La Baule an der französischen Atlantikküste, September 2012. Zu Verdis Gefangenenchor betritt Jean-Marie Le Pen die Bühne. Seine Tochter, Marine, sitzt in der ersten Reihe. Wenige Tage zuvor hatte sie angeregt, den Juden das Tragen der Kippa auf offener Straße zu verbieten - unter dem Vorwand, Frankreich sei schließlich laizistisch.
An diesem Tag überlässt die Parteichefin dem Ehrenvorsitzenden das Lieblingsthema „Einwanderung“.
Es ist diese Rede vor der Sommerakademie der Partei, die heute vor Gericht ihr Nachspiel haben wird. Die Staatsanwaltschaft hat zwei Monate Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von 10.000 Euro gefordert.
Jean-Marie Le Pen hatte in La Baule zunächst die Bedrohung skizziert, der sich Frankreich gegenübersehe:
"Im Süden vor den Toren des Landes, zweihundert Millionen Muslime; dann die Sozialkassen, geplündert durch illegale Einwanderer."
Einmal im Schwung, lässt sich Jean-Marie Le Pen dann den fraglichen Satz einfallen, der ihm vor Gericht zu Last gelegt wird. Die Roma aus Osteuropa sind Le Pens Thema und er führt ein Wortspiel auf:
Wir sind wie die Vögel, nous volons naturellement. Das aber kann zweierlei bedeuten: Wir sind wie die Vögel und fliegen von Natur aus. Oder aber: Wir sind wie die Vögel und stehlen von Natur aus.
Der Saal versteht, was gemeint ist.
Rassismus oder Spott?
Es sind diese knappen Formulierungen, sagt Pierre Mairat, der als Anwalt in diesem Verfahren die Bewegung gegen Rassismus MRAP vertritt:
„Es sind diese knappen Formulierungen, von denen es eine lange Liste gibt, mit denen Jean-Marie Le Pen Menschen stigmatisiert, aufgrund ihrer Herkunft, ihrer religiösen Zugehörigkeit.“
Die Anwälte des Front National meinen, es gehe hier doch nur um harmlose, spöttische Bemerkungen.
Der Staatsanwalt sieht das anders, die Vergangenheit Le Pens müsse bei solchen Wortspielen in Betracht gezogen werden.
Der Ehrenvorsitzende des Front National war bereits zu drei Monaten auf Bewährung für das Leugnen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden.
Der Alte sei für die fundamentalen Ideen zuständig, die Tochter für die Schaufensterpolitik, heißt es unter anderem bei der Internationalen Liga für Menschenrechte.
Diese Unterscheidung hört man auch unter den Anhängern des Front National häufig. Marine Le Pen sei nicht so schlimm wie ihr Vater, sagt etwa dieser Rentner in der Picardie, im Norden Frankreichs:
"Ich denke, sie ist viel moderater als ihr Vater und auf sie kann man hoffen, schließlich muss man auf irgendetwas hoffen können."
Der Politologe am Institut für Politische Wissenschaften, den „Sciènces Po“ in Paris, Emiliano Grossman, meint über die Parteichefin:
Partei gewinnt deutlich an Zuspruch
"Sie hat ihren Diskurs unglaublich moderiert und es gibt auch intern viele Initiativen, die Leute zu trainieren, wie man mit den Medien umgeht. Das Problem, was sie hat, diese Leute, die kann man trainieren, wie man will, die sind rassistisch, ein großer Teil von ihren Parteigängern.“
Dennoch gewinnt die Partei deutlich an Zuspruch. Da sind die, die mal links, mal rechts gewählt haben und jetzt Front National wählen wollen, als letzte Hoffnung. Da sind andere, die nicht in Mikrofone sprechen, aber offen antisemitisch und rassistisch argumentieren. Und da sind inzwischen viele junge Franzosen, die sich vom Front National angezogen fühlen. Eine Mehrheit der 18- bis 24-Jährigen schließt in Umfragen nicht aus, das Kreuzchen ganz rechts außen zu machen. Vor allem Jungwähler ohne Perspektive neigen dem FN zu.
In dieser Woche stellte die Partei der extremen Rechten ihre neue Jugendabteilung vor, die 25.000 Mitglieder habe, sagt der Vorsitzende der Jung-Extremen, Julien Rochedy. Anzug, Krawatte, Bart, wie es unter jungen Männern in Frankreich gerade angesagt ist, begrüßt er vor dem Schwarz-Weiß-Foto der Kampagne, darauf eine Kette junger Menschen, Arm in Arm und der Werbespruch, der ein unbesorgtes und friedvolles Frankreich verspricht. Jetzt regierten hohe Jugendarbeitslosigkeit, junge Leute fühlte sich auf der Straße bedroht, viele verließen Frankreich, zählt Rochedy die Probleme auf.
Und die Chefin ergänzt:
"Ja, Frankreich produziert in diesem Moment, wo es um das Überleben, um die nationale Selbstbehauptung geht, eine Generation von Patrioten und das freut mich für unsere Jugend und unser Land.“