Archiv

Frankreich
Befruchtung für alle

Frankreich diskutiert über ein neues Bioethikgesetz. Das sieht unter anderem vor, dass die staatliche Krankenkasse lesbischen Paaren künstliche Befruchtungen bezahlt. Der Verein Manif pour tous und die katholische Kirche protestieren - allerdings schwächer als gegen die Ehe für alle.

Von Suzanne Krause |
    Auf dem Bildschirm verfolgt eine Reproduktionsmedizinerin, wie Spermien in eine Eizelle injiziert werden
    Die staatliche Krankenkasse soll die Kosten der künstlichen Befruchtung für alle Frauen tragen, sagte Frankreichs Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa (imago - Jochen Tack)
    Am Dienstag hat der Verein La Manif pour tous die Presse in ein Pariser Café gebeten. Der Zusammenschluss praktizierender Katholiken, allesamt erbitterte Gegner der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, macht wieder einmal mobil gegen ein Regierungsprojekt. Ein neues Bioethikgesetz sieht unter anderem vor, auch lesbischen Paaren den Zugang zur künstlichen Befruchtung zu öffnen. Dann aber, fürchtet Manif port tous, könnten auch männliche Paare auf Gleichstellung pochen und es könnte Leihmutterschaft genehmitgt werden. Obgleich das, wie Manif pour tous selbst sagt, für Staatspräsident Emmanuel Macron derzeit nicht zur Diskussion steht.
    Bei der Pressekonferenz präsentiert La Manif pour tous einen nordamerikanischen Dokumentarfilm. In 'Big fertility' geht es um eine junge US-Amerikanerin, die sich aus finanziellen Gründen dreimal als Leihmutter verdingte. Sie berichtet von schweren physischen und psychischen Komplikationen. Wasser auf die Mühlen des französischen Vereins: Der Film zeige, wie bestürzend die Realität der Leihmutterschaft sei, sagt Ludovine de la Rochère, Präsidentin von La Manif pour tous.
    "Wir haben die Filmrechte für Frankreich gekauft und die Übersetzung in Form von Untertiteln bezahlt. Abrufen kann man ihn auf einer Pay-Video-Plattform im Internet sowie auf unserer Webpage."
    Mitreißende Bewegung
    Ein rotes Tuch ist für La Manif pour tous die sogenannte 'PMA pour toutes'. Das Kürzel bezeichnet das aktuelle Regierungsprojekt. Es steht für: 'medizinisch assistierte Befruchtung für alle Frauen', also auch für lesbische Paare und Alleinstehende. Angedacht ist zudem, dass Witwen eingefrorenen Samen des verstorbenen Gatten nutzen, Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen dürfen. Diskutiert wird, Samenspender namentlich zu erfassen, künstlich gezeugten volljährigen Kindern Zugang zur Abstammungsakte zu gewähren. Die staatliche Krankenkasse soll die Kosten der künstlichen Befruchtung für alle Frauen tragen, sagte kürzlich Gleichstellungsministerin Marlène Schiappa. Beim Radiointerview gab sie zu:
    "Wir brauchen uns nichts vorzumachen: betreffs der 'PMA pour toutes' werden wir mit der rechten Oppositionspartei keinen Konsens finden."
    Denn Les Républicains ist, als einzige Partei, vehement auf Gegenkurs. Genau wie der Verein La Manif pour tous. Gegründet haben ihn Vorkämpfer der Protestbewegung, die im Herbst 2012 gegen die Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aufkam: praktizierende Katholiken, unterstützt von Bischöfen und Priestern. Die Bewegung riss andere Bürger mit, bald gingen Hunderttausende gegen die Familienpolitik des sozialistischen Staatschefs François Hollande auf die Straße. Im Vordergrund standen damals "christliche Werte", wozu vor allem das traditionelle Familienbild gehört: Vater, Mutter, Kinder.
    Beim Kampf gegen die 'PMA pour toutes' jedoch verzichtet Manif pour Tous auf jeglichen religiösen Bezug. Bei einer Anhörung kürzlich in der Nationalversammlung meinte Vereinschefin Ludovine de la Rochère, es ginge nur um eine Frage:
    "Bestimmt werden muss, ob es betreffs Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Ethik gestattet sein soll, freiwillig und wissentlich ein Kind noch vor der Empfängnis seines Vaters zu berauben."
    Landesweit organisierte Diskussion
    So ähnlich steht es auch in einer einstimmig verfassten Erklärung der katholischen Bischofskonferenz Frankreichs. Künstliche Befruchtung sei per se keine gute Sache, sagt Bischofskonferenzsprecher Vincent Neymon:
    "Generell gesehen wird bei der künstlichen Befruchtung Leben eliminiert, um Leben zu schaffen. Die genetische Handhabung, die Auswahl von Embryonen sind überaus problematisch. Denn bei einem Embryo handelt es sich ja schon um Leben."
    Ihre Glaubenssätze brachte die Kirche bei den vom Staat landesweit organisierten Diskussionen zur Revision des Bioethikgesetzes ein. Ausdrücklich dazu ermuntert hatte Staatspräsident Macron, bei einer außergewöhnlichen Rede im Mai dieses Jahres, auf Einladung der Bischofskonferenz. Ein Schachzug, um Massenproteste von Katholiken gegen das Projekt 'PMA pour toutes' zu verhindern. Vincent Neymon:
    "Das Thema 'PMA pour toutes' versetzt uns nicht in Aufruhr, denn wir haben die Mittel, zu sagen, was wir denken."
    Die meisten Franzosen aber denken anders als die katholische Kirche. Zum einen gilt künstliche Befruchtung bei heterosexuellen Ehepaaren heute als alltäglich. Zum anderen fehle ein religiöser Bezugspunkt, sagt Frederic Dabi. Der stellvertretende Generaldirektor des Meinungsforschungsinstituts IFOP hält fest: Die öffentliche Meinung in Frankreich ist für erweiterten Zugang zur künstlichen Befruchtung.
    "Unsere kürzlich durchgeführte Erhebung zeigt: 63 Prozent der Befragten stimmen dafür. 1999, bei unserer allerersten Umfrage zu diesem Thema, waren nur 24 Prozent dafür, lesbischen Paare und alleinstehende Frauen künstliche Befruchtung zuzugestehen. Seit Einführung der Homoehe ist die Zustimmung hochgeschnellt."
    Spektakulär sei vor allem, sagt Frederic Dabi, dass die Zustimmung nun quer durch die Gesellschaft gehe, durch alle Altersgruppen, sozialen Schichten, Bildungsstände.
    "Die nicht-praktizierenden Katholiken sind zu 62 Prozent für die Ausweitung der Rechte. Bei den praktizierenden Katholiken sind es hingegen nur 43 Prozent, also eine Minderheit."
    Gegen die Ehe für alle waren fast alle praktizierenden Katholiken gewesen. Vergeblich.
    "Lesbischen Paaren und alleinstehenden Frauen künstliche Befruchtung zu gestatten, erscheint da als geringeres Übel. Zudem hat sich nach der Niederlage betreffs der Homoehe eine gewisse Verdrossenheit ausgebreitet, gegen ein Projekt mobil zu machen, das viel nebelhafter erscheint als die Frage, ob man für oder gegen die gleichgeschlechtliche Ehe oder das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Ehepaare ist."
    Ursprünglich für Ende des Jahres angekündigt, wird das Gesetzesprojekt zur 'PMA pour toutes' wohl erst im kommenden Sommer spruchreif sein. Denn derzeit ist der Senat noch auf Gegenkurs - dort haben Les Républicains die Mehrheit. Bei La Manif pour tous hofft man, bis dahin doch noch eine namhafte Protestwelle auszulösen. Aus heutiger Sicht eine Illusion.