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Frankreich in Aufruhr
Stimmung könnte sich gegen Streiks wenden

Der Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, Frank Baasner, rechnet damit, dass die öffentliche Unterstützung für die Streiks nicht mehr lange anhalten wird. Im Deutschlandfunk sagte er, Randalemacher als Trittbrettfahrer könnten die Stimmung zum Kippen bringen. Dazu Terror, Attentatsgefahr und Hooligans – alles zusammen setze die französische Polizei unter Druck.

Frank Baasner im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Vermummte auf der Straße, dazwischen Qualm, einer holt zum Werfen aus
    Einige Demonstrationen gegen das neue Arbeitsrecht in Frankreich arten in Gewalt aus, wie hier am Dienstag in Paris. (picture alliance / dpa / MAXPPP)
    Thielko Grieß: Es geschieht alles mehr oder weniger gleichzeitig. In Frankreich fallen im Fußball Tore, in Frankreich zertrümmern Hooligans Tische und Stühle und einander die Schädel, es ersticht dort auch ein islamistisch radikalisierter Franzose zwei Menschen, und in Frankreich laufen nach wie vor Großdemonstrationen gegen die Arbeitsmarktreform. Das Land ist weit entfernt von einer Art Normalzustand, es ist verunsichert.
    Damit gehen wir nach Ludwigsburg. Dort begrüße ich Frank Baasner, den Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg. Herr Baasner, guten Tag.
    Frank Baasner: Guten Tag.
    Grieß: War die innere Sicherheit in Frankreich schon einmal in einer größeren Krise?
    Baasner: Was man in der Tat beobachten kann ist, dass so viele Sachen zusammenkommen, und von daher kumuliert sich eigentlich ein Problem, was einzeln gesehen schon schlimm genug wäre, Terror, Attentatsgefahr, sehr gewalttätige Gewerkschaften, Randalierer, jetzt die Hooligans. Das alles zusammen setzt natürlich die französische Polizei fürchterlich unter Druck und die Mobilisierung war ja schon durch die Anti-Terror-Maßnahmen, Ausnahmezustand, stärkere Überwachung enorm. Die Polizei hat Millionen Überstunden angesammelt, die kann man wirklich nicht beneiden. Deswegen ist ja umso erfreulicher, wenn es dann doch Versuche gibt, sie zumindest bei den Fußballthemen etwas zu unterstützen.
    Grieß: Was meinen Sie damit?
    Baasner: Wenn die deutsche Polizei zum Beispiel da versucht, zumindest diesen Teil der Sicherheitsproblematik mit zu bearbeiten, dann ist das, glaube ich, schon eine gute Geste.
    Grieß: Indem man Hooligans aus Deutschland schon an der Grenze stoppt, oder wie meinen Sie das?
    Baasner: Das könnte man so machen. Man kann einfach auch überhaupt darüber diskutieren, das findet ja auch statt, da war Europa sicherlich ein bisschen langsam, dass man überhaupt die Zusammenarbeit zwischen den ganz verschiedenen Sicherheitsorganisationen wie Polizei, aber auch wie Erkennungsdienste, wie Geheimdienste, dass man das einfach mehr zusammenbindet. Denn die Probleme, die Frankreich jetzt hat, die gibt es ja vielleicht nicht in der Ballung, aber jedes einzelne genommen durchaus auch in anderen europäischen Staaten.
    "Randalemacher, die einfach Gewalt ausüben wollen"
    Grieß: Bleiben wir vielleicht bei diesem Angriff auf das Kinderkrankenhaus, den unser Kollege aus Paris gerade geschildert hat. Ist das eine Ausschreitung, bei der sich Gewalttäter auf ein politisches Thema, auf eine Demonstration draufsetzen, diese Gelegenheit nutzen, um sich dann zu prügeln?
    Baasner: Ganz offensichtlich. Das sind eigentlich die berühmten schon angesprochenen Casseurs, Randalemacher, die einfach Gewalt ausüben wollen. Ich würde mal die Prognose wagen, dass die Stimmung durch so etwas dann auch gegen die Demonstrationen kippt, obwohl es eigentlich nichts miteinander direkt, kausal, politisch zu tun hat. Und wenn der Premierminister jetzt schon sagt, die CGT, die ja maßgeblich für diese Streiks steht - die anderen Gewerkschaften sind ja gar nicht auf dieser Linie -, wenn der Premierminister die schon dringend auffordert, vielleicht dann doch diese Demonstrationen in Paris zumindest zu unterlassen, dann hat das ja schon doch eine ziemliche Signalwirkung.
    Grieß: Eine politische Botschaft haben die Casseurs nicht?
    Baasner: Nicht, dass ich wüsste. Aber gucken Sie mal, in anderen Ländern gibt es das auch. Die heißen dann ein bisschen anders. Das sind dann autonome Gruppen, die einfach aus Prinzip immer auch vermummt Gewalt ausüben. Ich glaube, da ist nicht viel politische Botschaft.
    Grieß: Sie haben die Demonstrationen und die Streiks auch schon angesprochen, auch die Gewerkschaft CGT. Der Streik, die Streikmaßnahmen, die Demonstrationen, die dauern nun schon seit Wochen an. Ich habe gelesen, dass Sie, Herr Baasner, in einem anderen Interview vor einigen Tagen einen Kollaps dieser Streiks erwarten. Wie kommen Sie zu dieser Prognose?
    Baasner: Weil es eine Minderheit ist. Jetzt ist das Gesetz, um das es da angeblich geht, das zum Anlass genommen wird, sehr systematisch auch gegen die Regierung überhaupt zu streiken, im Senat gestern, glaube ich, bearbeitet worden, abgestimmt worden. Es wird in Kraft treten. Und durch solche Aktionen wie die Angriffe auf das Krankenhaus, was im Kopf der Menschen natürlich gemeinsam mit den Demonstrationen der CGT wahrgenommen wird, auch wenn es, wie gesagt, nicht die CGT-Mitglieder selbst waren, die so gehandelt haben, das wird die Stimmung gegen diese Minderheit noch einmal, ich möchte das unterstreichen, die da streikt, dann doch umkehren. Meine Prognose ist weiterhin, das wird sich nicht ewig halten können.
    Grieß: Aber die Gewerkschaft wird sich nicht die Chance nehmen lassen, während der Europameisterschaft noch möglichst schlagzeilenträchtig möglichst viel zu blockieren?
    Baasner: Das kann sein. Das kann sein. Ich weiß nicht, welche Strategie die im Detail verfolgen. Wichtig ist für ein deutsches Publikum zu wissen, dass die zweite große Gewerkschaft, die CFDT, einen Reformkurs fährt. Die ist verhandlungsbereit, die ist auch nicht dabei, wenn es darum geht, auf Teufel komm raus jetzt diese, alles andere als revolutionären Änderungen im Arbeitsrecht und Kündigungsschutz zu verhindern. Die sind verhandlungsbereit und deswegen ist es wirklich, glaube ich, nur doch eine relative Minderheit, auch wenn die sehr lautstark auftritt.
    Öffentliche Meinung ist schwankend
    Grieß: Wie schaut es aus mit der öffentlichen Meinung? Auf welcher Seite steht die?
    Baasner: Na ja, die halt ist schwankend. Und öffentliche Meinung, da ist die Frage, wovon redet man da. Redet man von Wahrnehmung seitens der Bevölkerung, das ist dann eher so eine kollektive Stimmung, und da kann ich mir sehr gut vorstellen, dass nach so einem Angriff wie auf das Krankenhaus dann eben plötzlich auch die Stimmung gegen die Demonstrationen, gegen die Streikfront kippt. Wie die Presse jetzt damit umgeht, muss man einfach abwarten, wie differenziert dann berichtet wird, aber ein Land lahmzulegen, nur um es lahmzulegen, wo man doch wirklich eine Minderheit vertritt, das wird auf Dauer keine Unterstützung finden.
    Grieß: Ich hatte jetzt an Umfragen gedacht zum Beispiel, ob es die gibt.
    Baasner: Ich habe jetzt noch keine gesehen. Das wird sicherlich kommen. Heute oder morgen wird es eine geben, die die Stimmung misst. Das wird man dann schnell sehen. Wenn Sie die Quote derer, die sich an den Streiks aktiv beteiligen, selbst bei so einem streikfreudigen Unternehmen wie der SNCF sehen, der französischen Bahn, dann sind das vielleicht 17 Prozent, die sich da bereit erklären, überhaupt mitzustreiken. Das ist ja doch keine überwiegende Mehrheit.
    Grieß: Sie rechnen mit einem Durchsetzen dieser Arbeitsmarktreform und damit auch mit einem Überleben der französischen Regierung?
    Baasner: Absolut.
    Grieß: Wenn wir noch ein bisschen bei der inneren Sicherheit bleiben könnten, denn auch das sind ja politische Fragen. Der Stellenabbau, der lange betrieben ist, lange Zeit, der ist gestoppt worden. Die Regierung hat sich inzwischen auch durchringen können, etliches mehr an Millionen in die innere Sicherheit, für Polizei und Sicherheitsbehörden zu investieren. Wird das gewürdigt von Wählern?
    Baasner: Es wird zumindest mal zur Kenntnis genommen und das wird auch positiv zur Kenntnis genommen. Jeder weiß, nicht nur die, die immer schon nach Law and Order gerufen haben, wissen natürlich, dass, wenn man die Polizei immer mehr unter Stress setzt, dass einfach so was wie präventive Überwachung von Gefährdern nicht möglich ist. Von daher, glaube ich, gibt es da einen Konsens in der französischen Gesellschaft, dass das richtig ist, das zu tun. Ob das Wahlverhalten sich dadurch ändert, kann man schwer vorhersagen. Das hängt sicherlich damit zusammen, ob es gelingt, überhaupt das Gefühl für Sicherheit wieder zu stärken, und dazu reicht es nicht unbedingt, nur mehr Polizisten oder auch Militärs in den Straßen zu haben, denn die sind ja schon eine ganze Weile eigentlich mobilisiert, seit den Attentaten auf Charlie Hebdo letztes Jahr. Ob das im Wahlverhalten sich dann wirklich auszahlt, muss man einfach abwarten.
    Grieß: Danke schön für Ihre Einschätzungen, Frank Baasner, Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg. Ihnen einen guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.