Früher Abend in der Fondation Jean Jaurès: Die politische Stiftung, die den französischen Sozialisten nahesteht, hat zu einer Laizismus-Debatte eingeladen.
Eine Debatte ohne Kontroverse: Auf dem Podium sitzen prominente Verfechter einer strikten Laizismuspolitik, die sich einig sind und überzeugen wollen. Davon, dass die hart erkämpfte Trennung von Staat und Religion von der Linken kompromisslos verteidigt werden muss. Der Islam, wie vor ihm die Katholische Kirche, in seine Schranken gewiesen werden muss. Dass sein Einfluss die Grundwerte der französischen Gesellschaft bedrohe. Die Lage sei ernst, warnen die Redner des Abends immer wieder: Selbst in Behörden und staatlichen Einrichtungen häuften sich auf alarmierende Weise Verstöße gegen das Laizismusgesetz.
"Besonders in den Krankenhäusern beobachten wir, dass Patienten immer öfter Forderungen mit religiösem Hintergrund stellen. Wenn sich zum Beispiel Musliminnen nur von Ärztinnen behandeln lassen wollen. Noch gravierender ist, dass auch das Personal der staatlichen Krankenhäuser gegen die laizistischen Regeln verstößt."
Schuld an der desolaten Situation - klärt der Pariser Politologe und Uni-Professor Laurent Bouvet die Veranstaltungsbesucher auf - sei der entkernte liberale Laizismus, der von Politikern und Intellektuellen aus den eigenen Reihen propagiert werde. Den Reihen der französischen Linken.
Laurent Bouvet, lange einflussreiches Mitglied der französischen Sozialisten, bezeichnet sich als republikanischer Laizist. 2016 hat er den Verein "Republikanischer Frühling" mitgegründet - heute politische Speerspitze strikter Laizisten aus dem linken Spektrum. Ihr Credo: die Republik einen, sie gegen religiöse und identitäre Auswüchse verteidigen.
"Wir verstehen uns als Bürger einer republikanischen Linken. Wir haben uns zusammengetan, weil es heute in den linken Parteien, den Gewerkschaften und linken Bürgerinitiativen kein klares Bekenntnis zum Laizismus als einen der wichtigsten Grundwerte der Republik gibt."
Das Recht auf Gotteslästerung
Bouvet, den die französische Tageszeitung Le Monde kürzlich "Gladiator des Laizismus" taufte, wirft Teilen der Linken eine Verwässerung der Laizismuspolitik vor, die den Islamismus begünstige und die Republik in eine multikulturelle Gesellschaft zersplittere. Er und seine Mitstreiter haben sich vorgenommen, die Linke und die Republik wieder auf Kurs zu bringen.
"Im Laizismusgesetz steht: es gibt eine Gewissensfreiheit. Also nicht nur die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben, worauf die Liberalen den Laizismus reduzieren wollen. Gewissensfreiheit heißt auch: das Recht, gegen die Religion der Eltern anzugehen oder sie zu wechseln; das Recht auf Gotteslästerung, sich über eine Religion lustig zu machen und über sie zu sagen, was man will. Wir gehen also sehr viel weiter, als die liberalen Laizisten mit ihrer Toleranz."
Das Reizthema Laizismus hat sich in der französischen Linken längst zu einem ideologischen Glaubenskampf ausgewachsen. Eine permanente Konfrontation, die im vergangenen Herbst in einem nationalen Eklat gipfelte. Als der Chefredakteur der linken Onlinezeitung Mediapart die republikanischen Laizisten und das symbolträchtige Satireblatt Charlie Hebdo scharf kritisierte.
Sie stünden für eine "verirrte Linke", die besessen sei von einem, so Edwy Plenel, "Krieg gegen alles, was auch nur im Entferntesten mit dem Islam oder den Muslimen" zu tun habe. "Gaucho-islamiste" - 'islamistischer Linksradikaler' konterten die republikanischen Laizisten: Der Chefredakteur gehöre zu jenen Linksintellektuellen, die sich vor den Karren der Islamisten spannen ließen und sich zu ihren Komplizen machten. Der Auftakt eines hasserfüllten Streits, der in Frankreich über Wochen für Schlagzeilen über die beiden unversöhnlichen Linken sorgte.
Ganz oben auf der roten Liste der strikt laizistischen Linken steht Jean-Louis Bianco. Er ist Leiter der französischen Laizismus-Beobachtungsstelle, die in Frankreich seit 2013 über den Laizismus wacht, Regierung und Parlament berät. Der Sozialist und ehemalige Minister rügt eine Pseudo-Debatte und politische Manipulation.
"Die Kontroversen um Charlie Hebdo und Plenel sind symptomatisch für die Debatten auf der politischen Pariser Bühne und in den sozialen Netzen. Eine Debatte, die alles vermengt, die absolut nichts mit dem Laizismus zu tun hat. Ich halte das für sehr gefährlich. Die verbale Gewalt, mit der die Laisizmusdebatte in Frankreich geführt wird, ist unverantwortlich und exzessiv."
Weder naiv noch lax
Jean-Louis Bianco nennt die Regeln des französischen Laizismus-Prinzips eindeutig. Danach sind der Staat und seine Beamten zu absoluter Glaubensneutralität verpflichtet. Der laizistische Staat darf Überzeugungen und Religionen weder begünstigen noch benachteiligen.
Tatsächlich funktioniere das französische Modell der Trennung von Staat und Religion eher gut, resümiert der Leiter der Beobachtungsstelle. Sorge bereitet ihm dagegen die gefühlte Bedrohung des Laizismusprinzips. Ängste, die der IS-Terrorismus verstärkt hat, die aber auch von politischen Scharfmachern geschürt würden. Jean-Louis Bianco:
"Wir analysieren die Situation regelmäßig, mit Hilfe von Studien, Meinungsumfragen und im Austausch mit lokalen Partnern. Wir sehen, dass sich die Tendenzen seit 2013 noch verstärkt haben: Laizismus- und Religionsfragen beunruhigen die Franzosen sehr viel mehr, als noch vor einigen Jahren. Was wir aber nicht ausmachen können: dass Verstöße gegen das Laizismusgesetz auf dem Terrain zugenommen haben. Das laizistische Prinzip wird hier oder da attackiert von Anhängern einer radikalen Vision des Islams. Aber es ist nicht in Gefahr. In nahezu allen Fällen regeln sich auftretende Konflikte im Dialog."
Macrons Grundsatzrede
Das Laizismusprinzip verteidige weder eine französische Volksidentität noch sei es eine Kampfansage gegen alles Religiöse oder den Islam, mahnt Jean-Louis Bianco. Wer das Laizismusgesetz dazu umdeuten wolle – ob Rechtsnationale oder linke Hardliner - pervertiere es.
"Sie wollen den Laizismus ausweiten, ohne es klar zu sagen. Wenn Sie in eine Behörde gehen, haben Sie neutral zu sein; wenn Sie in die Uni gehen, dürfen Sie kein Kopftuch tragen. Mir macht das Angst, weil es über Religion und Laizismus hinausreicht. Wenn wir anfangen, Gesetze zu machen gegen den Islam oder das Kopftuch im öffentlichen Raum: Wer sagt mir, dass morgen nicht eine andere Religion oder eine politische Überzeugung, die angeblich nicht die richtige ist, in der Öffentlichkeit verboten wird. Auch deshalb ist ein aufgeklärter Laizismus so wichtig, als eine Form der Freiheit."
Der Glaubenskampf um den wahren Laizismus spaltet Frankreichs Linke mehr denn je. Und er zieht weiter Kreise. Der Elysée-Palast hatte bereits vergangenen Dezember eine Grundsatzrede des Staatschefs zum Thema Laizismus angekündigt. Ein politisch heikles Unterfangen, das nicht nur von der Linken mit Spannung erwartetet wird, das Emmanuel Macron nun aber schon seit Wochen vor sich herschiebt.