Der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission zu den Anti-Terror-Maßnahmen der Regierung nach den Anschlägen von 2015.
300 Seiten Bericht, 1000 Seiten Interviewprotokolle - es ist ein umfangreiches Konvolut, das jetzt der Öffentlichkeit übergeben wird. Auf Wunsch der konservativen Opposition war die parlamentarische Untersuchungskommission im Februar eingesetzt worden, um die Anti-Terror-Maßnahmen der Regierung nach den Anschlägen von 2015 auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Befragt wurden Angehörige der Opfer, Verantwortliche der Sicherheitsbehörden und der Justiz, der Innenminister; Abgeordnete fuhren nach Brüssel, in die Türkei, nach Griechenland.
Viele der islamistischen Attentäter seien den Diensten bekannt gewesen
Das Ergebnis kann nur als verheerend bezeichnet werden: Die Geheimdienste seien "gescheitert", sagte der Vorsitzende der Kommission, Georges Fenech von den "Republikanern". Viele der islamistischen Attentäter des vergangenen Jahres seien den Diensten bekannt gewesen, manche hätten unter Aufsicht der Justiz gestanden, doch seien sie wegen mangelnder Koordination nicht lückenlos überwacht worden – zum Beispiel im Vorfeld der Anschläge auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo".
"Nehmen Sie den Fall Said Kouachi. Er wurde von den Pariser Geheimdiensten überwacht. Dann verließ er den Pariser Raum, und also hat man die Überwachung aufgegeben. Der Auslandsdienst DGSE hat die Überwachung kurz wieder aufgenommen, sie dann aber wieder aufgehoben – sechs Monate vor dem Anschlag auf "Charlie Hebdo". Man sieht hier gut, dass das Fehlen einer kontinuierlichen Arbeit durch nur einen Geheimdienst zu enormen Brüchen führen kann - mit schweren Konsequenzen."
Bei der internationalen Zusammenarbeit habe es viele Pannen gegeben, kritisiert der Bericht, doch auch der Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Diensten innerhalb Frankreichs sei "schlecht", zwischen den Behörden gebe es "Grenzen" – und die könnten nur durch eine nationale Anti-Terror-Behörde überwunden werden, wie die USA sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aufgebaut hätten. Dem Premierminister unterstellt, soll sie auch als Basis für die europäische Zusammenarbeit dienen. Außerdem müsse die Geheimdienstarbeit in den Regionen gebündelt, müssten zwei im Inland aktive Behörden zusammengelegt werden. Die Gewerkschafterin und frühere Richterin in Anti-Terrorprozessen, Beatrice Burgère:
"Ich glaube, die Meinung wird inzwischen von vielen geteilt, dass die Geheimdienste die zentrale Waffe im Kampf gegen den Terrorismus sind. Insofern ist es folgerichtig, dass man sich fragt, wie diese Geheimdienste funktionieren. Heute gibt es bei uns sehr viele geheimdienstliche Einrichtungen, ein sehr aufgefächertes System. Das heißt nicht, dass sie schlecht arbeiten, nein, es ist einfach eine Tatsache. Und es braucht einen enormen Aufwand, all diese Dienste zu koordinieren. Insofern ist diese Idee einer Fusion interessant, aber: Was wird sich hinter der neuen Struktur verbergen? Wird sie so sein, dass dann auch wirklich die Dienste zusammenarbeiten, die das heute eben nicht tun? Da muss man genau hinsehen, um nicht viel Zeit und Geld zu verlieren."
Frage der Zuständigkeiten unklar
"Sehr viele geheimdienstliche Einrichtungen" gibt es in Frankreich in der Tat, zumal auch Eliteeinheiten der Nationalen Polizei wie der Nationalen Gendarmerie geheimdienstliche Aufgaben übernehmen. Für die Anti-Terror-Ermittlungen dieser beiden Einrichtungen gibt es eine zentrale Koordinierungsstelle, die Arbeit der Geheimdienste wird dabei jedoch nicht erfasst. Erschwerend kommt die Frage der Zuständigkeiten hinzu: Für die Polizei wie für die Inlandsgeheimdienste ist das Innenministerium zuständig, für die Gendarmerie das Innen- und das Verteidigungsministerium, welches alleine auch die Auslandsgeheimdienste steuert.
Eine Reform, die diese Vielzahl von Ermittlungsbehörden neu ordnet, würde Jahre dauern – ganz abgesehen davon, dass es in all diesen Einrichtungen ein jeweils ausgeprägtes Traditionsbewusstsein gibt, das jedweder Fusionsidee skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Premierminister Valls hat sich noch nicht geäußert, Innenminister Bernard Cazeneuve hingegen schon: vorsichtig ablehnend. Dagegen fand er bei der gestrigen Sicherheitsbilanz zur Fußball-Europameisterschaft nur lobende Worte für das bestehende System. Man habe eine weltweit beachtete Großveranstaltung vor dem Hintergrund einer enormen terroristischen Bedrohung durchgeführt, sagte er - und weiter:
"Mit dem, was wir erreicht haben, und zwar durch die gelungene Vereinigung aller Kräfte, dank der Mobilisierung sämtlicher verschiedener Dienste, die alle nur von einer Sorge geleitet wurden, nämlich überall und immer gute Arbeit zu leisten, hat unser Land gezeigt, dass es fähig ist, den großen Herausforderungen, die es gibt, auch standzuhalten."
Bei solchen Worten erscheint es mehr als fraglich, ob die zentrale Forderung der Untersuchungskommission nach einer nationalen Anti-Terror-Behörde jemals umgesetzt wird.