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Frankreich nach der Wahl
"Bei Reformen nicht auf Eurozone fokussieren"

Nach dem Erfolg von Präsident Emmanuel Macrons Partei bei der Parlamentswahl in Frankreich ist der Weg für Reformen frei. CDU-Politiker Jens Spahn warnte davor, sich dabei zu stark auf mögliche Reformen in der EU zu konzentrieren. Angesichts der Stimmung im Land müssten auch Themen wie Migration, Verteidigung und Terrorismus in den Blick genommen werden, sagte er im Dlf.

Jens Spahn im Gespräch mit Silvia Engels |
    Der CDU-Rentenexperte Jens Spahn
    Der CDU-Politiker Spahn sieht die Themen Migration, Grenzsicherung und Terrorismusbekämpfung als zentral. (dpa/Karlheinz Schindler)
    Es gebe viele Bürger in Frankreich, die frustriert und verärgert seien, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er verwies auf die Zustimmung für den rechtsextremen Front National und die geringe Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent. Man werde die Leute nicht mit Reformen in der Eurozone überzeugen, dennoch seien sie notwendig.
    Spahn verwies auf die bereits bestehende Arbeitsgruppe der Finanzministerien Deutschlands und Frankreichs, die darüber berate, wie Institutionen wie etwa der Europäische Stabilitätsmechanismus weiter entwickelt werden könne. Da gebe es noch viele Möglichkeiten.
    Konkreter müsse es laut Spahn auch bei Macrons Vorschlägen eines gemeinsamen EU-Haushalts und eines europäischen Finanzministers werden. So müsse geklärt werden, was aus dem Haushalt gezahlt werde und welche Aufgaben der Finanzminister haben würde.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Vor einigen Monaten wären Experten belächelt worden, die bei den französischen Parlamentswahlen eine absolute Mehrheit für das sozialliberale Bündnis "En Marche" von Emmanuel Macron vorausgesagt hätten, doch nun ist das Ungeahnte Realität: Die Bewegung Macrons, die mittlerweile in "La République en Marche" umbenannt worden ist, ist die große Gewinnerin der ersten Runde des Urnengangs. Zugeschaltet ist unser Korrespondent Jürgen König aus Paris.
    Und vor einer dreiviertel Stunde haben wir mit Jens Spahn über den Ausgang der Wahlen in Frankreich gesprochen. Er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, und er gehört der CDU an. An ihn ging die Frage, ob er sich nun auf stabile Verhältnisse in den deutsch-französischen Beziehungen freut?
    Jens Spahn: Ja, herzlichen Glückwunsch, Herr Präsident, möchte man rüberrufen nach Paris. Das ist ein eindrucksvolles Ergebnis, das ist ein Erdrutschsieg, wenn man mal sieht, dass die beiden bisherigen großen Parteien, die Sozialisten und die Republikaner, im Grunde, also die Sozialisten auf jeden Fall weggefegt sind auf unter zehn Prozent, wie es ausschaut, und die Republikaner stark dezimiert, und insofern, ja, es scheint sehr stabile Verhältnisse in Paris zu geben, im Parlament und eben mit dem Präsidenten. Jetzt geht es aber eben dann darum, nach den Wahlen dann auch was daraus zu machen.
    Engels: Da sind wir beim Thema: Wie rasch muss denn Ihrer Ansicht nach nun Macron Erfolge präsentieren, damit ihm die Unterstützung erhalten bleibt?
    "Frankreich braucht wirtschaftliches Wachstum"
    Spahn: Nun, man sieht ja, wenn man genau hinschaut, die Wahlbeteiligung ist sehr, sehr niedrig gewesen. Es gibt immer noch natürlich auch die Le-Pen-Wähler aus den Präsidentschaftswahlen. Zehn Millionen Franzosen haben sich ja für Marine Le Pen entschieden, also viele, die frustriert sind, wo Verärgerung ist aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation oder auch wegen Themen, die auch in anderen Ländern eine Rolle spielen, in Europa: Migration, Integration, vieles andere mehr, und deswegen kommt es darauf an, dass Frankreich wieder zurückfindet zu wirtschaftlichem Wachstum. Das ist ein Problem der letzten Jahre gewesen, und dafür braucht es Reformen, und die hat Macron ja auch schon angekündigt, etwa Arbeitsmarktreformen, Reformen für mehr Investitionen, und die wird er dann sicherlich nach den Wahlen auch umsetzen wollen.
    Engels: Wie kann Deutschland, speziell das Bundesfinanzministerium, ihm dabei helfen?
    Spahn: Also zuerst einmal glaube ich, dass Präsident Macron nicht darauf wartet zuallererst, dass wir ihm helfen. Das ist ein sehr paternalistisches Verständnis, finde ich, so von Deutschland auf Frankreich geblickt, dass wir jetzt irgendwie helfen müssten oder es irgendwie wissen müssten oder er für uns Reformen macht, wie ja einige sagen, sondern das sind Reformen im Interesse von Frankreich. Wenn wir dabei helfen können, dann werden wir sicherlich helfen, aber zuallererst einmal geht es ja um Reformen im Land, was Arbeitsmarkt angeht, was das Steuerrecht angeht, was wirtschaftliche Situation angeht, und wenn es um Europa, die Reform der Europäischen Union geht, da sind wir sicherlich sehr, sehr bereit, gemeinsam daran zu arbeiten, etwa die Eurozone weiterzuentwickeln. Da gibt es mittlerweile eine Arbeitsgruppe auch des französischen und des deutschen Finanzministeriums, die jetzt noch mal Impulse erarbeiten wollen, etwa, was die Frage von Steuerrecht-Harmonisierung angeht, natürlich die Frage, wie wir die Eurozone stärken können bei der Regeleinhaltung. Wir haben ja nicht zu wenig Schulden in Europa und der Eurozone, sondern zu viele Schulden. Wie können wir die Regeln, die wir uns gegeben haben, besser umsetzen, wie können wir zu mehr Investitionen in Europa kommen, und an diesen Themen arbeiten wir jetzt schon direkt nach den Wahlen sozusagen angestoßen gemeinsam.
    "Le-Pen-Wähler überzeugt man nicht mit einem Eurofinanzminister"
    Engels: Aber Macron geht ja da viel weiter, was die EU angeht: ein eigener Haushalt der Eurozone und ein Eurozonenfinanzminister, also auch ein klares Verlagern von Geldern in die Hand von Europa. Sind Sie dabei?
    Spahn: Das ist ja das, was wir jetzt miteinander besprechen wollen. Was genau ist gemeint damit, etwa mit einem Eurozonenbudget, also was soll daraus bezahlt werden. Wenn es darum geht, Investitionen anzustoßen, haben wir heute ja auch schon Initiativen, den sogenannten Juncker-Fonds, wo Investitionen bezahlt werden europaweit. Wir haben einen Europäischen Unionshaushalt. Also ich finde, wir müssen miteinander weg von den Überschriften – darum geht es in den nächsten Wochen –, sondern mal konkreter werden, was denn damit gemeint ist.
    Wie können wir bestehende Institutionen - wir haben den europäischen Stabilitätsmechanismus, der ja in Krisenzeiten Geld zur Verfügung stellen kann und soll wie etwa jetzt für Griechenland oder in der Vergangenheit für Spanien und Portugal, wie kann man den möglicherweise weiterentwickeln, um in Krisensituationen einen finanziellen Spielraum zu haben. Also um diese Konkretisierung von Überschriften, auch den Eurofinanzminister, muss man ja mal sagen, was soll der denn eigentlich tun, was ist seine Aufgabe, was sind seine Rechte, was sind die Regeln dazu. Darüber wollen wir in den nächsten Wochen reden.
    Aber eines nur noch, Frau Engels, glaube ich schon: Die zehn Millionen Le-Pen-Wähler, auch diejenigen, die sich für den Brexit entschieden haben, die ja sehr europaskeptisch sind, die überzeugen wir nicht mit einem Eurofinanzminister. Das sind wichtige Themen, aber wir müssen auch gemeinsam mit Frankreich an dem Thema Migration, Grenzschutz, dass nicht mehr die Schmuggler entscheiden im Mittelmeer, wer zu uns kommt, sondern wir selber; die gemeinsame Terrorismusbekämpfung. Nach Paris, Brüssel, Berlin, den Anschlägen, haben wir gesehen, die sind in ganz Europa unterwegs. Also ich finde wichtig, dass wir die Reformen jetzt nicht nur auf die Eurozone konzentrieren, sondern dass wir mit Terrorbekämpfung, mit Migration, mit Verteidigungsunion auch andere Themen bearbeiten, wo die Bürger gleich sehen, da macht es Sinn, zusammenzuarbeiten.
    Engels: Aber die innere Stabilität, auch in Frankreich, läuft sehr stark über die Wirtschaft und die Wirtschaftsreformen, gleichzeitig dabei aber auch soziale Härten nach Möglichkeit abzufedern. Sie sagen, bei der Forderung nach Eurobonds von Präsident Macron, immer wieder, Europa brauche mehr Investitionen, aber nicht mehr Schulden, aber könnten Eurobonds Frankreich nicht auch bei der Umverteilung der schon bestehenden Schuldenlast helfen und so Macron entlasten?
    Spahn: Also zum ersten hat ja Präsident Macron auch bei seinem Besuch hier in Berlin, aber auch darüber hinaus klargestellt, er will gar keine Eurobonds. Das ist ihm in den Mund gelegt worden.
    Engels: Aber eine Art von gemeinschaftlicher Finanzierung auch von Schulden oder von Anleihen schwebt ihm schon vor.
    Spahn: Da ist die Frage erst einmal, was genau sind die Vorschläge. Ich sage es noch einmal: Das müssen wir jetzt rausarbeiten. Eine Vergemeinschaftung von Schulden, wo Deutschland oder auch die Niederlande oder Italien für die Schulden von Frankreich haften und umgekehrt, das ist in den Verträgen nicht vorgesehen, und das wird es am Ende auch nicht geben können. Wenn es aber darum geht, eben gemeinsame Projekte zu finanzieren – wie wir es übrigens ja schon machen, es ist ja nicht so, als wenn es gar nichts gäbe – im Haushalt der Europäischen Union, wir investieren da in Infrastruktur, Straßenbauprojekte, Schienenprojekte, die von europäischer Bedeutung sind, wir haben Forschungsausgaben. Unter der Überschrift "Horizon 2020" haben wir ja, etwa "Galileo", in vielen anderen Bereichen wichtige Forschungs- und Investitionsprogramme gemacht. Also wenn man das weiter ausbauen will – und da muss man dann über die Finanzierung reden, ob aus Beiträgen, ob anders –, dann sind wir für vieles zu haben, aber wenn es nur darum geht, auf einer anderen Ebene die Schulden zu machen, die man national nicht mehr machen darf aufgrund der Regeln, dann springen wir deutlich zu kurz. Das Problem …
    Engels: Andererseits hat sich die Bundeskanzlerin ja durchaus andeutungsweise bereit erklärt, auch über eine Änderung von EU-Verträgen nachzudenken. Sieht sich da die Bundesregierung nicht auch stärker in der Pflicht, Macron beim Umbau in Frankreich zu helfen, bevor er in größere Schwierigkeiten gerät?
    Spahn: Vertragsänderungen müssten mehrheitsfähig sein
    Spahn: Nun, jetzt müssen wir zuerst einmal immer noch mal schauen, was jetzt geplant ist an Reformen in Frankreich und was vor allem die Reformen sind, die Franzosen, die französische Regierung, der Präsident auch für Frankreich in Frankreich machen muss, und ich komme immer wieder dahin zurück, das sind vor allem Strukturreformen – das sagt Macron ja auch: Arbeitsmarktreform, Steuerreform –, um Impulse zu setzen, um Wachstum möglich zu machen, um neue Jobs entstehen zu lassen. Das Zweite ist das, was auf europäischer Ebene ansteht, und wenn es um Vertragsänderungen geht, der europäischen Verträge, waren wir ja bis jetzt als deutsche Bundesregierung so zurückhaltend, weil das in vielen Ländern ein Referendum, eine Volksabstimmung braucht, und die Sorge ist ja, dass mit einer Volksabstimmung in Frankreich, in den Niederlanden, in Irland über eine Vertragsänderung, die möglicherweise im Moment in der allgemeinen Stimmungslage wieder eher in Ablehnung landen.
    Wenn Präsident Macron sagt, er kann sich vorstellen, dass wir Vertragsänderungen miteinander vereinbaren, die mehrheitsfähig sind und wo wir dann auch in den Referenden gewinnen, dann sind wir die ersten, die bereit sind, darüber zu reden, aber die Sorge ist halt, die darüber steht, ist jetzt die richtige Zeit, um Referenden über Europa zu machen oder sollte Europa nicht erst mal liefern, und vor allem liefern bei Themen, wo die Bürger europaweit den Eindruck haben, da sind wir eigentlich viel zu schlecht und dafür im Vergleich in kleinen Dingen viel zu groß, und ich komme immer wieder dahin zurück: Das sind gerade vor allem Themen wie Migration, Grenzsicherung, Terrorismusbekämpfung oder die Frage einer Verteidigungsunion mit Blick auf Osteuropa, wo ja vor allem auch mit Blick auf Russland die Frage sich stellt, sind wir eigentlich allein wehrfähig.
    Engels: Jens Spahn von der CDU. Er ist parlamentarischer Staatsekretär im Bundesfinanzministerium. Danke für das Gespräch!
    Spahn: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.