Frankreich: Erdrutsch-Sieg des Front National
Alles nur Protest-Wähler?

Es ist ein Debakel für Frankreichs etablierte Parteien: Erstmals ist der rechtsextreme Front National von Marine Le Pen stärkste Kraft geworden. Das Ergebnis schockiert viele Franzosen – andere sind sehr zufrieden: In der Gemeinde Martres-Tolosane erzielt der FN seit Jahren überdurchschnittlich gute Wahlergebnisse.

Von Birgit Kaspar |
    Sonntagvormittag in Martres-Tolosane. In der südwest-französischen Bastide, die für ihre Faience-Kunst bekannt ist, scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. An den gepflegten alten Häuserfassaden hängen Kübel mit bunten Blumen, Kinder spielen fröhlich in engen Gassen. Dabei sei der Ort gar nicht reich, betont Stéphanie Joffre, die Vorsitzende der Vereinigung der Faienciers. „Aber die Gemeindeverwaltung unterstützt die lokale Wirtschaft, das Zentrum wird renoviert, damit die kleinen Geschäfte bleiben. Es herrscht unter uns eine gewisse Solidarität." Dadurch bleibt die Stimmung harmonisch, obwohl die Arbeitslosigkeit bei rund 14 Prozent über dem nationalen Durchschnitt liegt.
    Vor dem Festsaal der Gemeinde treffen sich die Martrais zum fröhlichen Plausch, bevor sie drinnen ihre Stimmzettel in die Urnen stecken. Der Rentner Jean-Louis findet die Wahlen halbwegs wichtig: „Man muss sich wohl dafür interessieren, auch wenn man nicht total hinter der EU steht. Es gibt sie nun mal, Europa ist unsere Zukunft und wir werden das Rad nicht zurückdrehen."
    Ärger über vermeintlichen Sozial-Tourismus
    Der 52-jährige Zollbeamte Christian hat einen Wunsch, der von vielen geteilt wird: „Brüssel sollte die Eigenheiten jedes einzelnen Mitgliedslandes stärker berücksichtigen. Wir wollen unsere eigenen Werte behalten." Ein anderes beliebtes Thema ist die Immigration. Obwohl es in Martres-Tolosane selbst gar keinen hohen Ausländeranteil gibt. Ein Wähler, der seinen Namen nicht nennen will, klagt: „Es kommen viel zu viele Ausländer nach Frankreich, weil sie hier finanziell unterstützt werden. Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet, ich habe nur eine bescheidene Rente. Viele, die zu uns kommen, erhalten das gleiche Geld, obwohl sie nie etwas in Frankreich geleistet haben."
    Es ist dieser Unmut, den der Front National erfolgreich ausschlachtet. In Martres kam die Partei Marine Le Pens sogar auf 33 Prozent. Doch nur wenige Martrais machen sich deshalb große Sorgen. Der ehemalige Schreiner Jean-Louis sieht darin vor allem einen politischen Protest. „Es beunruhigt mich nicht. Weil die Franzosen in Wirklichkeit weder Rassisten sind, noch sind sie ausländerfeindlich." Der Zollbeamte Christian findet die Entwicklung traurig. Aber auch er glaubt nicht, dass seine Landsleute sich plötzlich zu überzeugten Rechtsextremen gewandelt hätten. „Vielleicht sind die Leute von den großen Parteien so enttäuscht, dass sie nicht mehr wissen, wohin sie sich wenden sollen."
    Ausländerfeinde nur eine Minderheit
    Carole Delga, die sozialistische Bürgermeisterin von Martres, ist zugleich Parlamentsabgeordnete in Paris. Am Abend eines langen Wahltages sorgt sie sich sehr um die Zukunft Frankreichs. „Nur die Minderheit der Stimmen für den Front National entspringen einer faschistischen Überzeugung, aber es gibt sie und das ist unerträglich. Die meisten anderen sind einfach desorientiert." Viele Bürger in Martres-Tolosane seien wertkonservativ und sie fänden offensichtlich bei den traditionellen Parteien wie den Sozialisten keine Antworten mehr auf ihre Fragen. „Wir müssen uns nun infrage stellen und diesen Menschen, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen, neue Antworten geben."