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Frankreich
Erste Schritte eines Parlament-Neulings

Der neue Präsident Emmanuel Macron hat den politischen Umbruch versprochen. Und der beginnt nun auch in der Nationalversammlung: Drei Viertel der Abgeordneten sind politische Neulinge. Eine von ihnen ist Anne Genetet.

Von Suzanne Krause |
    Die Abgeordnete Anne Genetet an ihrem ersten Tag in der Nationalversammlung.
    Die Abgeordnete Anne Genetet an ihrem ersten Tag in der Nationalversammlung. (Deutschlandradio / Suzanne Krause)
    Anne Genetet durchquert den Hinterhof, der zum Palais Bourbon führt, dem Sitz der Nationalversammlung. Sie war bereits für die Einschreibformalitäten hier, setzte zum allerersten Mal in ihrem Leben einen Fuß in die Assemblée Nationale. Begleitet von einem Bediensteten, der sie, wie alle Neulinge, in die Geschichte des Ortes einführte. Anne Genetet sagt, sie habe jedes seiner Worte aufgesogen.
    "Ich möchte verstehen, welche Tragweite die Institution hat, wer unsere Vorgänger sind. Dieses Wissen verleiht uns schon ein Gefühl großer Verantwortung. Man hat gewissermaßen den Eindruck, in die Geschichte einzugehen. Das ist wichtig."
    Appell an die Frauen
    Vor einem Jahr noch wäre es für Anne Genetet unvorstellbar gewesen, dass sie nun in der Nationalversammlung die Geschicke ihrer Heimat mitlenkt. Die 54-Jährige Ärztin lebt mit ihrer Familie seit 2005 in Singapur, setzt sich für sozial Schwache ein. Einer Partei beitreten wollte sie nie. Doch als der neue Staatspräsident Emmanuel Macron im April letzten Jahres seine Bewegung gründete, horchte sie auf. Und als Macron im Januar an die Frauen appellierte, sich ihm anzuschließen, fühlte Anne Genetet sich angesprochen. Sie trat als Kandidatin für En Marche im räumlich größten Wahlbezirk der Auslands-Franzosen an. Der umfasst Osteuropa, Asien und Ozeanien. Einen knappen Monat lang war Genetet auf Tournee durch 10 Länder, 15 Städte, von Peking über Sydney, Tokyo, Delhi bis Manila. Und fegte ihren konservativen Gegenspieler, politisch ein alter Hase, aus dem Rennen. Nun entdeckt Genetet ihren neuen Alltag in der Nationalversammlung.
    "Der Empfang hier ist so herzlich und aufmerksam, fast schon mütterlich. Auf uns wartet ungeheuer viel Arbeit. Aber das Risiko ist groß, dass wir uns in diesem Gebäude abschotten, in dieser geschützten Blase, die uns ermöglicht, effizienten Einsatz zu bringen. Wir müssen aufpassen, dass wir den Kontakt zur Wirklichkeit nicht verlieren."
    Seminare für Nachwuchspolitiker
    Noch am vergangenen Wochenende wurden Nachwuchspolitiker wie Anne Genetet bei einem Seminar auf den Kurs von La République en marche und die Regierungspolitik eingeschworen. Außerdem hat Anne Genetet Kontakt zu einem Verein ehemaliger Parlamentarierinnen aufgenommen, der neuen weiblichen Abgeordneten beratend zur Seite steht. Der Frauenanteil im Parlament liegt nun bei knapp 40 Prozent. Doppelt so hoch wie noch vor zehn Jahren. Ein kompletter Umbruch.
    "Die einschneidende Erneuerung des Parlaments beängstigt manche. Mich nicht. Ich denke, dieser Wandel sorgt für frischen Wind. Vor einigen Tagen sagte einer meiner Mitarbeiter: 'sicher, wir kennen die Verhaltenscodes nicht. Umso besser, wir werden neue erfinden'."
    Anne Genetet kann es kaum abwarten, ihre Arbeit als Volksvertreterin aufzunehmen, sich in Kommissionen für eine Wende im Land stark zu machen.
    "Seit ich das erste Mal wählen durfte, habe ich nur Parteien kennengelernt, die sich bei jeder Aussage auf den politischen Gegner bezogen, um ihn niederzumachen. Was sie auch immer vorschlugen, provozierte eine Gegenreaktion, ohne die Sache per se voran zu bringen. Und jetzt, auf einen Schlag, sind wir nicht mehr im Reaktionsmuster der systematischen Opposition!"
    Plötzlich stolz auf Frankreich
    Ihrem Land dienen will die junge Abgeordnete. Sie träumt von mehr sozialer Gerechtigkeit in der Gesellschaft, davon, dass sich Frankreich der Welt öffnet.
    "Meine ausländischen Freunde kamen zu mir und sagten: 'Wow, dein Präsident! Unglaublich!' Und als ich in ihren Blicken Bewunderung für uns sah, übermannte mich ein Stolz, den ich in den dreizehn Jahren, die ich nun im Ausland lebe, nie gekannt hatte."