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Frankreich
Der Protest der Polizei

In Frankreich gehen die Polizisten auf die Barrikaden. Sie fordern bessere Ausstattung, mehr Personal, eine konsequentere Strafverfolgung und höhere Strafmaße. Über Personalmangel und zu lange Verfahren klagen auch die französischen Richter. Die Strafmaße halten sie jedoch für ausreichend.

    Französische Polizisten protestieren vor dem Justizpalast in Paris
    Französische Polizisten protestieren vor dem Justizpalast in Paris (dpa/Thomas Padilla)
    Seit Monaten herrscht Unruhe in Frankreich: Nach stürmischen politischen Auseinandersetzungen, nach heftigen Demonstrationen und Streiks gehen nun auch noch die Polizisten auf die Straße. Ein brutaler Angriff auf vier Polizisten löste diese Wut aus: In der Vorstadt La Grande Borne im Süden von Paris hatten am 8. Oktober ungefähr 20 Vermummte zwei Polizeifahrzeuge gestoppt, hatten Brandsätze ins Wageninnere geworfen und die Polizisten für kurze Zeit daran gehindert auszusteigen. Alle vier wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Die Täter flüchteten, erst gestern wurde ein Verdächtiger festgenommen.
    Spontane Aufmärsche vor Rathäusern und Gerichtsgebäuden
    Seither herrscht Aufruhr in der Polizei, kommt es immer wieder zu per SMS organisierten privaten Treffen, kommt es zu spontanen auch größeren Aufmärschen an exponierten Plätzen in mittlerweile vielen Städten Frankreichs. Schweigend stehen Polizisten inzwischen bald regelmäßig immer Dienstagmittag vor Rathäusern und Gerichtsgebäuden und geben, beiseite genommen, unter Wahrung der Anonymität auch Interviews.
    Polizist 1: "Ehrlich gesagt: das schwelt schon lange unter der Oberfläche. Das hat schon vor mehreren Jahren angefangen. Und das muss sich ändern: diese Verbitterung, diese inzwischen komplette Ermüdung auch."
    Polizist 2: "Wenn die Regierung nicht begreift, dass sich etwas verändern muss, dann wird’s richtig hart. Denn wir werden nicht aufhören."
    Schlechte Ausstattung und Stellenstreichungen
    Entschlossen fordern Mitarbeiter der Police nationale wie solche der Gendarmerie nationale, eine Polizeitruppe von Verteidigungs- und Innenministerium, eine Revision der gesamten Polizeiarbeit. Von der Ausstattung der Kommissariate über die Ausrüstung und die Bewaffnung bis hin zu den Fahrzeugen reicht die Kritik. Seit Jahren werde gespart. 12.000 Stellen seien gestrichen worden, während die Aufgaben doch immer anspruchsvoller und gefährlicher geworden seien.
    Polizist 3: "Wir brauchen mehr Personal, wir brauchen bessere Ausrüstung, damit wir unsere Mission auch erfüllen können: eine gute Polizeiarbeit!"
    Polizist 4: "Es gibt auch keine Anerkennung. Die brauchen wir auch wieder. Das ist natürlich nicht das Wichtigste, aber sie lässt einen doch ganz anders arbeiten.
    Die Justiz im Zentrum der Kritik

    Schnell richtete sich der Zorn der Polizisten und Gendarmen auch gegen die Justiz: viel zu nachsichtig sei sie.
    "Wir haben sowas von die Schnauze voll! Unsere Kollegen werden schwer verletzt, wir wollen, dass die Justiz ihre Arbeit macht und die Täter bestraft werden, aber die Typen kriegen gar nichts! Wir haben den Eindruck völliger Straffreiheit! Wir wollen, dass die Polizisten beschützt werden! Wenn ein Polizist verletzt wird, und der Täter wird nicht bestraft, da hat doch keiner mehr Angst vor der Polizei! Und dabei sollen und wollen doch wir unsere Mitbürger beschützen!"
    Von "übergroßer Milde" könne keine Rede sein, heißt es bei den Verbänden der Richter und Staatsanwälte. Celine Parisot im Sender BFM:
    "Der Vorwurf der Milde ist unbegründet, im Gegenteil, die Urteile werden härter, die Haftzeiten länger. Zum Problem wird, dass die Gesetze für die Minderjährigen natürlich nicht so streng sind wie für die Erwachsenen. Und da haben wir halt unterschiedliche Philosophien: Minderjährige, Erwachsene. Die Polizei sieht vielleicht zunächst mal vor allem Delinquenten, die festgenommen wurden!"
    Auch Richter klagen über Personalmangel
    Die Zahl der Verfahren hätte nicht nur sehr zugenommen, klagen die Richter, wegen Personalmangels würden sich die Bearbeitungszeiten auch immer mehr in die Länge ziehen, Haftstrafen könnten mittlerweile sehr oft erst lange nach der Verurteilung vollstreckt werden: auch das könnte bei der Polizei den Eindruck erwecken, viele Täter gingen straffrei aus.
    Zu teilweise tumultartigen Szenen kam es, nachdem Innenminister Cazeneuve wegen der Demonstrationen mit disziplinarischen Maßnahmen gedroht hatte. Der Generaldirektor der Nationalen Polizei, Jean-Marc Falcone, wurde im Verlauf einer Krisensitzung ausgebuht, später wurde sein Auto blockiert, minutenlang saß der höchste Polizist des Landes fest. Inzwischen zeigt sich der Innenminister umgänglicher; im ganzen Land kommt es immer öfter zu Sympathiebekundungen für die Polizei – und den Präsidentschaftswahlkampf hat das Thema auch längst erreicht. Der Front National spricht von einer "legitimen und gesunden" Unzufriedenheit bei den Sicherheitskräften, Nicolas Sarkozy von den Republikanern sagte zu, als Präsident werde er für "automatische Haftstrafen ohne Bewährung" für all diejenigen sorgen, die Polizisten angreifen würden.