Im Le Tank, dem Kampagnen-Hauptquartier im Pariser Zentrum, drehte sich gestern alles um das Motto: "24 Stunden vor 1984". So taufte die breite Gegner-Front ihre Aktion - eine Referenz an den "Big-Brother"-Kultroman von George Orwell. Um sich einen Überblick zu verschaffen, haben die Organisatoren eine ganze Wand mit Abgeordneten-Porträts beklebt, 577 an der Zahl, entsprechend ihrer Sitzordnung in der Nationalversammlung. Farbige Aufkleber markieren, welche Politiker sich schon für oder gegen das Gesetzesprojekt ausgesprochen haben, das Ermittlungen gegen Terroristen vereinfachen soll.
Bis zuletzt haben die Aktivisten bei jedem Abgeordneten angerufen, um zu erfahren, wie er abzustimmen gedenkt. Auch Adrienne Charmet, Sprecherin eines Vereins für ein freies Internet, hat sich die Finger wundgewählt.
"Wir wollen die bislang unentschiedenen Abgeordneten auf unsere Seite bringen. Derzeit haben rund 40 Politiker erklärt, gegen das Gesetzesprojekt stimmen zu wollen. Die Nationalversammlung zählt 577 Abgeordnete, wir werden also kaum eine Mehrheit erzielen können. Dennoch ist es wichtig, der Regierung zu zeigen, dass es eine Opposition quer durch alle Parteien gibt und dass sie Zulauf verzeichnet."
Für jede überwachte Person eine Kartei
Als "Angriff auf die bürgerlichen Freiheiten" bezeichnet die Gegner-Front den Inhalt des aktuellen Gesetzesprojekts. Das ermöglicht bald nicht nur die Überwachung eines potenziellen Terroristen. Sondern auch dessen Umfeld - Familie, Bekannte, dessen Wohnungs-Hausmeister. Zum Einsatz kommen soll modernste Technik: Computer-Spionage-Programme, Apparate, die auf Distanz den Inhalt von Handys abzapfen, sogenannte Black Boxes, die die Datenübertragung im Internet weitreichend scannen. Geplant ist ebenso eine Kartei mit Personen, gegen die wegen Terrorismus-Verdacht ermittelt wird - deren Überwachungsdaten sollen bis zu 20 Jahre aufbewahrt werden.
Alles Mittel, die in keinem vernünftigen Verhältnis zur realen Bedrohung stehen, kritisieren die Gegner wie Amnesty International. Dominique Curis ist bei der französischen Sektion zuständig für das Thema Menschenrechte: "Wenn man den Text des Gesetzesprojekts genauer anschaut, stellt man fest, dass es um weitaus mehr geht als nur um den überall proklamierten Kampf gegen Terrorismus. Geschützt werden sollen auch die wirtschaftlichen, industriellen und die wissenschaftlichen Interessen Frankreichs. Interessen, die nur sehr vage definiert werden. Da haben die Ermittlungsbehörden unter der Order des Premierministers einen unglaublichen Spielraum, unser aller Privatleben auszuspionieren."
Die Polizei-Gewerkschaft Alliance, wichtigster Ständeverband der französischen Ordnungshüter, begrüßt das geplante Gesetz: es ermögliche eine effizientere Arbeit. Doch es brauche zudem mehr personelle Mittel für die Ermittlungen, verlangt Alliance. Auch Pierre Conesa, der bekannteste französische Terrorismus-Experte, ist für den aktuellen Entwurf:
"Die Ermittlungsbehörden wünschen sich schon seit geraumer Zeit mehr Befugnisse beim Kampf gegen den Terrorismus. Zum einen steigt die Zahl der gewaltbereiten Salafisten. Zum anderen arbeiten die Behörden heute schon mit derzeit noch illegalen Methoden. Die aber dann vom neuen Gesetz legalisiert werden."
Auch der BND ist Thema
Neben dem neuen französischen Geheimdienstgesetz beschäftigte die Regierungsgegner auch die Rolle des deutschen Geheimdienstes. Und zwar der Verdacht, dass der Bundesnachrichtendienst für die amerikanischen NSA-Kollegen wohl auch in Paris spionierte. Bislang gibt es dazu eine einzige offizielle Reaktion: am vergangenen Wochenende erklärte ein Sprecher des französischen Außenministeriums, man stünde in engem Kontakt mit den deutschen Partnern, die sich derzeit um eine Klärung der Vorgänge bemühten.
Eva Joly, EU-Abgeordnete der französischen Grünen, die am gestrigen Aktionstag teilnahm, ist keineswegs verwundert über das Schweigen der Regierung in Paris: dort habe man ja selbst Dreck am Stecken: "Mir fällt dazu ein Sprichwort von der Börse ein: alles, was machbar ist, wird gemacht werden. Technisch ist die Überwachung heutzutage möglich und da haben die moralischen Zweifel betreffs einer Überwachung von Politikern kein Gewicht."