Parlamentswahlen in Frankreich
Wie eine Regierung der extremen Rechten verhindert werden soll

Marine Le Pens Partei, der extrem rechte Rassemblement National (RN), hat den ersten Durchgang bei den Parlamentswahlen in Frankreich gewonnen. În der Stichwahl wollen das Macron-Lager und die Linke zumindest eine absolute Mehrheit des RN verhindern.

    Marine Le Pen, Gallionsfigur der extremen Rechten in Frankreich, freut sich nach den ersten Hochrechnungen zur Parlamentswahl über das Ergebnis des rechten Bündnisses.
    Rechtsruck in Frankreich: Die französischen Wählerinnen und Wähler verhalfen dem rechtsextremen Rassemblement National bei den Parlamentswahlen zu einem Wahlsieg. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Thibault Camus)
    Wegen des großen Wahlerfolgs des extrem rechten Rassemblement National (RN) bei den Europawahlen hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron umgehend das Parlament aufgelöst und Neuwahlen für den 30. Juni und 7. Juli 2024 angekündigt. Nach dem ersten Wahlgang am vergangenen Wochenende scheint es so, als hätte der Staatschef sein Land damit nicht aus der Krise heraus, sondern viel tiefer hineingeführt.
    Eindeutige Wahlsieger der ersten Abstimmung am 30. Juni sind die Rechtspopulisten um Marine Le Pen, die 33,15 Prozent der Stimmen erhielten. Um den Ministerpräsidenten stellen zu können, benötigen sie jedoch die absolute Mehrheit im Parlament. Das Lager von Präsident Macron und das linke Wahlbündnis hoffen, dies durch eine gemeinsame Strategie verhindern zu können.

    Inhalt

    Was bedeutet der Ausgang der Parlamentswahl?

    Eindeutige Wahlsieger der ersten Abstimmung am 30. Juni sind die Rechtpopulisten. Marine Le Pens rechtsnationaler Rassemblement National (RN) erreichte mit seinen Verbündeten 33,15 Prozent der Stimmen. Noch nie waren die extremen Rechten in Frankreich so stark. Das Linksbündnis Nouveau Front Populaire kam auf 27,99 Prozent. Das Mittelager von Präsident Macron landete mit 20,04 Prozent nur auf Platz drei. Die bürgerliche Rechte erhielt 10,23 Prozent der Wählerstimmen.
    76 Direktkandidatinnen und -kandidaten haben bereits beim ersten Wahlgang den Einzug in die Nationalversammlung, die Assemblée Nationale, geschafft, darunter Marine Le Pen und 36 weitere Politiker des Rassemblement National. Zudem holten zwei weitere Kandidierende aus dem Rechtsbündnis die absolute Mehrheit in ihren Wahlbezirken.
    Die endgültige Zusammensetzung der Nationalversammlung steht aber noch nicht fest. Wie viele Sitze die Bündnisse am Ende bekommen, wird erst in Stichwahlen am kommenden Sonntag (07.07.2024) entschieden. Rechnerisch möglich ist immer noch eine absolute Mehrheit für den Rassemblement National. Notwendig sind dafür mindestens 289 Sitze.

    Welche Rolle spielt das französische Wahlsystem?

    In Frankreich wird das Parlament (wie auch der Präsident) normalerweise in zwei Wahlgängen gewählt. Es gilt ein absolutes Mehrheitswahlrecht. Die Nationalversammlung setzt sich aus 557 Direktkandidatinnen und -kandidaten zusammen. Wer bei einer Wahlbeteiligung von mindestens 25 Prozent im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis erhält, ist unmittelbar gewählt.
    In Wahlkreisen, in denen keiner der Kandidierenden auf mehr als 50 Prozent kommt, müssen die zwei oder drei Bestplatzierten am 7. Juli in einer Stichwahl gegeneinander antreten. Aus diesem Grund sind die endgültige Sitzverteilung und die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament noch unklar.

    Mit welcher Strategie gehen die politischen Lager in die Stichwahl?

    Vor dem zweiten Abstimmungstermin am kommenden Sonntag haben sich 214 Kandidatinnen und Kandidaten zurückgezogen, obwohl sie sich für die Stichwahl qualifiziert haben. Sie hoffen, auf diese Weise dem verbliebenen Gegenkandidierenden zum RN-Vertreter in dem jeweiligen Wahlkreis zum Sieg verhelfen zu können.
    Von den 214 Kandidatinnen und Kandidaten, die im zweiten Wahlgang nicht mehr antreten werden, gehören 130 dem linken Parteienbündnis an, etwa 80 dem Lager von Präsident Macron und seinen Verbündeten. Unter ihnen befinden sich auch fünf Minister der gegenwärtigen Regierung.
    Wegen der hohen Wahlbeteiligung hatten sich im ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag in mehr als 300 von 577 Wahlkreisen je drei Kandidierende für die Stichwahl qualifiziert. In knapp der Hälfte dieser Wahlkreise lag der Vertreter des rechtspopulistischen RN vorn. Wenn sich in diesen Wahlkreisen nun der jeweils drittplatzierte Kandidierende zurückzieht, verbessert das die Chancen der oder des Zweitplatzierten, den Wahlkreis doch noch zu gewinnen - so das Kalkül.
    Das Vorgehen könnte jedoch auch das Gegenteil bewirken: Umfragen zufolge kritisieren viele französische Wählerinnen und Wähler, dass sich Kandidierende nach dem ersten Wahlgang zurückziehen und sie von den Parteien Wahlempfehlungen für die Stichwahl erhalten.
    "Viele der Wählerinnen und Wähler werden vor dem Dilemma stehen, dass der Kandidat, von dem sie sich am meisten versprochen haben, nun nicht mehr zur Wahl steht", erklärt Frankreich-Korrespondentin Christian Kaess. Das könne dazu führen, dass die Wahlbeteiligung sinke.

    Mögliche Szenarien nach der Wahl

    Sollte der Rassemblement National die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung gewinnen, wäre Präsident Macron gezwungen RN-Parteichef Jordan Bardella als Premierminister zu ernennen. Andernfalls könnte die Nationalversammlung die Regierung durch ein Misstrauensvotum stürzen.
    Es käme dann zu einer so genannten Kohabitation, in der Regierung und Präsident unterschiedlichen Parteien angehören. Macron würde dabei insbesondere in der Innenpolitik deutlich an Macht einbüßen. Präsident und Parlamentsmehrheit würden sich gegenseitig blockieren.
    Das könnte zwar das Vertrauen in den Rassemblement National erschüttern und die Zustimmung sinken lassen. Sollte dieser dennoch für die Mehrheit der Bevölkerung überzeugende Ergebnisse liefern, dann würde ein Sieg von Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2027 wahrscheinlicher.
    Sollte der Rassemblement National keine absolute Mehrheit erreichen, könnten sich allen demokratischen Parteien zu einem Bündnis zusammenschließen. Aber auch ein solches Bündnis über alle Lager hinweg müsste erst geformt werden und bliebe in seiner Umsetzung schwierig, sagt die Soziologin Eileen Keller vom Deutsch-Französischen-Institut in Ludwigsburg.

    Welche mögliche Folgen hat der Sieg der extremen Rechten?

    Der Rassemblement National ist für seine europakritische Einstellung bekannt, auch wenn Le Pen mittlerweile nicht mehr von einem Austritt aus der EU spricht. Überhaupt vertritt sie moderatere und weniger radikale Positionen als in der Vergangenheit. Auf diesen Weise ist es Le Pen gelungen, sich von ihrem Vater, dem Parteigründer Jean-Marie Le Pen abzusetzen und ihre Partei als nicht mehr rechtsextrem erscheinen zu lassen.
    Zuletzt war sie auch aus diesem Grund auf Distanz zur deutschen AfD gegangen. So erscheint ihre Partei immer mehr Franzosen und Französinnen wählbar. Dies dürfte auch einer der Gründe dafür gewesen sein, dass Le Pen nach den Skandalen um den AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah die Fraktionsgemeinschaft mit der AfD im Europaparlament aufkündigte.
    Auch bei ihrer Haltung zu Russland positionierte sich der Rassemblement National zuletzt kritischer. Dennoch wäre mit einer von ihm geführten französischen Regierung die Unterstützung der EU für die Ukraine in der aktuellen Form sicherlich nicht weiter möglich. In Klima- und Wirtschaftsfragen geht es dem Rassemblement National um eine stärkere Unabhängigkeit von EU-Vorgaben und um Protektionismus. Handelsabkommen könnten damit infrage gestellt werden.
    Die deutsch-französischen Beziehungen, die in letzter Zeit sowieso angeschlagen waren, könnten mit einer extrem rechten Regierung in Paris an einen nie gekannten Tiefpunkt gelangen. Nur eine mögliche Wahl Le Pens zur Präsidentin würde das Verhältnis wohl noch stärker abkühlen. Berlin könnte weniger auf den viel zitierten deutsch-französischen Motor in der EU setzen, sondern müsste eine noch stärkere Führungsrolle in der Union übernehmen.

    Welche Parteien und Bündnisse treten bei der Wahl an?

    Da das Mehrheitswahlrecht in Frankreich kleine Parteien bei der Sitzverteilung benachteiligt, werden Bündnisse gebildet. Der Rassemblement National ist durch Überläufer der konservativen Republikaner weiter erstarkt.
    Verschiedene linke Parteien, darunter auch die Sozialisten und La France Insoumise um Jean-Luc Mélenchon, haben das Wahlbündnis Nupes (Neue ökologische und soziale Volksunion) von 2022 als sogenannte Volksfront wiederbelebt.
    Die Koalition von Macrons Lager, Ensemble, geht unter dem Motto "Gemeinsam für die Republik" in die Wahl. Sie setzt sich aus Macrons Partei Renaissance, dem Mouvement démocrate von François Bayrou, Horizons von Edouard Philippe, der Union des démocrates et indépendants und der Parti radical zusammen.

    Hat sich Macron verzockt?

    Nachdem Macron bei den Europawahlen am 9. Juni 2024 eine historische Niederlage erlitt, kündigte er Neuwahlen an. Seine Partei erhielt nur 14,6 Prozent der Stimmen, der rechtsextreme Rassemblement National dagegen 31 Prozent. Eine weitere extrem rechte Formation, die Partei Reconquête, erhielt mehr als fünf Prozent der Stimmen. Die Neuwahlen sollten zum Referendum gegen oder für den Rassemblement National werden.
    Das Ergebnis des ersten Wahlgangs zeigt nun, dass es sich bei den Wählern des Rassemblement National nicht nur um Protestwähler handelt. Die Menschen sind von der politischen Agenda der Rechtspopulisten offenbar überzeugt.
    Die Wählerinnen und Wähler hätten Macron einen Denkzettel verpassen wollten, meint Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Das Wahlergebnis sei eine klare Absage an die Politik des Präsidenten. Es deute sich an, dass sich die vom ihm geschaffene politische Bewegung langsam auflöse.
    Unabhängig vom Wahlausgang werde er Präsident bleiben, hatte Macron im Vorfeld gegenüber der französischen Zeitung „Le Figaro“ angekündigt. Möglicherweise kalkuliert er damit, dass der Rassemblement National in der Regierungsverantwortung einen Teil seiner neuen Wählerschaft enttäuschen wird. Denn in dieser Kohabitation genannten Konstellation, bei der Präsident und Premier nicht dem gleichen Lager angehören, könnte die Partei von Le Pen viele ihrer Vorhaben besonders in der Außenpolitik nicht umsetzen.
    Da Präsident Macron noch drei Jahre im Amt sein wird, würde er versuchen, in dieser Zeit den Rassemblement National noch einzudämmen und einen Wahlsieg von Le Pen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen zu verhindern.
    Die Professorin für Öffentliches Recht, Sophie Schönberger, hält das jedoch für ein „sehr riskantes Projekt“. Es sei nicht sicher, ob sich ein Regierungsmalus für den Rassemblement National einstellen würde, solange dieser im System der Kohabitation sagen könnte: Wir würden ja gern, aber der Präsident verhindert, dass wir wirklich unser Programm umsetzen.
    afw, ema