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Frankreich
"Hollande steht mit dem Rücken zur Wand"

Mit der angekündigten Reform des Sozialstaats versucht Frankreichs Präsident seine bisher erfolglose Präsidentschaft zu retten, sagt Hans Stark von der Pariser Sorbonne-Universität im Deutschlandfunk. Einen anderen Weg gebe es für ihn nicht mehr.

Hans Stark im Gespräch mit Gerd Breker |
    Francois Hollande bei der Pressekonferenz in Paris
    Francois Hollande steht medial unter Druck: Jetzt will er mit einer Reform des Sozialstaats Handlungsfähigkeit beweisen. (dpa / picture-alliance / Ian Langsdon)
    Peter Kapern: Francois Hollande, der Zögerer und Zauderer im Elysée-Palast. Der Mann, der das Vertrauen seiner Landsleute in Rekordzeit verspielt hat. Wird er jetzt doch noch zum tatkräftigen Reformer, der unseren wirtschaftlich gebeutelten Nachbarn den Weg zur ökonomischen Genesung weist? Gestern hielt er also eine riesige Pressekonferenz in Paris ab. Schon im Vorfeld war durchgesickert, er wolle dort eine Wende vollziehen. Ein enorm wichtiger Termin in der französischen Hauptstadt, der dann doch überschattet zu werden drohte von der Affäre des Staatschefs mit einer Schauspielerin.
    Gestern Abend hat mein Kollege Gerd Breker mit Hans Stark, dem Experten für die deutsch-französischen Beziehungen, von der Sorbonne über Francois Hollandes Reformkonzept gesprochen, und zuerst wollte er wissen, ob Francois Hollande nun versucht, der Gerhard Schröder Frankreichs zu werden.
    Hans Stark: Francois Hollande will Frankreich reformieren. Er outet sich schon als Sozialdemokrat, was manchmal in Frankreich ein Schimpfwort ist. Man ist ja in Frankreich, wenn man links ist, Sozialist und nicht Sozialdemokrat. Aber er wird sich nie offen zu Gerhard Schröder bekennen werden, denn das würde man ihm wirklich übel nehmen. Das hieße nämlich, dass Francois Hollande einfach die Reformen von Gerhard Schröder übernimmt, und das würde in dem hiesigen Kontext einfach nicht klappen. Frankreich ist ganz anders gestrickt, die Wirtschaft ist anders. Das kann er also nicht machen. Aber er wird sicherlich Frankreich in der Form reformieren, ähnlich wie Schröder es gemacht hat.
    Gerd Breker: Nun hat er erklärt, die Wirtschaft solle um 30 Milliarden Euro an Sozialleistungen, an familienpolitischen Leistungen entlastet werden. Ist das überhaupt noch ein Sozialist, der das erzählt?
    Stark: Gerhard Schröder war als Sozialdemokrat 2003 dran und hat Hartz IV gemacht. Das ist genau das Gleiche. Nein! Diese Frage wurde ihm übrigens auch gestellt. Tatsache ist, dass die Situation, die wirtschaftliche in Frankreich so angespannt ist: Frankreich ist dermaßen in Gefahr, jetzt wirtschaftlich nicht nur ins zweite, sondern in das dritte Glied zu rücken in der Europäischen Union, dass Hollande gar keine andere Wahl hat, als das Land zu reformieren – nicht zuletzt, um das, was noch zu retten ist vom Sozialstaat Frankreich, zu behalten, denn sonst würde das alles zusammenkrachen.
    Breker: Der Unternehmerfreund Hollande hatte schon für seine Neujahrsansprache Lob aus der Wirtschaft erhalten. Aber kann er denn auf diese Art und Weise auch die Gewerkschaften für sich gewinnen?
    Stark: Nein. Die Gewerkschaften werden sicherlich opponieren gegen diese Entwicklung. Die Gewerkschaften sind allerdings auch nicht so mächtig wie etwa in Deutschland. Nur jeder fünfte französische Arbeitnehmer ist gewerkschaftlich engagiert. Auf der anderen Seite sind die Gewerkschaften aber in der Lage, Demonstranten auf die Straße zu bringen, um die Straße an sich zu mobilisieren gegen die Politik. Das geht aber nur, wenn die Gewerkschaften dafür auch die Unterstützung der sozialistischen Partei haben, und das würde bedeuten, dass die sozialistische Partei sich gegen ihren eigenen Präsidenten stellt, und ich glaube, das wird sie nicht tun.
    "Die Sozialisten werden diese Wahlen haushoch verlieren"
    Breker: Kann denn Sozialpartnerschaft, wie wir sie in Deutschland kennen, in Frankreich überhaupt funktionieren?
    Stark: Das wird schwierig. In der Tat hat Frankreich keine Kultur der Sozialpartnerschaft. Das heißt, dass Hollande eigentlich im Zeitraffer das machen muss, wofür Schröder zwei Mandate gehabt hat. Schröders erstes Mandat – erinnern Sie sich, '98/2002, hatte zum Inhalt das Bündnis für Arbeit. Da wurde vier Jahre lang diskutiert zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern. Und als das alles nichts fruchtete, hat er Peter Hartz aus dem Hut gezogen als Kaninchen und die Hartz-Regeln aufgebaut in seinem zweiten Mandat ab 2002. Er hatte also sieben Jahre Zeit.
    Hollande hat keine sieben Jahre mehr Zeit. Er hat nur noch zweieinhalb Jahre bis zu den nächsten Wahlen, also knapp drei, und die Situation ist vor allen Dingen viel, viel angespannter als damals in Deutschland. Frankreich hat fast 95 Prozent Staatsschulden, die Arbeitslosigkeit liegt bei über elf Prozent und es hat ein Außenhandelsdefizit von 60 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Es sieht nicht gut aus.
    Breker: Der französische Präsident hatte angekündigt, die Staatsausgaben, sie sollten beträchtlich gesenkt werden. Zugleich will er das französische Sozialmodell erhalten. Das klingt so, als sollte hier ein Kreis quadriert werden.
    Stark: Na ja, das ist auch ein bisschen natürlich der Tatsache geschuldet, dass in Frankreich man keine britischen oder angelsächsischen Verhältnisse haben will, also keinen Manchester-Kapitalismus. Die Franzosen sind stolz auf ihr soziales System, sie sind stolz auf das republikanische System, das eine Schulausbildung den Menschen ermöglicht, allen Menschen ermöglicht einen freien Zugang zur Krankenversorgung und so weiter, und natürlich auch eine einigermaßen angemessene Rentenpolitik. Das alles kann und darf eigentlich Hollande nicht radikal infrage stellen. Aber er muss abspecken. Er muss den Staat abspecken, er muss bei den Gebietskörperschaften außerhalb von Paris auch den Rotstift ansetzen, weil Frankreich erheblich über seine Verhältnisse lebt. Die Staatsausgaben liegen bei 57 Prozent des Bruttosozialprodukts, und das ist ein Rekord in Europa.
    Breker: Herr Stark, ist die Zeit für diesen Pakt der Verantwortung günstig? Das konservative Lager ist mit sich selber beschäftigt und recht zerstritten, die Rechtsradikalen sind im Moment der gefährlichste Gegner für die Sozialisten. Ist das ein günstiger Zeitpunkt für solch einen Schritt?
    Stark: Ich glaube, da hat er gar keine andere Wahl. Aber erst mal wie gesagt: Das bürgerliche Lager ist in der Tat zerstritten. Jedoch bereitet sich Nicolas Sarkozy auf sein Comeback vor. Nicolas Sarkozy will es noch mal wissen und wird sehr wahrscheinlich 2017 Francois Hollande herausfordern. Die Radikalen in Frankreich sind in der Tat sehr stark geworden, haben aber eigentlich keine Möglichkeit, eine Mehrheit hinter sich zu versammeln, sodass Hollande durchaus noch die Möglichkeit hat, Politik zu machen. Er hat eine Mehrheit im Parlament, er hat eine Mehrheit im Senat, er hat auch noch eine Mehrheit in den Gebietskörperschaften, also in den Regionen, in den Departements. Er kann Politik gestalten, das "Window of Opportunity" ist da, man würde es ihm sogar vorwerfen, es nicht zu versuchen. Und vor allen Dingen: Er steht mit dem Rücken zur Wand. Wir haben in drei bis vier Monaten Europawahlen hier in Frankreich und wir haben auch Regionalwahlen, Kommunalwahlen vor allen Dingen, und beide Wahlen werden sehr wahrscheinlich ein Fanal werden für Hollande. Mit anderen Worten: Die Sozialisten werden diese Wahlen haushoch verlieren. Was kann er mehr tun, als alles aufs Spiel setzen und versuchen, Frankreich zu reformieren.
    Kapern: Mein Kollege Gerd Breker im Gespräch mit Hans Stark, dem Experten für deutsch-französische Beziehungen, von der Sorbonne in Paris.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.