Eine Art hochsommerlicher Trägheit liegt über der Place de la République, Herzstück des Pariser Ostens. Zur Ferienzeit lockt an einer Frontseite eine Kinder-Spielecke. Schräg gegenüber steht die Marianne, Symbolfigur der Französischen Republik. Die unzähligen Andenken an die Terroropfer, die sich seit Januar 2015 rund um den Sockel der hohen Bronze-Statue gestapelt hatten, lagern nun im Stadtarchiv. Sie haben Platz gemacht für neue Blumen, neue Kerzen und Slogans wie: "Pray for Nice". "Je suis Nice". Ein Zettel verkündet: "Putain de camion!" Verdammter LKW!
Mit zitternden Händen hat ein Mittsechziger einen Plüschteddy auf den Sockelvorsprung gesetzt, für all die Kinder, die in Nizza getötet oder verletzt wurden. Dafür ist er extra aus einem nördlichen Vorort hergekommen. Ein bürgerlicher Pflichtakt, sagt der Mann und erzählt, dass er schon am 11. Januar 2015 beim großen Trauermarsch nach den Anschlägen auf die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" und auf den jüdischen Supermarkt mitgelaufen ist. Damals stand das ganze Land zusammen.
"Zu meinem Bedauern scheint der damalige solidarische Geist im Land heute nicht mehr wirklich aktuell zu sein. Nun zeigt sich die politische Klasse gespalten. Die Politiker stehen nicht gesammelt hinter den Bürgern, sondern geben sich parteipolitischem Geplänkel hin – die Präsidentschaftswahl rückt näher. Ob von links, ob von rechts – von den Politikern haben wir Bürger wenig zu erwarten. Es reicht nicht, die Sicherheitsvorkehrungen nochmals zu verschärfen. Man muss auch mehr für ein besseres gesellschaftliches Miteinander tun. Und betreffs dieser Mission scheinen mir die Politiker völlig daneben zu liegen."
Vereinzelt hängt eine Trikolore aus dem Fenster
Ein Mann um die 40 eilt herbei, eine weiße Rose in der Hand. Er will daran erinnern, dass Nizza bei den Anschlägen in Paris jedes Mal Solidarität bewies.
"Gestern habe ich auf Facebook einen Aufruf gestartet, damit die Pariser sich für mehr Solidarität mit Nizza mobilisieren, das Echo war gering. Mit der Rose, die ich hier ablege, verbinde ich auch die Hoffnung, dass es zu keinen weiteren Attentaten kommt – wir haben wirklich die Nase voll."
Hier und dort, in Paris und andernorts, hängt eine Trikolore aus dem Fenster. Doch es ist nicht auszumachen, ob es sich um ein Überbleibsel der Fußball-Europameisterschaft handelt oder um ein republikanisches Bekenntnis nach dem Nizza-Attentat. Der Alltag wird härter, sinniert ein Franzose arabischer Abstammung. Er ist Moslem.
"Ich begegne immer öfter misstrauischen Blicken. Aber ich kann die Leute verstehen. Mancher verwechselt einfach normale Muslime mit Terroristen. Die Welt ist heute leider voller Verrückter. Man kann einfach niemandem mehr trauen."
Die Attentate im vergangenen Jahr in Paris lösten Entsetzen, Trauer und Angst aus. Seit dem Anschlag in Nizza ist die Wut hinzugekommen. Wut auf die Terrororganisation Islamischer Staat, die solche Gräueltaten anstiftet. Wut auf die Politiker, auf die Regierung, der es nicht gelingt, solche Schreckensakte zu unterbinden, sagt eine Endsechzigerin, die mit Tochter und kleiner Enkelin die Place de la République überquert.
"Wir fragen uns, ob man wirklich alle Vorkehrungen für unsere Sicherheit getroffen hat. Klar, es ist für die Regierung nicht einfach, die Terrorgefahr zu bannen. Aber die Geschichte mit dem LKW in Nizza, die gibt uns schon zu denken."
"Wir sorgen uns um unsere Kinder – darum, in welchem Klima sie aufwachsen. Machen Sie einem Kind mal klar, dass ihm jederzeit etwas zustoßen kann. Ich habe keine Ahnung, wie sich das auf sein späteres Leben auswirken wird."
"Ja, wir sind nun ein Land im Krieg. Damit leben wir jetzt im Alltag."