Sophienstraße 42 in Frankfurt/Oder, ein Nachwende-Neubau. Hinter verspiegelten Glasscheiben findet sich das Wahlkreisbüro von Martin Patzelt. Er sitzt am Besuchertisch und erläutert seine doch ungewöhnliche Idee, Flüchtlinge privat, zu Hause aufzunehmen, geduldig.
"Es wäre ein sichtbares Zeichen dafür, dass Flüchtlinge tatsächlich in ihrer zum Teil traumatisierten Vergangenheit, dass sie fühlen, sie sind bei uns aufgenommen, sie sind nicht nur untergebracht, sie sind auch aufgenommen. Und das ist ein Zeichen für Kriegsflüchtlinge, das ist auch ein Zeichen für unsere Mitmenschen im Lande. Und das ist auch ein Zeichen über Deutschland hinaus."
Patzelt ist jetzt 67, er kommt aus Frankfurt. Bevor er im vergangenen Herbst Bundestagsabgeordneter der CDU wurde, war er acht Jahre Oberbürgermeister. Stolz zeigt er dem Besucher seine Stadt. Es ist eine merkwürdig bizarre Mischung von alter und neuer Architektur: Gründerzeit-Villen, Häuser mit Fachwerk neben zehngeschossigen Plattenbauten. Leerstand, Abriss, eigentlich Platz für Flüchtlinge:
"Ich denke, der aktuelle Stand liegt immer noch bei 7.000 bis 8.000 leer stehenden Wohnungen. In meiner Zeit als Oberbürgermeister, also bis 2010, haben wir 7.000 Wohnungen zurückgebaut, also abgerissen."
Der Spaziergang führt Richtung Oder. Der Fluss, der die Stadt von Polen trennt, hier Deutschland, drüben Slubice. An der Stadtbrücke wird gebaut: Die Reste der ehemaligen Kontrollstelle verschwinden endgültig. Man lebt nebeneinander her im besten Falle, im schlechtesten Fall äußert sich Polen- beziehungsweise Ausländerfeindlichkeit:
"Es fällt mir jetzt schon manchmal schwer, wenn ich höre, dass nur noch eine ältere Dame oder so im Haus wohnt und überall polnische Familien um einen rum sind. Sie leben ja anders."
Anfeindungen für die Idee
Andere zufällig befragte Passanten sind von Patzelts Idee, notleidende Bürgerkriegsflüchtlinge auch privat zu beherbergen, nicht begeistert:
- "Nee, ganz bestimmt nicht. Komm ich nach Hause, Wohnung weg!"
- "In Privatquartieren, bei anderen Familien? Das ist doch eine gute Idee. Wenn ich den Platz dazu hätte: vielleicht!"
- "Habe ich nicht die Räumlichkeiten für."
- "Habe selber Kinder, dann brauche ich nicht so was aufnehmen"
- "Ist Quatsch. Also, das möchte bestimmt keiner von uns."
- "In Privatquartieren, bei anderen Familien? Das ist doch eine gute Idee. Wenn ich den Platz dazu hätte: vielleicht!"
- "Habe ich nicht die Räumlichkeiten für."
- "Habe selber Kinder, dann brauche ich nicht so was aufnehmen"
- "Ist Quatsch. Also, das möchte bestimmt keiner von uns."
Patzelt hatte mit Kritik gerechnet, auch mit unschönen Reaktionen. Was er dann Ende August erlebte, hat ihn aber doch überrascht, sogar Morddrohungen gab es:
"Die überwiegende Zahl der Reaktionen war ablehnend, davon vielleicht die Hälfte mit der Frage an meine Geistesbeschaffenheit. Und zum Teil auch obszöne und widerwärtige Beschimpfungen."
Es geht am Fluss entlang, Richtung Viadrina. Die Europa-Universität bringt der Stadt eine gewisse Internationalität; eingeschränkt durch die guten Zugverbindungen nach Berlin: Viele Studierende leben lieber in der Bundeshauptstadt und kommen nur zu den Vorlesungen an die Oder. Patzelt ist gelernter Betonfacharbeiter, studierte Sozialarbeit in Karl-Marx-Stadt, war von 1972 bis 1991 Heimleiter des Kinder- und Jugendheimes St. Elisabeth in Calbe. Ist bei seinem nach Gutmenschentum klingenden Vorschlag der Sozialarbeiter in ihm durchgegangen?
"Ich habe mir das schon gut überlegt und denke mal, auf dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen und auch Wertvorstellungen habe ich das nicht so aus der Hüfte geschossen. Das ist ja auch nicht durchgegangen, sondern ich denke, wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Hier muss doch einfach das bürgerschaftliche Engagement zumindest gefragt werden."
Und so ganz kann der CDU-Politiker den Sozialarbeiter doch nicht abschütteln, er bringt Verständnis auf, selbst für seine härtesten Kritiker:
"Ich denke mal, die allergrößte Zahl derer, die sich überhaupt auf diesen Vorschlag hin zu Wort gemeldet haben, fühlt sich dadurch bedrängt. Und hat die Sorge, dass von dem, was sie selber besitzen, ihnen noch etwas genommen werden könnte. Zum Teil ist es aber auch deutlich erkennbarer Hass. Fremdenhass oder Xenophobie."
Patzelt hat bereits Flüchtlinge aufgenommen
Also Angst vor dem Fremden. Patzelt weiß: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Er hatte dieses Jahr in seinem Haus in Briesen, einem Vorort von Frankfurt, zwei Frauen aus Nigeria aufgenommen, die zuvor mit ihren drei kleinen Kindern am Berliner Oranienplatz hausten:
"Das war der Versuch, aber die Frauen fühlten sich nicht wohl. Die gingen dann wieder sehr bald, ganz kurzfristig wieder zurück. Die vermissten ihr Communität. Das waren auch interessante Erfahrungen, die wir da machten."
Das soll keine einmalige Aktion bleiben. "Die Betten für weitere Flüchtlinge sind schon wieder frisch bezogen", sagt Patzelt. Dazu muss sich aber auch der Gesetzgeber bewegen und Verwaltungsvorschrift verändern: Es fehlen nämlich Vereinbarungen mit den Ausländerbehörden, die die Unterbringung, die Absicherung des Lebensunterhaltes und der Kosten der Krankenversicherung für die Flüchtlinge regeln. Nach der parlamentarischen Sommerpause will Patzelt seine Idee mit seinen Unionskollegen im Bundestag erörtern.