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Frankreich
Aussteigerin kämpft für Prostitutionsverbot

Prostitution langfristig abschaffen - das ist das Ziel der Pariser Nationalversammlung. Der französische Senat muss über das Gesetzesprojekt abstimmen, doch Prostitutionsgegner warten darauf bisher vergeblich. Rosen Hicher, eine Aussteigerin aus dem Rotlicht-Milieu, ist auf einem 800 Kilometer langen Demonstrationsmarsch zum Senat.

Von Suzanne Krause |
    Eine Prostituierte sitzt an einer Metro-Station in Paris.
    "Mehr als 90 Prozent der Frauen in der Prostitution sind heutzutage Opfer krimineller Netzwerke", kritisiert die französische Prostitutionsgegnerin Rosen Hicher. (picture-alliance / dpa / Simon Daval)
    Nachmittags um halb vier, kurz hinter Saclas, einem Dorf 60 Kilometer südlich von Paris. Neben der viel befahrenen Landstraße ist eine kleine Gruppe Wanderer unterwegs: Rosen Hicher und drei Unterstützer. In ihrem Regen-Cape schreitet die schmale Rotblonde zielstrebig voran.
    "Ich möchte, dass die Senatoren endlich das Prostitutionsgesetz verabschieden, damit die Freier bestraft werden. Denn mehr als 90 Prozent der Frauen in der Prostitution sind heutzutage Opfer krimineller Netzwerke - Opfer von Gewalt, die von Zuhältern und auch von Freiern ausgeht. Man muss den Freiern klarmachen, dass es in diesem Milieu kaum eine Frau gibt, die nicht Opfer sexueller Sklaverei wäre."
    Davon ist die Mittfünfzigerin überzeugt. Sie stoppt kurz, um ein paar Souvenirfotos zu machen. Beim Marsch wandelt Rosen Hicher auf den Spuren ihres früheren Lebens: 22 Jahre lang hatte sie ihren Körper verkauft. Zehn Jahre brauchte sie, um dem Rotlicht-Milieu zu entkommen.
    "Kaum eine Prostituierte wird nicht Opfer sexueller Gewalt"
    "Am 3. September bin ich in Saintes losmarschiert, weil der Monat September in meinem Leben eine wichtige Rolle spielt. Im September war ich einst von Zuhälter angelernt worden. Mein Ziel ist Paris, wo ich damals in das Rotlichtmilieu rutschte. In Saintes, meinem Ausgangspunkt, hatte ich zuletzt als Prostituierte gearbeitet. Unterwegs klappere ich alle Orte ab, in denen ich anschaffen ging. 22 Jahre lang war ich tagtäglich sexueller Gewalt ausgeliefert."
    Hichers Marschroute ist knapp 800 Kilometer lang. Unterwegs nutzt sie jede Gelegenheit, um über ihre Erfahrungen aus dem Milieu zu berichten. Bei jeder Etappe wird sie von Unterstützern begleitet. An diesem Tag von Jean-Sébastien Mallet, einem Menschenrechtsaktivisten:
    "Ich habe zwar schon 300 Seiten zum Thema Menschenhandel in Europa verfasst, unter gesellschaftlichen, ethischen und politischen Aspekten. Doch heute hat mir Rosen mit ein paar Sätzen viel beigebracht. Sie erzählte beispielsweise, dass jemand, der sich prostituiert, während des Geschlechtsakts einfach das Bewusstsein vom Körper abkoppelt. Eine Art kontinuierlicher Selbstverstümmelung. Und dann habe ich auch erfahren, dass der Horror nie aufhört – während ihres Protestmarsches wurde Rosen mehrmals von Ex-Freiern angerufen, die ihre Dienste buchen wollten."
    Demonstrationsmarsch für Abstimmung des Gesetzesentwurf
    Am späten Nachmittag trifft die Gruppe am Etappenziel ein, in der Kleinstadt Etampes. Dort wartet schon ein russisches Fernsehteam. Filmproduzent Alexey Chemodanor arbeitet an einer Dokumentation zum Thema Prostitution:
    "Wir wollten eigentlich über Prostitution in Russland berichten. Aber da kamen wir bei unserer Recherche nicht richtig voran. Letzte Woche haben wir dann von Hichers Aktion gehört. Daraufhin haben wir sofort den nächsten Flieger genommen, um sie mit der Kamera zu begleiten."
    Später wird Rosen Hicher im Rathaus vom stellvertretenden Bürgermeister und einer Kollegin empfangen. Das Treffen dauert über eine Stunde. Rosen Hicher wirkt überaus angetan:
    "In den Sozialbaugettos von Etampes leben viele junge Menschen, hier wird die sexuelle Gewalt gegenüber Mädchen immer alltäglicher; Massenvergewaltigungen nehmen zu. Mädchen werden dadurch abgestempelt und geraten dann leicht in das Rotlichtmilieu. Meine Gesprächspartner sind schon auf das Thema aufmerksam geworden, ich habe sie bestärkt, mehr zu tun, um potenzielle Freier abzuschrecken. Der Gemeinderat will nun an den Senat schreiben, damit er endlich das Prostitutionsgesetz zur Abstimmung bringt."
    Übermorgen werden die unzähligen Mitstreiter die Aktivistin in Paris empfangen. Ein Demonstrationsmarsch soll zum Senat führen. Hicher hofft, dass sie dort von einem Abgeordneten angehört wird:
    "Solange der Senat keine Abstimmung des Gesetzentwurfs ansetzt, werde ich weiterkämpfen. Aber ich bin guter Hoffnung, dass das Thema vorankommt."