Campus-Kita, Frankfurt am Main, elf Uhr vormittags. Alexander und Melanie - beide zweieinhalb Jahr jung - liegen auf dem Boden kritzeln in große Malblöcke: dicke und dünne Linien, manchmal mit kräftigen Farben, manchmal hauchzart.
"Wir sind jetzt im Betreuungsraum der flexiblen Betreuung, hier werden parallel fünf Kinder betreut." Michaela Rücker, Leiterin der Kita an der FH Frankfurt am Main. "Der Raum ist ausgestattet mit einer Spieleburg, hinten ist ein kleiner Ruhebereich mit noch einer Wickelkommode, ja, die Kinder haben einen guten Ausblick nach draußen auf den Campus, wir haben mehrere Pikler-Spielgeräte hier, auch gegessen wird mit den Kindern hier im Raum".
Pikler-Spielgeräte eröffnen Lernwelten und fördern so die Persönlichkeit der Kleinkinder. Studentinnen der Fachhochschule lassen ihren Nachwuchs in der Campus-Kita betreuen, aber auch Sekretärinnen und Dozentinnen, einige Plätze sind für Kinder reserviert, deren Eltern zwar nichts mit der Fachhochschule zu tun haben, aber unmittelbarer am Campus wohnen. Die Krabbelstube nimmt Mädchen und Jungen im Alter zwischen drei Monaten bis drei Jahren auf, bei der flexiblen Betreuung reicht die Spanne zwischen acht Wochen und zwölf Jahren. Sieben Erzieherinnen kümmern sich um die Kinder, außerdem gehören mehrere Studentinnen zum Team. Das klingt gut, ist aber bei Weitem noch nicht alles, was die Kita zu bieten hat. Zum festen Bestandteil des Konzeptes zählt, dass Dozenten und Studierende Kinder und Betreuerinnen in Forschungsprojekte einbinden – so Ute Schaich, Professorin für "Entwicklung und Bildungsprozesse in der frühen Kindheit" an der FH Frankfurt am Main.
"Es können Beobachtungsstudien durchgeführt werden, so, dass zum Beispiel eine Studierende oder auch eine Professorin hier in der Spielsituation sitzt mit Block und Stift und einfach aufschreibt, was sie sieht und es wird dann hinterher in einer Deutungsgruppe ausgewertet oder es werden auch videografierte Aufzeichnungen gemacht oder es wird durch eine Einwegscheibe etwas beobachtet und hinterher ausgewertet, und das gesamte dient dem Ziel, dass wir die Qualität der Betreuung weiterentwickeln, das ist das große Ziel der Forschung."
Sinnliches Verständnis für die Umwelt schärfen
Ein Ziel, das vor dem Hintergrund der in den letzten 18 Monaten massenhaft aus dem Boden gestampfter Kitas immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es reiche einfach nicht, die Zahl der Betreuungsplätze nach oben zu treiben, gleichzeitig aber die vielen Erzieherinnen und viel zu wenigen Erzieher nach veralteten Betreuungskonzepten arbeiten zu lassen. Dies betreffe, so Schaich, die Beziehung zwischen Jungen und Mädchen sowie die Vermittlung von Wissen.
"Wir möchten zum Beispiel gerne beobachten, wie Mädchen und Jungen sich unterschiedlich verhalten im Spielgeschehen, oder wir möchten gerne beobachten, wie Mädchen und Jungen unterschiedlich naturwissenschaftliche Entdeckungen machen, also zum Beispiel, wie sie sich im Alltag unterschiedlich naturwissenschaftlichen und mathematischen Themen nähern."
Für Fragestellungen rund um Naturwissenschaft und Technik bietet die Kita gleich drei kindgerechte Bastel- und Experimentierräume mit jeweils unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Die Kinder können wählen zwischen einem Naturforscherlabor, einem Kreativraum und einem großen Architektur-, Technik- und Physikraum.
"Und in diesem großen Technikraum gibt es ganz viele Materialien, die zum Forschen und Entdecken und Experimentieren einladen." Sophia Renz-Rathfelder, Pädagogische Leiterin der Lernwerkstätten. "Zum Beispiel gibt es verschiedene Bälle für die ganz Kleinen, die sind alle gleich groß, bestehen aber aus verschiedenen Materialien, haben unterschiedliche Oberflächen, und die Kleinen lernen durch Erfahrung, dass ein Ball ganzunterschiedliche gestaltet sein kann, ein ganz unterschiedliches Gewicht haben kann."
Basiserfahrungen vermittelt die Kita, das sinnliche Verständnis für die Umwelt wird geschärft. Ausgesprochen beliebt bei den Kleinen ist aber auch der Kreativraum.
"Das ist Raum, da kann ganz kreativ zum Beispiel ein Boot gestaltet werden, oder sie haben Staffeleien, da kann, ja, künstlerisch etwas gestaltet werden."
Und noch ein weiteres Feld behandelt die Forschungskita: die Inklusion. Mit der Ratifizierung eines UN-Abkommens im Jahre 2009 hat die Bundesrepublik Deutschland alle Rechte von Menschen mit Behinderung und deren gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben bestätigt. Das bezieht sich keineswegs nur auf Schulen, sondern auch auf Kindertagesstätten.
"Unser Ziel ist es, dass wir eben durch diese Beobachtungsstudien auch weiterkommen im Hinblick auf die Frage, wie Entwicklungs- und Bildungsprozesse gefördert werden können bei Kindern unterschiedlicher kultureller ethnischer Zugehörigkeit, Gender, Behinderung, Nicht-Behinderung."
Transparente Forschungsarbeit
Dabei gehe es nicht nur um eine bessere Vorbereitung auf die Schule – also um Leistung – für die Leiterin der Kita, Michaela Rücker, hat Spielen, Malen und Experimentieren eine tiefere Dimension. Es sind Formen kindlicher Kommunikation. Und weil diese Formen so vielfältig sind, sprechen Kleinkindpädagogen auch von den "100 Sprachen der Kinder".
"Die Kinder drücken sich in unterschiedlichsten Formen oder auch Farben und Materialien aus wenn man sie lässt, da kann man ganz deutlich erkennen, was die Kinder einem Mitteilen wollen, selbst wenn sie noch nicht mit uns sprachlich kommunizieren können."
Was geduldiges Beobachten voraussetzt, tagelang, manchmal wochenlang - die Campus-Kita der FH Frankfurt am Main bietet dafür ideale Voraussetzungen. Allerdings nur, wenn die Eltern einverstanden sind. Damit es erst gar nicht zu Komplikationen kommt, sind die betroffenen Mütter und Väter jederzeit über den Stand der Forschungsprojekte informiert.
"Dazu soll zum Beispiel gehören, dass die Forschung von Anfang an sehr transparent ist in Bezug auf die Inhalte und Methoden, eventuell auch Finanzierungsquellen, und das wirklich das Forschungsdesign klar bekannt wird und auch die Theorien der Auswertung!"