Ein Freitagabend in der Kommune von Evry. Der Bürgermeister hieß hier vormals Manuel Valls, jetzt ist er Premierminister. In diesem kleinen Straßenzug beten Muslime, Juden, Christen nebeneinander, hier die Moschee, dort die Synagoge, weiter hinten die Kirchtürme.
Regelmäßig laden sich Juden und Muslime ein, um bei einer Tasse für gegenseitiges Verständnis zu werben. Ein zartes Pflänzchen in der aufgeladenen, französischen Landschaft.
Das französische Meldewesen gibt präzise Zahlen nicht her, geschätzt wird, dass drei bis fünf Millionen Muslime, 500.000 bis 600.000 Juden in Frankreich leben. Die Angst geht in beiden Gruppierungen um - seit Langem.
"Wir haben die Nase voll, von dieser Angst, diesem Wahnsinn."
Als Frankreichs Innenminister gestern früh eine Schule besuchte, um der jüdischen Gemeinde Solidarität zu zeigen, beruhigte das kaum noch jemanden. Vor den 717 jüdischen Schulen sind nun 5.000 Sicherheitskräfte postiert.
"Unsere Kinder sind französische Bürger, ist es denn normal, dass vor ihrer Schule seit Jahren ein Polizist steht ?"
Französische Juden wandern nach Israel aus
Die antisemitischen Übergriffe haben sich in den vergangenen Jahren gehäuft. Mehr als 7.000 Menschen jüdischen Glaubens haben Frankreich im vergangenen Jahr verlassen. Das Land stellt inzwischen die größte Gruppe der Einwanderer nach Israel. Ministerpräsident Netanjahu hatte den französischen Juden am Samstag nach der blutigen Geiselnahme zugerufen, "Israel ist Euer Heim". Frankreichs Premierminister eilte an den Tatort, um der Opfer zu gedenken und gab eine Liebeserklärung ab:
"Ich wiederhole es immer wieder, ohne die Juden Frankreichs ist Frankreich nicht mehr dasselbe Land."
Aber als Israels Ministerpräsident Netanjahu seinerseits gestern am Tatort Kerzen anzündete, war ihm Jubel sicher.
"Was uns interessiert ist, ob wir noch eine Zukunft in Frankreich haben," sagte dieser junge Mann im Osten von Paris, wo ein Meer aus Blumen und Kerzen an die Opfer des Überfalls auf den jüdischen Supermarkt am vergangenen Freitag erinnert.
Im Zentrum der Hauptstadt, dort, wo die Redaktionsräume von Charlie Hebdo lagen, das gleiche Bild. Hassen Chalghoumi betet hier, mit anderen Muslimen, für die Toten.
"Ich bin sehr wütend", sagt der Imam von Drancy. "Die haben 'Allah ist groß' gerufen, aber das ist nicht ihr Prophet, das sind Barbaren, Kriminelle, Satane ... die haben ihre Seele an die Hölle verkauft."
Chalghoumi hat ebenfalls Angst, wie seine Mitbürger. Frankreichs Muslime werden nicht zuletzt von der extremen Rechten zum Sündenbock für alle Sorgen des Landes gemacht. Mit jedem Anschlag fanatischer Islamisten wächst der Druck, fast 40 Anschläge auf Moscheen und Gebetsräume in den vergangenen Tagen sprechen eine deutliche Sprache.
"Die wollen die Angst", sagt der Imam, der wie viele seiner Glaubensbrüder am Sonntag in Frankreich schweigend protestiere.
Kampf gegen viele Klischees
"Die Klischees", schreibt der Politologe Olivier Roy in der Zeitung "Le Monde", "zeichneten eine muslimische Gemeinschaft, die nicht integriert sei, die den Terrorismus nicht verurteile, die radikalisiert sei - dabei laufe das Internet über von Verurteilungen der Taten durch Muslime." Warum, fragt der Forscher, wird darüber kaum berichtet ? Und auch nicht über den Integrationswillen und die –fähigkeit vieler Muslime ? Denn, so ergänzt Roy, wann immer Polizisten bei Anschlägen getötet und verletzt würden, seien Muslime darunter.
So auch in der vergangenen Woche, als die Attentäter auf der Straße kaltblütig noch einmal abdrückten, der junge Polizist lag schon verletzt auf der Straße.
"Franzose, Muslim, algerische Wurzeln, sehr stolz Ahmed Merabet zu heißen und die französische Polizei zu repräsentieren , die Werte der Republik zu verteidigen, Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit ".
Der Bruder des Getöteten suchte nach dem Drama die Öffentlichkeit.
"Ich wende mich an alle Rassisten, Islamophobe und Antisemiten, vermischen Sie nicht Extremisten und Muslime. Die Verrückten haben weder eine bestimmte Hautfarbe noch eine bestimmte Religion."