Paris 2024
Sport mit Kopftuch - in Frankreich verboten

Die Gastgeber von Paris vermarkten ihre Olympischen Spiele auch als Symbol für Gleichberechtigung, denn zum ersten Mal nehmen genauso viele Frauen wie Männer an den Wettkämpfen teil. Bei einem anderen Thema aber besteht im französischen Sport weiterhin Ausgrenzung: Muslimische Athletinnen, die ein Kopftuch tragen, dürften nicht an Wettkämpfen teilnehmen.

Von Ronny Blaschke | 20.07.2024
Ein Mädchen mit Kopftuch beim Basketball-Training.
Ein Mädchen mit Kopftuch beim Basketball-Training. (IMAGO / Wolter / IMAGO / Jörn Wolter / wolterfoto.de)
Frankreich ist die einzige Demokratie, in der etliche Sportverbände das Tragen von religiöser Kleidung bei Wettbewerben untersagen. Dieses Verbot trifft vor allem muslimische Mädchen und Frauen, die ihren Hijab auch im Sport nicht ablegen wollen. Es ist eine Regel, die sich einreiht in Gesetze und Vorschriften der vergangenen 20 Jahre: In Frankreich können Behörden, Schulen und private Arbeitgeber das Tragen von Kopftüchern untersagen, meist mit dem Verweis auf den "Laizismus", auf die Trennung von Staat und Religion.
Doch diese Begründung widerspreche Menschenrechtsstandards, sagt Katharina Masoud von Amnesty International in Deutschland: "Es ist so, dass nach dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen keine offizielle Staatsideologie, auch nicht die Einstellung der Säkularität, ein legitimer Grund ist, um Religions- und Meinungsfreiheit durch ein allgemeines Verbot einzuschränken. Weder ein allgemeiner Kopftuchzwang noch ein allgemeines Kopftuchverbot ist mit den Menschenrechten vereinbar."

Folgen für Teilhabe und Gesundheit

In einem aktuellen Report dokumentiert Amnesty International Beispiele aus dem Leistungs- und Breitensport. So wurden Fußballerinnen, Basketballerinnen und Volleyballerinnen mehrfach aufgefordert, vor ihren Spielen ihr Kopftuch abzulegen, andernfalls könnten sie nicht mitspielen.
Eine solche Erfahrung kann traumatische Folgen haben, sagt Katharina Masoud, weit über den Wettbewerb hinaus: "Und so werden eben viele davon abgehalten, Sport zu treiben, gesundheitsförderliche Maßnahmen umzusetzen, und so können sie auch nicht ein Leistungsniveau erlangen. Und zusätzlich: Dass es für junge Mädchen und Frauen, die Kopftuch tragen oder tragen wollen, auch so eine Ausstrahlungswirkung hat. Dass sie gar keine Identifikationsfiguren erleben können, die im Sport mit Kopftuch erfolgreich sind."   

Die Verbände lehnen eine Debatte ab

Dieses Verbot religiöser Kleidung widerspricht den Regeln der Internationalen Sportverbände. Der Weltfußballverband FIFA hat das "Kopftuchverbot" 2014 aufgehoben, der Weltbasketballverband FIBA 2017. Dass Frankreich einen eigenen Weg verfolgt, hängt wohl auch mit den politischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte zusammen. Insbesondere die rechtsextreme Partei Rassemblement National thematisiert das Kopftuch als vermeintliches Symbol für Migration, Identität und Sicherheit.
Doch dabei handele es sich um antimuslimischen Rassismus, sagt die französische Soziologin Haifa Tlili: "Sie manipulieren den Säkularismus für eigenen Zwecke und sie wollen Zeichen von Religion unsichtbar machen. Aber Säkularismus bedeutet, dass man sich so entfalten kann, wie man möchte, eben auch mit Hijab. Die französischen Sportverbände schließen willkürlich junge Sportlerinnen aus. Diese Verbände lehnen eine konstruktive Debatte ab. Daher müssen wir uns Unterstützung außerhalb von Frankreich suchen."

Niemand soll die Party stören

Haifa Tlili forscht seit Jahren zu religiösen Fragen im Sport. Und sie begleitet französische Fußballerinnen und Basketballerinnen bei der Vernetzung mit Menschenrechtsorganisationen. Gemeinsam beteiligen sie sich an Kampagnen in sozialen Medien oder verfassen offene Protestbriefe. Nun, vor den Olympischen Spielen in Paris, erhalten sie besonders viele Anfragen, insbesondere aus dem Ausland.
Haifa Tlili sagt: "In einer Initiative haben 70 Führungsleute von französischen Vereinen einen Brief gegen das Verbot unterzeichnet. Diese Information war noch nicht öffentlich, doch sie sickerte offenbar an die Sportverbände durch. Danach wurden die Vereine unter Druck gesetzt. Wenn sie sich weiterhin zu diesem Thema engagieren würden, dann könnte man ihnen die Förderung streichen. In Frankreich soll eben vor Olympia niemand die Party stören."

Die IOC verweist auf die Gesetzgebung

Auf eine schriftliche Anfrage des Deutschlandfunks verwies das Organisationskomitee der Olympischen Spiele in Paris auf das Internationale Olympische Komitee (IOC). Das IOC machte in einer Stellungnahme deutlich, dass es sich bei der Ausübung von Sport um ein Menschenrecht handele. Den Athleten stehe es frei, nun im Olympischen Dorf oder in den Sportstätten einen Hijab zu tragen.
Für die Wettkämpfe selbst gelten die technischen Regeln der internationalen Sportfachverbände. Dass jedoch die Regeln von einigen französischen Verbänden den Regeln ihrer Weltverbände widersprechen, will das IOC nicht verurteilen. In der Stellungnahme beruft es sich auch auf die französische Gesetzgebung und verweist auf eine Entscheidung des höchsten Verwaltungsgerichts in Paris: "Im vergangenen Jahr wies es die Berufung einer Gruppe von Sportlerinnen zurück und erklärte das Hijab-Verbot des französischen Fußballverbands, das auch im Breitensport gilt, für ,angemessen und verhältnismäßig‘".

Genaue Regeln in den Niederlanden und Dänemark

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International halten solche Stellungnahmen nicht für ausreichend. Sie fordern, dass das IOC seinen Einfluss im französischen Sport geltend macht. Und sie verweisen auf Alternativen: In anderen Ländern gehen Sportverbände in ihrem Regelwerk nicht spezifisch auf das Kopftuch ein. Andere wiederum, zum Beispiel der niederländische Fußballverband oder der dänische Basketballverband, haben genau festgeschrieben, wie ein Kopftuch getragen werden solle. Damit es nicht, wie oft befürchtet wird, zu Verletzungen am Hals kommt.
In Deutschland etwa steht die Juristin Asmaa El Idrissi im Austausch mit DFB und DOSB: "Selbstbestimmungsrechte ernst nehmen. Wenn eine Frau sagt, ich mache das aus Überzeugung, oder ich mache das sogar, wie in vielen, vielen Fällen, aus einer feministischen, religiösen Perspektive, dann muss man das ernst nehmen. Aber ich glaube, wir brauchen auch viel mehr auf Entscheider*innenpositionen Menschen marginalisierter Gruppen."
In Deutschland geht man einen anderen Weg als in Frankreich. Das Projekt "Bewegte Zukunft" beim Deutschen Olympischen Sportbund zum Beispiel macht sich für mehr Diversität in den Führungsgremien stark. Hier werden Frauen mit Hijab als Bereicherung angesehen. Das gilt auch für die Wettbewerbe.