Main ist ein Brennpunkt des Drogenhandels, so Alexander Kießling, Pressesprecher des Frankfurter Polizeipräsidiums. Die Dealer verschwinden hier gerne im Untergrund, wenn sie sich oben im Straßenraum beobachtet fühlen:
"Die B-Ebene ist auch ein Rückzugsgebiet. Die arbeiten ja auch mit einem Frühwarnsystem. Das heißt, man kann an den Aus- und Eingängen natürlich gut Leute positionieren, die Kontakt halten über Handy, über Pfeifton, über irgendwas."
Christoph Schmitt ist sicherheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Römer, dem Rathaus der Mainmetropole. Weil die Dealer-Szene gerade am Hauptbahnhof in den letzten Monaten sichtbar angewachsen ist, hat sich der Rechtsanwalt in das Thema eingearbeitet. Er identifiziert im Bahnhofsviertel drei Gruppen von Dealern:
Es wird mehr auf kleinerem Raum gedealt
"Diese Gruppen haben unterschiedliche nationale Zugehörigkeiten. Es gibt zum Beispiel eine sehr starke marokkanische Szene und eine recht starke albanische Szene. Diese Gruppen sind sehr groß. Nach Erkenntnissen der Landespolizei reden wir da jeweils von Gruppen bis zu achtzig Dealern. Diese Gruppen gehen sehr organisiert vor. Sie gehen arbeitsteilig vor, dass ist übrigens auch eine Veränderung im Vergleich zu früher, sie machen sich selbst keine Konkurrenz mehr, sondern sie haben den Markt aufgeteilt und arbeiten zusammen."
Steigender Verkauf von Crack
Was die Wahrnehmung der Drogenszene befördert: Es wird mehr auf kleinerem Raum gedealt. Denn die Gentrifizierung des Bahnhofsviertels führt dazu, dass die Drogen-Dealer sich in wichtigen Straßen des Viertels nicht mehr wohlfühlen und dichter an den Bahnhof herangerückt sind. Dort wiederum fühlen sich Geschäftsleute und Passanten zunehmend belästigt, bestätigt auch Birgit Ross, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Römer. Die Ärztin verweist auf das seit zweieinhalb Jahrzehnten erfolgreiche "Frankfurter Modell" der Drogenpolitik, einer Mischung aus Prävention, verschiedenen Hilfen für Drogenkranke und dem Bemühen, die negativen Auswirkungen für das soziale Umfeld zu minimieren. Damit bekam Frankfurt in den 90er Jahren vor den anderen deutschen Metropolen sein beträchtliches Drogenproblem halbwegs in den Griff. Birgit Ross sagt:
"Da geht es darum, den Schaden so minimal wie möglich zu halten, und zwar für alle Beteiligen. Für die Drogensüchtigen und eben auch für die Bevölkerung. Und dort im Bahnhofsviertel geht es eben auch um die Leute, die dort ihre Geschäfte haben, die Menschen, die zur Arbeit gehen und einfach nur durchs Bahnhofsviertel laufen. Aber auch für die Menschen, die dort leben. Dort leben auch Familien, und da leben auch Kinder. Und natürlich geht es darum, dass der Einfluss der negativen Situation so niedrig wie möglich gehalten wird."
Schwierigkeiten bereitet aktuell insbesondere der steigende Verkauf von Crack. Diese gefährliche Droge, die auf der Basis von Kokainsalz recht einfach hergestellt werden kann, bringt den Dealern den größten Profit. Insbesondere junge Männer aus nordafrikanischen Staaten verkaufen so viel Crack wie möglich, weil sie damit rechnen, ohnehin irgendwann abgeschoben zu werden. Das beobachtet Polizeisprecher Alexander Kießling:
"Mit Asyl ist es immer schwierig aus den Maghreb-Staaten, eine Anerkennung zu bekommen, fast unmöglich. Das heißt, sie nutzen ihre paar Jahre, die sie hier sind, um etwas für die Heimat zu schaffen. Und leider gehört da auch der Handel mit Drogen dazu, denn der ist ja immer noch sehr lukrativ. Und das Geld wird dann in der Regel irgendwie in die Heimatländer zurückgegeben."
Die jungen Dealer tragen oft nur geringe Mengen Drogen bei sich, wenn sie durchsucht werden. Deshalb können sie meist auch nicht lange inhaftiert werden. Der Polizei fehlen aktuell die Observierungs-Instrumente, um die Hintermänner der Dealer-Szene am Frankfurter Hauptbahnhof zu entdecken. Der CDU-Stadtverordnete Christoph Schmitt sieht hier insbesondere die Justiz in der Pflicht:
"Jetzt haben wir ein Gesetz, das sagt: Wenn Polizei mehr als 24 Stunden observieren möchte, braucht sie einen richterlichen Beschluss, eine Genehmigung. Jetzt ist es sehr schwierig gewesen in den letzten Monaten, diese sogenannten Observationsbeschlüsse zu bekommen. So dass ihnen leider in bestimmten Bereichen die Hände gebunden sind und es ihnen nicht gelingt, die Hintermänner zu ermitteln."
Am Ende einer Rolltreppe, die aus der B-Ebene unter dem Bahnhofsvorplatz nach oben führt, treffe ich später noch einmal die beiden Männer, die zuvor von der Polizei durchsucht wurden. Sie stehen genau da, wo sonst immer wieder die Dealer stehen, und beobachten das, was sich tut:"Es kommen und gehen Leute, wie Ameisen."
Ob sie selbst Drogen verkaufen, verraten sie natürlich nicht. Den Frankfurter Akteuren in der Drogenpolitik geht es aber auch nicht so sehr um die kleinen Dealer. Sondern um diejenigen, die im Hintergrund das große Geld verdienen – am Hauptbahnhof von Frankfurt am Main.