Die wollen doch nur spielen, oder? Noch sind sie nette, ein bisschen unsichere Jungs aus dem mittleren Management, die vier vom Burgunderhof, die sich lautstark auf Erfolg drillen. Gemeinsam markieren sie den starken Mann - dass sie nibelungentreu auf eine Kollektiv-Hölle zusteuern, die bei Jorinde Dröse sehr erinnert an die letzten Tage im Führerbunker, ahnt, wer jetzt schon die roten Socken des diabolischen Hagen registriert.
Superman-Blau hingegen das Kapuzenshirt von Siegfried, aber der Drachentöter ist kein Übermensch, bloß ein sträflich naiver Wuschelkopf in der machtgeschützten Welt des Königshofs. Es ist eine der tollsten und abgründigsten Szenen dieser zur Hälfte überhaupt ziemlich tollen Hebbel-Inszenierung, wie Lukas Rüppel sich als Siegfried erregt über einen angeblichen Feindesverrat und die wirklichen Verräter ihm unbehaglich lauschen - seine Freunde.
Sascha Nathans König Gunther - eine Figur mit imposanter Statur, aber ohne Rückgrat und in Entscheidungssituationen schwitzend überfordert. Der elegante Volker von Andreas Uhse und Christian Erdt als Giselher, Typ Eliteschüler mit scharfem Scheitel und überraschenden Anflügen von Mut, die unterm Gruppendruck zerbröseln. Und Nico Holonics‘ brillanter Hagen, gescheiter Strippenzieher, skrupellos, arrogant, verführerisch.
So weit die Seite von Männlichkeitswahn und Machterhaltungszwang. Auf der andern: die Frauen, deren Entmachtung wie Selbstermächtigung den Totentanz erst richtig in Gang setzt. Constanze Weber als Brunhild, mit Ringerleibchen und Halbstrümpfen, zärtlich legt sie das tätowierte Barbarengesicht an die Schulter Siegfrieds, der sie an Gunther verrät - ein Gewaltakt patriarchalischer Zivilisierung, das Ergebnis: eine starre Puppe mit Kastratenstimme. Und die Kriemhild von Verena Bukal? Ein blasses Elfenmädchen, das zu Beginn des zweiten Teils ganz allein auf der Bühne steht, als probierte sie die Johanna von Orleans. Eiskalt gouvernantenhaft setzt sie ihre blutige Rache an den Mördern Siegfrieds durch.
Die einzig wirklich tragische Figur ist ihr zweiter Mann, Michael Benthin als denkbar un-hunnischer Hunnenkönig Etzel, der einzige, der wirklich bloß spielen will, mit seinem Sohn nämlich. Viel bleibt angedeutet in dieser Inszenierung, die mit Geschrei und Theaterblut geradezu vorbildlich geizt. Anthrazit ist die beherrschende Farbe, vier große, bewegliche Wände auf der sonst leeren Drehbühne rhythmisieren den ersten Teil, verbergen und erlauben Durchblicke, der Schluss allerdings ist quälend. Der Saal, in dem Kriemhild die Burgunder abschlachten lässt, bleibt unsichtbar, nur die Gesichter geistern zombiehaft über die Videoleinwand, Gemetzel wie Dialoge bleiben regietechnisch ein unbehauener Block.
Folgt, am zweiten Abend der neuen Frankfurter Spielzeit: die Fortführung des Krieges mit andern Mitteln. Jürgen Kruse inszeniert Wolfgang Borcherts Nachkriegsdrama "Draußen vor der Tür". Kein Gedanke ans tatortmäßig auf der Hand Liegende, Afghanistan, Heimkehrer, posttraumatische Belastungsstörung. So wie der Welt und dem lieben Gott Borcherts Weltkriegs-Beckmann egal ist, ist Kruse der Schulbuchklassiker egal.
Er zerschlägt das Stück und klebt es schräg wieder zusammen, unter Hinzufügung von St. Pauli-Folklore, Pin-up-Girls und Femen-Elfe, einem Zuhältertyp mit Schmetterlingsflügeln und einem schmierigen Regisseur, der sich Heiner Müller und Friedrich Schiller vorspielen lässt und dem der potenzielle Elbe-Selbstersäufer Beckmann auch egal ist. So wie uns, behauptet Kruse einfach, die Toten der Andern grundsätzlich egal sind. Und deswegen ist Krieg immer und überall und auch bei Kruse auf der Bühne, ein einziges ästhetisches Gemetzel zwischen Plunder und Kunstblut.
Über weite Strecken ist einem dann auch dieser popkulturelle totale Krieg ziemlich egal, aber manchmal stimmt der Sound einfach, hamburgisch und zynisch und überraschend poetisch, bis am Schluss doch tatsächlich Hanns Eislers "Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre" durch den Raum dröhnt.
Den dritten Krieg dieses Spielzeitauftakts hat Schauspiel-Intendant Oliver Reese persönlich in Szene gesetzt. Er tobt im Innern des Tänzers Vaslav Nijinski, der vor 100 Jahren die skandalöse Uraufführung von Strawinskys "Sacre du Printemps" choreografierte und an Schizophrenie erkrankte. Reese hat Tagebucheinträge Nijinskis zu einem Monolog collagiert, der Hellsicht und Wahn, Erotik und Schuldgefühl widersprüchlich und doch zu ganz eigener Logik verquickt. Max Mayer, Anzug, offenes Hemd, ein unruhiger Schlaks, tanzt nicht, er spielt den Zerfallsprozess eines modernen Ich, dem Wort und Körper immer weiter auseinanderdriften. Stark ist dieser Abend da, wo das Wort selbst körperlich wird, als Musik. Als Rhythmus. Aber worauf es Nijinski ankam, dem das Gefühl alles, der Verstand nichts galt, das lassen erst die letzten Sekunden ahnen, als es still wird und es nur noch im stummen Gesicht des Schauspielers arbeitet: Erschütterung.
Erst also, mit den Nibelungen, großes Schauspielertheater mit Stopp auf halber Strecke, dann halb garer Borchert-Trash und ein beinah schon wieder routinierter Nijinski - die unter Oliver Reese neu erwachte Theaterbegeisterung der Frankfurter wird sich von diesem durchwachsenen Spielzeitauftakt nicht dämpfen lassen.
Superman-Blau hingegen das Kapuzenshirt von Siegfried, aber der Drachentöter ist kein Übermensch, bloß ein sträflich naiver Wuschelkopf in der machtgeschützten Welt des Königshofs. Es ist eine der tollsten und abgründigsten Szenen dieser zur Hälfte überhaupt ziemlich tollen Hebbel-Inszenierung, wie Lukas Rüppel sich als Siegfried erregt über einen angeblichen Feindesverrat und die wirklichen Verräter ihm unbehaglich lauschen - seine Freunde.
Sascha Nathans König Gunther - eine Figur mit imposanter Statur, aber ohne Rückgrat und in Entscheidungssituationen schwitzend überfordert. Der elegante Volker von Andreas Uhse und Christian Erdt als Giselher, Typ Eliteschüler mit scharfem Scheitel und überraschenden Anflügen von Mut, die unterm Gruppendruck zerbröseln. Und Nico Holonics‘ brillanter Hagen, gescheiter Strippenzieher, skrupellos, arrogant, verführerisch.
So weit die Seite von Männlichkeitswahn und Machterhaltungszwang. Auf der andern: die Frauen, deren Entmachtung wie Selbstermächtigung den Totentanz erst richtig in Gang setzt. Constanze Weber als Brunhild, mit Ringerleibchen und Halbstrümpfen, zärtlich legt sie das tätowierte Barbarengesicht an die Schulter Siegfrieds, der sie an Gunther verrät - ein Gewaltakt patriarchalischer Zivilisierung, das Ergebnis: eine starre Puppe mit Kastratenstimme. Und die Kriemhild von Verena Bukal? Ein blasses Elfenmädchen, das zu Beginn des zweiten Teils ganz allein auf der Bühne steht, als probierte sie die Johanna von Orleans. Eiskalt gouvernantenhaft setzt sie ihre blutige Rache an den Mördern Siegfrieds durch.
Die einzig wirklich tragische Figur ist ihr zweiter Mann, Michael Benthin als denkbar un-hunnischer Hunnenkönig Etzel, der einzige, der wirklich bloß spielen will, mit seinem Sohn nämlich. Viel bleibt angedeutet in dieser Inszenierung, die mit Geschrei und Theaterblut geradezu vorbildlich geizt. Anthrazit ist die beherrschende Farbe, vier große, bewegliche Wände auf der sonst leeren Drehbühne rhythmisieren den ersten Teil, verbergen und erlauben Durchblicke, der Schluss allerdings ist quälend. Der Saal, in dem Kriemhild die Burgunder abschlachten lässt, bleibt unsichtbar, nur die Gesichter geistern zombiehaft über die Videoleinwand, Gemetzel wie Dialoge bleiben regietechnisch ein unbehauener Block.
Folgt, am zweiten Abend der neuen Frankfurter Spielzeit: die Fortführung des Krieges mit andern Mitteln. Jürgen Kruse inszeniert Wolfgang Borcherts Nachkriegsdrama "Draußen vor der Tür". Kein Gedanke ans tatortmäßig auf der Hand Liegende, Afghanistan, Heimkehrer, posttraumatische Belastungsstörung. So wie der Welt und dem lieben Gott Borcherts Weltkriegs-Beckmann egal ist, ist Kruse der Schulbuchklassiker egal.
Er zerschlägt das Stück und klebt es schräg wieder zusammen, unter Hinzufügung von St. Pauli-Folklore, Pin-up-Girls und Femen-Elfe, einem Zuhältertyp mit Schmetterlingsflügeln und einem schmierigen Regisseur, der sich Heiner Müller und Friedrich Schiller vorspielen lässt und dem der potenzielle Elbe-Selbstersäufer Beckmann auch egal ist. So wie uns, behauptet Kruse einfach, die Toten der Andern grundsätzlich egal sind. Und deswegen ist Krieg immer und überall und auch bei Kruse auf der Bühne, ein einziges ästhetisches Gemetzel zwischen Plunder und Kunstblut.
Über weite Strecken ist einem dann auch dieser popkulturelle totale Krieg ziemlich egal, aber manchmal stimmt der Sound einfach, hamburgisch und zynisch und überraschend poetisch, bis am Schluss doch tatsächlich Hanns Eislers "Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre" durch den Raum dröhnt.
Den dritten Krieg dieses Spielzeitauftakts hat Schauspiel-Intendant Oliver Reese persönlich in Szene gesetzt. Er tobt im Innern des Tänzers Vaslav Nijinski, der vor 100 Jahren die skandalöse Uraufführung von Strawinskys "Sacre du Printemps" choreografierte und an Schizophrenie erkrankte. Reese hat Tagebucheinträge Nijinskis zu einem Monolog collagiert, der Hellsicht und Wahn, Erotik und Schuldgefühl widersprüchlich und doch zu ganz eigener Logik verquickt. Max Mayer, Anzug, offenes Hemd, ein unruhiger Schlaks, tanzt nicht, er spielt den Zerfallsprozess eines modernen Ich, dem Wort und Körper immer weiter auseinanderdriften. Stark ist dieser Abend da, wo das Wort selbst körperlich wird, als Musik. Als Rhythmus. Aber worauf es Nijinski ankam, dem das Gefühl alles, der Verstand nichts galt, das lassen erst die letzten Sekunden ahnen, als es still wird und es nur noch im stummen Gesicht des Schauspielers arbeitet: Erschütterung.
Erst also, mit den Nibelungen, großes Schauspielertheater mit Stopp auf halber Strecke, dann halb garer Borchert-Trash und ein beinah schon wieder routinierter Nijinski - die unter Oliver Reese neu erwachte Theaterbegeisterung der Frankfurter wird sich von diesem durchwachsenen Spielzeitauftakt nicht dämpfen lassen.