Über Partei- und andere Grenzen hinweg sind die meisten Kommentare schon jetzt vernichtend – "überfällig" seien die Reformen, wenn sie auch viel zu spät kämen und warum die 35-Stunden-Woche nicht endlich ganz abgeschafft werde!? – so klagen viele. Andere sprechen von der "Zerstörung des Sozialstaats", etwa Pierre Laurent, der "Secretaire national" der französischen Kommunisten und Vorsitzende der "Europäischen Linken".
"Dieser Text zum Arbeitsrecht ist praktisch eine Sprengung aller Garantien der Arbeitnehmer, er steht im Gegensatz zu allem, was die Linke einst begründet hat!"
Längere Arbeitszeiten, weniger Kündigungsschutz
Dabei hat die sozialistische Arbeitsministerin Myriam El Khomri nurmehr einen Entwurf für ein neues Arbeitsrecht vorgestellt – doch diese neuen Ideen sind eben eigentlich die alten Ideen, also greifen die alten, bekannten, doch mit jeder Wiederholung heftiger werdenden Reflexe. Der Gesetzentwurf sieht im Kern vor, den Kündigungsschutz zu lockern, betriebsbedingte Entlassungen zu erleichtern, damit sollen Unternehmen mehr Mut zu Neueinstellungen finden, die entsprechenden Verfahren sollen ihrerseits vereinfacht werden. Die 35-Stunden-Woche schreibt auch das veränderte Gesetz fest, allein bei "erhöhten Aktivitäten im Unternehmen" sollen die Arbeitgeber künftig noch längere Arbeitszeiten anordnen können als ohnehin schon: statt derzeit 44 Stunden pro Woche für einen Zeitraum von höchstens 12 Wochen, könnten Arbeitnehmer zukünftig - etwa bei sehr guter Auftragslage des Unternehmens - 48 Stunden wöchentlich arbeiten müssen und das 16 Wochen lang. Bei "außergewöhnlichen Umständen" soll auch die 60-Stunden-Woche möglich werden – sie gab es bisher nicht. Als Grundlage solcher Ausnahmeregelungen sind betriebsinterne Vereinbarungen vorgesehen, an denen die Gewerkschaften beteiligt sind – allerdings nur, wenn sie mindestens die Hälfte der Belegschaft repräsentieren.
Den Arbeitgeberverbänden kommen diese Neuregelungen sehr entgegen, Gewerkschaften und Teile der regierenden sozialistischen Partei kritisieren sie scharf. Der Netzaktivist Elliott Lepers setzte umgehend eine Petition zur Verhinderung dieses Gesetzes auf.
"Ich glaube, dieses Gesetzesprojekt ist gefährlich, denn es führt zu einem völlig enthemmten Liberalismus - und das beunruhigt mich doch sehr."
Und es dauerte nicht wirklich lange, da hatten schon über 300 000 Menschen diese Petition unterschrieben. Die Frontlinien sind klar: der "Liberalismus" oder was dafür gehalten wird steht gegen Vorstellungen vom "Sozialstaat". Doch Premierminister Manuel Valls ist entschlossen:
"Diese Reform des Arbeitsrechts ist sinnvoll! Jeder lehnt Arbeitslosigkeit ab, jeder lehnt prekäre Verhältnisse ab! Alle lehnen immer ab – nur wenn man Vorschläge macht, dann stehen alle auf und sagen: das geht aber nicht! Wir leben seit über 30 Jahren mit einer hohen Arbeitslosigkeit, wir haben heute über dreieinhalb Millionen Arbeitslose! An sie wende ich mich doch, an sie, die eine Arbeit suchen, die vielleicht seit Jahren arbeitslos sind, ich will die Franzosen überzeugen, ich will eine Mehrheit der Abgeordneten überzeugen, die der Linken vor allem."
So redet Manuel Valls sich in Rage - "jusqu'au bout...": bis ans Ende will er gehen.
Beschluss ohne Abstimmung der Nationalversammlung
Dass es ein bitteres Ende werden wird – davon sind die Gewerkschaften überzeugt. Besonders erzürnt sie, dass schon davon gemunkelt wird, auch dieses Gesetz könnte am Ende mit Hilfe des Artikels 49-3 der französischen Verfassung beschlossen werden: er macht die Annahme eines Gesetzes ohne Abstimmung der Nationalversammlung möglich – und ist mit einem Misstrauensvotum verbunden. Schon Wirtschaftsminister Emanuel Macron hatte sein Reformgesetz mit neuen Arbeitszeitregelungen nur mithilfe dieses Artikels umsetzen können – doch Arbeitsministerin Myriam El Khomri will von derlei nichts wissen:
"Ich will, dass über diesen Text debattiert wird, und ich will, dass wir überzeugen mit diesem Gesetz. Die Frage nach dem Artikel 49-3 stellt sich nicht – er ist nicht wünschenswert, und er ist nicht nötig."
Bevor der Gesetzentwurf im April ins Parlament kommt, müssen Staatsrat und Ministerrat ihn beschließen: der Chor begleitender Debatten wird auch weiterhin unüberhörbar sein.