Eine Kita-Gruppe tollt schon über die neue Gasse. Zwischen dem Kunstmuseum Schirn und den ersten Rohbauten der Altstadt-Rekonstruktion von Frankfurt am Main ist ein enger Weg entstanden, der die frühere Atmosphäre der Gassen wieder lebendig machen soll. Am Bauzaun hängen Plakate, auf denen Fachwerk-Häuser mit spitzen Giebeln zu sehen sind. Daneben Texte, die den Passanten erklären, dass hier die Stadt Frankfurt am Main bis 2017 für rund 100 Millionen Euro ein Stück ihrer im Krieg zerstörten Altstadt wiedererstehen lässt. Einige Baustellen-Touristen schieben sich durch die enge Gasse und blicken interessiert auf die Rohbauten. Tarko Hölzel zum Beispiel reist regelmäßig aus dem nahegelegenen Taunus an, um nachzuschauen, wie es hier vorangeht.
"Wenn es fertig wird, dann sieht es bestimmt gut aus."
Reporter: "Hier sieht man ja jetzt Giebelhäuser, also wirklich so mittelalterliche Rekonstruktionen. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll, so etwas wieder quasi neu zu rekonstruieren?"
Hölzel: "Na ja, die Frankfurter müssen eine tolle Altstadt gehabt haben und wenn man zumindest einen Teil davon wieder herrichten kann, ich finde es schon gut.
Reporter: "Andere haben gesagt: Es ist ein bisschen Walt-Disney-mäßig, es ist quasi ein Fake..."
Hölzel: "Ja lieber Gott! Ich weiß, es hat hier genug Stress gegeben, nachdem das auch alles schon beschlossen war. Dann haben die wieder angefangen damit, man muss sehen, wie sich das alles entwickelt, wird schon toll."
"Leider ist das im Moment nur das Feigenblatt für permanente Abrisse. Dieses neue, künftige Viertel zwischen Dom und Römer. Aber es könnte ein großes Vorbild werden. Zum ersten Mal wird deutlich, dass Individualität und auch enges Wohnen nicht nur als Reminiszenz und als erhaltene Altstadt, sondern auch als weiter zu führendes, städtisches Bauen auf sehr viel größeres Interesse trifft, als das gerade Baudezernenten oder auch Investoren bisher geglaubt haben," sagt Dieter Bartetzko, Stadtentwicklungsexperte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Träger des Preises für Architekturkritik des Bundes Deutscher Architekten.
"Wenn dieses Viertel glückt - und davon bin ich überzeugt - dann ist viel gewonnen, nicht nur für Frankfurt, sondern generell. Nämlich eine Rückkehr - im guten Sinne, nicht im konservativen Sinne, sondern im weiterführenden Sinne eine Rückkehr zu Individualität, zu der Eigenart von Städten und zu einem Bauen, das sich daran orientiert, was vor Ort gegeben ist und was vor Ort den Reiz einer Stadt ausmacht."
EZB ist ein Puzzlestück für "Mainhattan"
"Eine Stadt besteht aus Häusern und Straßen, Wegen und Plätzen. Nachdem das alles hier in diesen beiden Gebäuden und im Atrium vorhanden ist, kann man mit Fug und Recht zu diesem EZB-Gebäude vertikale Stadt sagen," sagt Wolf D. Prix, der österreichische Architekt des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main. Er hat den Ort erschaffen, den man als architektonischen Gegenentwurf zur Altstadtrekonstruktion in der Innenstadt bezeichnen könnte: den Neubau der Europäischen Zentralbank am Frankfurter Osthafen. Der 71 Jahre alte Prix ist Mitbegründer des 1968 entstandenen, heute berühmten Wiener Architekturbüros "Coop Himmelb(l)au". "Transparenz, Kommunikation, Effizienz, Stabilität." Auf diesen vier Prinzipien beruht das von Coop Himmelb(l)au entworfene, 185 Meter hohe Doppelhochhaus der EZB mit seiner spiralförmig gedrehten Struktur, die an die Doppelhelix der DNA erinnert. Der rund 1,3 Milliarden Euro teure Neubau für die europäischen Währungshüter in Frankfurt am Main soll für Prix jedoch nicht nur eine lebendige vertikale Stadt sein, sondern auch eine künstlerische Landmarke, die das gemeinsame Europa symbolisiert. Der Neubau der Europäischen Zentralbank ist ein Puzzlestück für "Mainhattan" - die Stadt, die wirklich nicht viel anders aussieht als New York oder Philadelphia. Finden zumindest die Touristen Mary-Ann und Kevin Reagan aus Minneapolis, Minnesota.
"It doesn't look very different than New York or Philadelphia."
Das amerikanische Rentnerpaar findet es deshalb gut, dass die Stadt Frankfurt am Main einen Teil ihrer mittelalterlichen Altstadt rekonstruiert:
"I am very happy that they are working on the old. Because to me a lot of what I saw: It could be any city. So - I think it's nice that they are keeping history."
Für die Stadtforscherin Sybille Münch von der TU Darmstadt ist die "Baustelle Altstadt" im Grunde gar nicht rückwärtsgewandt. Die Altstadthäuser drücken für die Wissenschaftlerin ebenso wie der EZB-Neubau den Willen der Stadt Frankfurt am Main aus, sich stadtplanerisch ständig neu zu erfinden. Auch die zwischenzeitlich weggebombten mittelalterlichen Fachwerkbauten werden neu inszeniert und damit in einen permanenten architektonischen Wandel einbezogen. Sybille Münch:
"Weniger aus einer weinerlichen Haltung heraus, sondern aus der strategischen Planung heraus, einen Anker für die Bevölkerung in einer sich doch immer so schnell wandelnden Stadt zu finden. So ist das Erklärungsmuster. Und wir fanden es eben ganz bestechend, wie sich diese Zukunftsgewandtheit der Stadt Frankfurt sich selbst im Umgang mit der Vergangenheit niederschlägt. Das heißt, selbst die Vergangenheit wird als Ressource eingesetzt, um eine noch bessere Zukunft zu gestalten. Wenn man sich beispielsweise anschaut, wie am Römer die Bebauung der Nachkriegszeit abgerissen wird und in so einer historisierenden Art und Weise wieder aufgebaut wird."
Eine handlungsfähige Stadt muss auch bereit sein, für Neues - auch wenn es wie am Römer das ganz Alte ist - erst einmal Platz zu schaffen. Auch dabei scheut Frankfurt am Main keine Superlative.
Sprengung des 116 Meter hohen Uni-Turms im Frankfurter Stadtteil Bockenheim am 2. Februar 2014. Noch nie war in Europa ein so hoher Hochhausturm gesprengt worden. Die Frankfurter zeigten sich begeistert:
"Das war hammerhart, das war wirklich fantastisch. Man hat es sich ungefähr so vorgestellt, aber es war richtig klasse."
"Also es war ziemlich laut und ich fand's einfach traumhaft."
"Also es war absolut spektakulär, ich habe so was echt noch nie gesehen."
"Schicksalhaft gebunden an seine Funktion als Handelszentrale"
Trauer über den Verlust eines Gebäudes, das jahrzehntelang das Stadtbild an der Schnittstelle zwischen dem Frankfurter Messegelände und dem quirligen Studenten- und Multikulti-Viertel Bockenheim prägte? Fehlanzeige. Diese Reaktion sei typisch für Frankfurt, sagt Stadtforscherin Sybille Münch von der TU Darmstadt. "Städte unterscheiden lernen" heißt das aktuelle Buch, in dem sie gemeinsam mit einer Forschergruppe Frankfurt mit Dortmund, Glasgow und Birmingham verglichen hat. Das Ergebnis: Frankfurt hat in vielerlei Hinsicht ein ganz anderes Selbstbild als etwa die Vergleichsstadt Dortmund.
"Was wir auch gleichzeitig bemerkt haben, ist, dass Jammern über Probleme so gut wie gar keine Chance hat, in Frankfurt Gehör zu finden. Also es gibt ein ganz starkes Selbstbild, was immer wieder transportiert wird, dass Frankfurt eine moderne Stadt ist. Schnell, dynamisch, am Kreuzungspunkt verschiedener Verkehrswege gelegen und so weiter. Ein Bild, was einem jedes Mal wieder entgegen springt. Insofern ist Kritik zum Beispiel an Wohnungspolitik oder an Stadtentwicklungspolitik in keiner guten Situation."
Der FAZ-Architekturkritiker Dieter Bartezko hält die Bereitschaft der Mainmetropole, im Stadtbild immer wieder alles abzuräumen und Neues zu schaffen, für einen Ausdruck der speziellen Stadtgeschichte als Wirtschafts- und Handelsmetropole:
"Frankfurt ist eben sozusagen schicksalhaft gebunden an seine Funktion als Europäische Bankenzentrale und Handelszentrale und da hat es - muss man schon sagen - eine jahrhundertalte Tradition, dass man, um für diese Interessen in Form zu bleiben, alles andere hinten anstellt."
Wenn man etwa auf einer der Mainbrücken steht und Richtung Innenstadt schaut, sieht man überall Baukräne. Es sind nicht überall Hochhäuser, die errichtet werden. Aber Büro- oder Wohnblöcke mit mindestens fünf oder sechs Etagen. Oft werden dafür auch die Reste alter Gebäude abgerissen, die man durchaus auch in die Neubauten integrieren könnte. Findet zumindest Architekturkritiker Dieter Bartetzko. Seine These: Die Stadtentwicklung nimmt zu viel Rücksicht auf Warenströme und Handelsreisende, anstatt mehr an die zu denken, die zuwandern - und bleiben:
"Permanentes Eingehen auf die Bedürfnisse derer, die zu Messen et cetera kurz erscheinen, ihre Bedürfnisse anmelden und dass man auf diese Bedürfnisse eingeht, statt umgekehrt sich wenn sie so wollen - seiner Monopolstellung bewusst zu sein und zu sagen: Wenn ihr hier sein wollt, habt ihr Euch auf die und jene Bedingungen und Eigenheiten einzustellen. Das zahlt sich, davon bin ich überzeugt, am Ende aus. Also diese wandernden Banker, die Bewohner des global village, die überall dasselbe antreffen wollen, das ist eine Fiktion, glaube ich, die sich schon längst als Fiktion erwiesen hat."
Nur einen Steinwurf westlich des neuen EZB-Gebäudes entstehen schon jetzt - vor allem entlang des Mainufers - überall neue Luxuswohnungen. Die Reichen, die vorher jahrzehntelang Villen im nahen Taunus bevorzugten, kommen zurück in die Stadt. Und auch alle anderen nutzen das Mainufer mehr denn je als Erholungsraum. Beides war durchaus gewollt, sagt der Stadtplaner Martin Wunscher:
"Das ist natürlich auch für die Innenstadtbewohner der Erholungsraum, bei aller Dichte, die wir haben in der Innenstadt, ist das kompensatorisch auch dringend erforderlich gewesen."
Doch mit den Luxusbauten am Mainufer und in anderen Innenstadtbereichen droht mehr und mehr die soziale Mischung im Zentrum verloren zu gehen. Und dies, obwohl die Integration auch sozialer Randgruppen zum Selbstverständnis von Frankfurt am Main gehört wie vielleicht in kaum einer anderen Kommune. Stadtforscherin Sybille Münch von der TU Darmstadt:
"Es gibt im Wohnungsbau den Frankfurter Vertrag, der eben ausgeglichene Bewohnerstrukturen vorsieht. Und das ist schon auch auffällig, dass immer wieder auch private Akteure, Bürgerinitiativen und so weiter auf dieses Leitbild der Mischung Bezug nehmen. Insofern scheint es schon ein starker Wert zu sein, der auch ganz stark durch alle Schichten hinweg internalisiert ist."
Bartetzko:
"Es gibt immer noch Gott sei Dank die Tradition des sozialen Wohnungsbaus, der zwar zum großen Teil privatisiert ist. Aber man kann trotzdem noch sagen, es gibt auch in der Innenstadt einiges sozial verträgliches Wohnen. Aber die Hauptrichtung und dafür ist Frankfurt jetzt schon fast berüchtigt, würde ich sagen, ist eben die, dass man insbesondere die Innenstadt jetzt buchstäblich freiräumt für Luxuswohnanlagen, für exklusive Appartements und dergleichen."
"Es gibt immer noch Gott sei Dank die Tradition des sozialen Wohnungsbaus, der zwar zum großen Teil privatisiert ist. Aber man kann trotzdem noch sagen, es gibt auch in der Innenstadt einiges sozial verträgliches Wohnen. Aber die Hauptrichtung und dafür ist Frankfurt jetzt schon fast berüchtigt, würde ich sagen, ist eben die, dass man insbesondere die Innenstadt jetzt buchstäblich freiräumt für Luxuswohnanlagen, für exklusive Appartements und dergleichen."
Umnutzung leer stehender Büroräume?
Am Bauzaun an der "Baustelle Altstadt" hängen überall Plakate, die versprechen: Hier entsteht kein Luxusgetto, sondern ein Viertel, in dem sich auch junge Familien, Studenten und Kneipengänger wohlfühlen werden. Zwar sollen die 15 Altstadthäuser das historische Straßennetz aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wieder sichtbar werden lassen. Doch es soll hier kein Museum entstehen, so die Plakate. Klar ist: Nicht die vertikale Stadt wie beim EZB-Neubau ist hier das architektonische Leitbild, sondern die Sehnsucht nach der Gemütlichkeit mittelalterlicher Gassen und Apfelweinkneipen. Bei den meisten Baustellen-Touristen kommt das gut an, auch bei Steffen Wurm aus Egelsbach bei Frankfurt:
"Vom Städtebaulichen und für die Stadt mit Sicherheit ein Gewinn. Rein von der Optik her. Zieht auch Touristen an, mit Sicherheit. Fürs Auge auf jeden Fall gut."
Am gravierenden Wohnungsmangel in Frankfurt am Main werden die 15 Altstadthäuser jedoch nichts ändern können. Dafür ist das Areal schlichtweg zu klein. Eher schon einen Weg, langfristig die Wohnungsnot bei Normalverdienern zu lindern, sieht Architekturkritiker Dieter Bartezko in der Umnutzung leer stehender Büroräume in der Innenstadt. Gerade ein markantes Hochhaus, das unmittelbar neben dem luxuriösen Wohnkomplex mit den Jachten am Westhafen steht, ist für ihn in dieser Hinsicht ein städtebaulicher Lichtblick:
"Wo sie eines der Wahrzeichen haben, nämlich einen Zylinder, der mit Rauten versehen ist und deshalb einem gigantischen Apfelweinglas gleicht. Dieses Wahrzeichen ist erbaut worden von den Architekten Schneider und Schumacher als Büroturm, aber so ausgerichtet, dass er mit einigen wenigen Handgriffen sozusagen in Wohnraum umgewandelt werden kann. Und dieses Bedürfnis nach Wohnen in der Stadt, das denke ich ist ein Längerfristiges, das auch überdauern wird, die kurze Mode, die in bestimmten Schichten gerade aufgetreten ist, sich Apartments und Luxuswohnungen in einer Innenstadt zu leisten. Das wird wechseln, denke ich. Aber das Wohnen in der Innenstadt generell, das wird bleiben."
Überall in der Stadt steigen die Mietpreise rapide an, stellt der aktuelle Wohnungsmarktbericht der IHK Frankfurt fest. Heißt im Klartext: Studierende, Sozialhilfeempfänger oder Menschen mit geringem Arbeitseinkommen bekommen in Frankfurt am Main sehr schlecht eine Wohnung und müssen auf das Umland ausweichen. Laut einer aktuellen Studie, die auch der Frankfurter Oberbürgermeister oft zitiert, suchen zurzeit rund 20.000 Menschen in Frankfurt eine bezahlbare Wohnung. Die Stadt gibt Millionen aus, um zu verhindern, dass noch mehr Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen als bisher. Denn man will am Leitbild der sozialen Mischung festhalten. Im Rathaus der inzwischen auf 700.000 Einwohner gewachsenen Stadt ist man jedenfalls dazu entschlossen, versichert der kommunale Stadtplaner Martin Wunscher:
"Frankfurt ist eine kleine Großstadt. 250 Quadratkilometer ist nicht viel. Wir haben wenig Zuwachsflächen. Ansonsten müssen wir schauen, wie wir im innerstädtischen Kontext Flächen generieren können. In der Regel über den Weg der Flächenkonversion. Da, wo man vor zehn Jahren noch gedacht hat, das ist ein ganz klarer Bürostandort, für Wohnen ist das ein wenig zu robust, da betrachtet man das heute schon anders. Und da sind wir mit zwei Bebauungsplanverfahren im Umfeld der Europäischen Zentralbank gerade dabei die Entwicklung zu korrigieren und Wohnen dort zuzulassen."
Sogar neue Sozialwohnungen sollen wieder gebaut werden in der Frankfurter Innenstadt. Oder auch im benachbarten Offenbach, finanziert von der Frankfurter kommunalen Wohnungsbaugesellschaft. Dass man mit dem Sozialwohnungsbau in die Nachbarstadt ausweicht, sieht der FAZ-Stadtentwicklungsexperte Dieter Bartetzko allerdings gar nicht gerne:
"Man muss die Individualität der Stadt bewahren. Und das heißt, das Gegenteil von dem, was gerade in Frankfurt praktiziert wird, das sich zu Recht als zentrale Stadt des Rhein-Main-Gebietes versteht. Und deshalb Wohnen für Mittelschichten an den Rand drängt. Sprich in die Nachbarstadt Offenbach verdrängt et cetera. Wobei da auch sehr hübsche Stadtviertel entstehen."
"Die Stadt nimmt die eigene Handlungsfähigkeit in Anspruch"
Ärmere Bevölkerungsschichten nach Offenbach oder in andere Gemeinden des Umlands zu verdrängen - das entspricht im Grunde ganz und gar nicht dem Selbstbild der Stadt Frankfurt am Main. Die Bürgerschaft will alle Gruppen im Stadtraum zu ihrem Recht kommen lassen. Dazu gehören auch Künstler. Doch die haben es in der Mainmetropole auf der Suche nach bezahlbaren Ateliers oder Proberäumen gerade besonders schwer, weiß Dieter Bartetzko. Er träumt von einer neuen, öffentlich finanzierten Künstlerkolonie, wie sie vor mehr als 100 Jahren einmal auf der Mathildenhöhe im benachbarten Darmstadt geschaffen wurde. Bis heute ist der Ort, an dem einst die Künstlergemeinschaft lebte, eine lebendiger Kultur- und Ausstellungsort.
"Das wäre ein Ideal, eine neue Künstlerkolonie, so wie sie in Darmstadt einmal um die Jahrhundertwende geschaffen wurde. Nein, also im Moment sind die Bedingungen für Künstler in Frankfurt nicht besonders gut. Ansonsten sind die Künstler hier auf eigene Hilfe, auf Initiative angewiesen und auf Kontakte und die gibt es Gott sei Dank. Eben auch zu all den Bankern, die weit aufgeschlossener sind, als vielleicht die Stadt und ihre Verwaltung und vielleicht sogar ihr Kulturdezernent und -dezernat vermuten."
Banker als Sponsoren einer lebendigen Subkultur, der es an Geld mangelt, die horrenden Mietpreise alleine zu bezahlen - auch das ist also in Frankfurt möglich. Die Bürger der Stadt lassen soziale oder auch ökologische Probleme nicht als allgemeine Probleme gelten, sondern machen sie sich zu Eigen - mit dem ernst gemeinten und sympathischen Anspruch, sie zu lösen. So lautet zumindest der Befund der Stadtforscherin Sybille Münch:
"Gerade in Frankfurt ist es auffällig, wie sehr die Stadt auch eigene Handlungsfähigkeit in Anspruch nimmt. Das scheint jetzt so selbstverständlich, dass die Stadtregierung davon ausgeht, Stadt und Politik gestalten zu können. Das ist aber schon eine Frankfurter Besonderheit, also dieser Glaube daran, dass man besondere Frankfurter Herausforderungen hat, die man auch mit städtischen Mitteln lösen kann. Das ist ein Muster, was wir in Dortmund gar nicht gefunden haben. Alleine schon wenn man schaut, wie häufig von Frankfurter Problemen die Rede ist. Also auch mit dieser Bezeichnung. Frankfurter Kinderarmut und so weiter. Dann ist das ein ganz starker Kontrast zu Dortmund, wo der Duktus eher lautet: Kinderarmut ist auch in Dortmund ein Problem."
Abriss und Neubau in der Innenstadt, der Neubau des Europaviertels an der Frankfurter Messe oder jetzt der Bezug der Europäischen Zentralbank im Ostend, nicht zuletzt die ständig wachsende Airport-City am Flughafen - das sind die Seiten der Stadt, die besonders deutlich eine international ausgerichtete Handelstradition offenbaren.
Das "global village" am Main. Doch es gibt eben auch andere, lokale Architektur-Facetten, die sich etwa im Apfelweinhochhaus am Westhafen oder im geplanten neuen Romantik-Museum neben dem Goethe-Geburtshaus im Zentrum spiegeln. Frankfurt bleibt eine Stadt mit Hochhaustürmen und Sehnsucht nach Fachwerk. Ein merkwürdiger, aber liebenswerter urbaner Zwitter im permanenten Wandel.