Die Zahlen zur Einwanderung kennt Eric Zemmour genau. 2019 seien 275.000 Migranten legal nach Frankreich gekommen, rechnet der schmächtige Mann vor. Er wuchs selbst als Kind einer Familie algerisch-jüdischer Abstammung in einem Pariser Vorort auf. Der Publizist nennt außerdem die Zahl der jährlichen Asylanträge und illegalen Einwanderer und kommt dann zum Ergebnis.
"Am Ende der 5-jährigen Amtszeit von Emmanuel Macron werden wir 2 Millionen Ausländer mehr im Land haben, die zum Großteil aus dem Maghreb und Schwarz-Afrika kommen. Man muss diesen Wahnsinn stoppen."
Diese Einwanderer ordnet Zemmour dem Islam zu, der seiner Meinung nach unvereinbar ist mit französischen Prinzipien. Muslime in Frankreich sollten sich vom Islam lossagen für eine – so sagt Zemmour - "christliche" Ausübung ihrer Religion. Seine Reden und Veröffentlichungen bescheren Zemmour viel Aufmerksamkeit. Sein neuestes Buch mit dem Titel "Frankreich hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen" erreicht Rekord-Verkaufszahlen. Seinen Erfolg erklärt sich Zemmour selbst so.
"Ich sehe mir die katastrophale Lage Frankreichs an. Die Gefahr, dass das Land stirbt durch einen Austausch der Bevölkerung, durch einen Austausch der Zivilisation. Und ich merke, dass es zehntausende oder sogar Millionen gibt, die die gleiche Sorge wie ich haben und meinen, dass das die existenzielle Frage ist, die die gesamte politische Klasse nicht sieht."
Warnung vor einem Bürgerkrieg
Eric Zemmour ist Talkshow-Liebling, denn seine Polemik sorgt für hohe Einschalt-Quoten. Neben der starken medialen Aufmerksamkeit sieht der Politikwissenschaftler Dominique Reynié weitere Gründe für Zemmours Aufstieg.
"Das passt zu einem Teil der französischen Gesellschaft, in der es einen Rechtsruck gegeben hat. Die Sorge um die Sicherheit, Migration, Integration und Islam – das alles sind Probleme, die ein Fetisch von Eric Zemmour sind. Und das passt wiederum zu einer Abnutzung der Politik von Marine Le Pen."
Die Präsidentschaftskandidatin des extrem rechten Rassemblement National fährt seit Jahren einen Kurs der Normalisierung ihrer Partei – in der Hoffnung mehr Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Allerdings bringt ihr dies auch die Kritik ein, sie sei zu wenig radikal. Davon profitiert Zemmour, der sich ganz und gar nicht weichgespült gibt. Er warnt vor einem Bürgerkrieg und argumentiert, es gehe um die Zukunft des französischen Volkes und somit um Leben oder Tod. Bereits zweimal wurde Zemmour von Gerichten verurteilt: wegen Anstiftung zum Hass gegen Muslime und Anstiftung zu rassistischer Diskriminierung. In einem kontroversen Interview wirft ihm ein Moderator Besessenheit vor.
"Obsession – oui obsession."
Ja, Besessenheit, gibt Zemmour zu.
"Wir werden belagert. Also ist das meine Besessenheit. Ich fühle mich belagert wie alle Franzosen. Schauen Sie sich die Umfragen an! 70 bis 80 Prozent der Franzosen sagen: wir leben heute nicht mehr in Frankreich. Was ich sage ist also zentral. Jene, die das Gegenteil behaupten, sind in der Minderheit. Aber sie merken das nicht – weder die Medien noch die Politik."
Mittlerweile äußert sich Zemmour auch wirtschaftspolitisch oder zu Bildung und Umweltschutz. In Interviews und Diskussionen landet er aber immer wieder schnell bei der Einwanderung. Zu der Frage, ob Zemmour einen Wahlkampf mit vor allem einem Themenkomplex bestreiten könnte, sagt Politikwissenschaftler Reynié: "Erst einmal trägt ihn das. Aber natürlich kann es ihn auch begrenzen."
Kampfansage an Marine Le Pen
Ein politisches Erdbeben melden die französischen Medien Anfang Oktober. Zum ersten Mal überholt Eric Zemmour – obwohl noch gar nicht Präsidentschaftskandidat – in einer Umfrage Marine Le Pen. Damit könnte Zemmour in die Stichwahl zur Präsidentschaft einziehen – nach jetzigem Stand gegen Amtsinhaber Emmanuel Macron. Marine Le Pen würde das um ihre Chance auf eine Neuauflage des Duells Le Pen - Macron bringen. Die langjährige Politikerin gibt unumwunden zu, dass ein Präsidentschaftskandidat Zemmour eine Gefahr für sie wäre.
"Ich sage ihm also: Eric Zemmour, Sie sind ein respektierter Publizist und Schriftsteller, auf den man hört. Schwächen Sie das nationale Lager nicht. Ich weiß, dass Sie ihm verbunden sind."
Aber auch das bürgerlich rechte Lager ist verunsichert. Noch steht nicht fest, wer dort Kandidatin oder Kandidat für die Präsidentschaftswahl wird. Der Ton zu den Themen Migration und Sicherheit verschärft sich aber auch hier. Für den Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experten, Jean-Yves Camus, ein Beleg dafür, "dass einige Ideen, für die Eric Zemmour steht, bei der politisch Rechten Gefallen finden – gar nicht unbedingt bei den extremen Rechten."
Warum es so weit gekommen ist, analysiert Politologe Dominique Reynié: "Die große Schwierigkeit und das große Manko des politischen französischen Systems ist, dass die Sorgen vieler Franzosen um Migration, Integration und das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen von der staatlichen Politik nicht aufgegriffen wurden. Es ist kein Thema über das man in Ruhe und angemessen reden kann. Man hat das Polemikern überlassen, die daraus ein politisches Projekt konstruieren."