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Frankreich
Der Philosophen-Präsident Emmanuel Macron

Der Journalist Brice Couturier zeichnet in seinem Buch "Macron - un président philosophe" - Macron, ein Philosophen-Präsident - nach, wie der französische Präsident zu dem wurde, der er ist: Ein etwas atypischer Eliteschulen-Absolvent, mit ungewöhnlichem geistigen Rüstzeug.

Von Jochen Trum |
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat viele geistige Väter. ( Ludovic MARIN / AFP)
    Emmanuel Macron hat viele Väter. Ob sein Lehrer, der Philosoph Paul Ricoeur, der Frühsozialist Henri de Saint-Simon, der Ökonom Joseph Schumpeter oder die ehemaligen Politiker Jean-Pierre Chevènement und Michel Rocard. Sie alle haben ihren Auftritt in Couturiers Buch, ebenso liberale Vordenker wie John Stuart Mill, Raymond Aron und John Rawls. Auch Kant, Aristoteles und Descartes fehlen nicht, im persönlichen Pantheon Macrons muss demnach ein regelrechtes Gedränge herrschen.
    Und: Hegel, immer wieder Hegel. Wie ein roter Faden zieht sich der wirkmächtige Denker des deutschen Idealismus durch das Buch. Wenn es einen Philosophen gibt, der wie kein anderer das Denken von Macron beeinflusst hat, dann wohl Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der Geschichtsphilosoph, der preußische Staatsdenker, dieser womöglich schwierigste aller schwierigen Philosophen.
    Hegel-Studium prägte Macrons Geschichtsverständnis
    Für die Annahme des Autors spricht in der Tat manches, nicht zuletzt, dass der Student Macron einst eine Arbeit über Hegel verfasst hat. Obgleich die leider nicht öffentlich zugänglich ist, wie der Journalist mit Bedauern anmerkt, so liefert sie doch allein durch ihren Titel Hinweise: "La raison dans l'histoire", also: die Vernunft in der Geschichte. Couturier verwendet ein ganzes Kapitel darauf, nachzuzeichnen, wie das Geschichtsverständnis Macrons, seine Bildung, wie er wörtlich auf Deutsch schreibt, auf Hegel zurückzuführen ist.
    "Ein Mann der Tat, darauf aus, über ein Werkzeug zu verfügen, das ihm erlaubt, seine Epoche zu denken, kann nicht anders als von einem Denker verführt zu werden, der erklärt, dass 'die Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfasst' sei."
    Da ist zunächst Macrons Verständnis seiner eigenen Rolle in der Geschichte. Macron hat ohne Zweifel 2016 erkannt, was die Stunde geschlagen hat. Während sich die politischen Eliten des Landes in althergebrachter Manier gerierten, ergriff er kühn die Chance.
    "Bis vor kurzem haben in der Geschichte Ideologien dominiert, die versuchen, die Rolle des individuellen Akteurs zu verneinen. Im Namen der Sozialwissenschaften [...] hielt [man] die Rolle des Individuums für wenig bedeutsam. Macron [...] glaubt an die Rolle des Willens, an die Fähigkeit der Führer, dem Lauf der Geschichte eine andere Richtung zu geben."
    Macron setzt auf Versöhnung und Symbole
    Geschichte, Nation, Versöhnung - zentrale Begriffe in Macrons Denken. Die Erneuerung Frankreichs kann demnach nur gelingen, wenn sich die Franzosen, tief gespalten, versöhnen lassen. Wenn sich die unterschiedlichen historischen Traditionen, auf die sich jeweils die politische Linke und Rechte berufen, zu einer gemeinsamen Erzählung verbinden lassen. Nur wer die Geschichte als ganze begreift, zieht die richtigen Schlüsse. Macron beanspruche beides, schreibt Couturier, das Erbe der bürgerlich-liberalen Revolution von 1830 UND das der republikanisch-sozialen von 1848.
    Neben Hegel steht - für Couturier nicht weniger bedeutsam - in der Ahnengalerie des Präsidenten Paul Ricoeur. Ricoeur lehrte Philosophie, bei ihm hat Macron studiert, durch ihn sei er zur Politik gekommen. Bei Ricoeur hat der junge Linkshegelianer nach Couturiers Auffassung eine gewisse philosophische Kurskorrektur erfahren, er schreibt gar von einer Entwöhnungskur. Hegel sei ein intellektueller Hypnotiseur, dessen Charme Ricoeur in Teilen zu brechen wusste. Das Wahre ist vernünftig, einer der meistzitierten Sätze Hegels. Nein, sagt Ricoeur. Nach den historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sei diese Behauptung des vernünftigen Ganzen geradezu abscheulich komisch. Unter der Regie Ricoeurs bildet sich also sozusagen die Macron-typische Symbiose aus Hegelschem und Ricoerschem Denken, mit Sinn für Symbole.
    Schon am Abend seiner Wahl mit dem majestätischen Gang quer über den Vorplatz des Louvre zu den Klängen Beethovens wird deutlich: Der junge Mann besitzt ein Gespür für Orte und Handlungen. Spricht in Athen über Hegels Eule der Minerva, vor Jugendlichen an der Sorbonne über Europas Zukunft. Welch ein Unterschied zu Sarkozy und Hollande!
    "So erklärt sich die Sorgfalt, mit der Emmanuel Macron, kaum gewählt, die Funktion des Präsidenten mit Gravität und Formalismus verkörpert, die absichtlich zu dem lässigen Stil seiner beiden Vorgänger in Kontrast stehen, dem hektischen Präsidenten und dem normalen Präsidenten."
    Der Präsident als Zentrist
    Die zweite Hälfte des Buches verwendet der Autor vor allem darauf, einer typisch französischen Leidenschaft zu frönen. Es ist geradezu eine Obsession unserer Nachbarn, Politiker in einem klaren Links-Rechts-Raster zu verorten. Wo also steht Macron? In der Mitte, ein Zentrist, sagt Couturier. Macron habe sich vom 'radical centrism' angelsächsischer Prägung beeinflussen lassen. Pragmatische Politik, die nach den besten Lösungen sucht, auch gegen ideologische Automatismen.
    Ein Reformer also, ein linksliberaler noch dazu, eine Gattung, die in Frankreich geradezu verrufen ist. Hier nun lässt Couturier keinen Zweifel, ja, er gibt sich nicht die geringste Mühe zu verbergen, dass er Macron schätzt, vielleicht sogar bewundert. Dass er ihn auf jeden Fall gegen seine Gegner zu verteidigen gewillt ist, auch gegen die Medien.
    "Diese Minderheit der Besserwisser bevorzugt systematisch die Aspekte, die gegen Reformen sprechen, aus tiefsitzender Feindschaft einem Liberalismus gegenüber, den sie nicht versteht."
    Und dann ist da natürlich noch Macron, der Europäer, inspiriert vom Saint-Simonismus des 19. Jahrhunderts. Wer aber nun glaubt, Macron wolle ein Europa jenseits des Nationalstaats, dem sei Couturiers Analyse empfohlen: Der maßgebliche Handlungsrahmen ist und bleibt für ihn die Nation.
    Die Nähe des Autors zu seinem Protagonisten
    Couturier ist ein Sammler, der Interviews, Reden und Macrons Schriften auswertet. Der Autor, selbst kundiger Kenner der deutschen Geistesgeschichte, zitiert die FAZ mit dem gleichen Selbstverständnis wie zahllose französische und englische Quellen. Mit dem Staatspräsidenten selbst habe es nie ein persönliches Gespräch gegeben. So bleibt vieles Vermutung, aber mit einer gewissen Plausibilität. Warum eine Bibliographie fehlt und angesichts der vielen Namen ein Register, bleibt Geheimnis von Autor und Verlag. Nicht alles ist frei von Widersprüchen, und manche Passagen sind ein wenig langatmig. So sehr die Sympathie für Macron aus nahezu jeder Zeile fließt, so giftig sind bisweilen die Spitzen gegen dessen Gegner.
    "Die vielen, die den Sieg Macrons als das Ergebnis eines Komplotts der Eliten hingestellt haben, als handele es sich um einen Coup [...] oder um eine Verschwörung der Finanzwelt, [...] sind auf dem Holzweg. Da sie den Sinn dessen, was gerade in den Tiefen der französischen Gesellschaft vor sich geht, nicht verstehen, mussten sie einen geheimen Dirigenten erfinden [...] um das Auftreten des Undenkbaren zu rechtfertigen. Die Lektüre Hegels hätte sie von ihrem Irrtum überzeugt: Selbst wenn man bezweifeln kann, dass die Geschichte eine Richtung hat, ist es doch gewiss, dass eine politische Lage einen Sinn hat. Die einen verstehen es, ihn zu erfassen, die anderen nicht."
    Welch eine Wohltat, die geistige Auseinandersetzung mit einem Spitzenpolitiker auf diesem intellektuellen Niveau führen zu können, mit dieser gedanklichen Tiefe. Da kann der deutsche Leser, der noch immer auf eine Regierung wartet, schon mal neidisch werden.
    Brice Couturier: "Macron, un président philosophe"
    Éditions de l'observatoire, 280 Seiten, 18 Euro.