Friedbert Meurer: Seit 2005 ist Angela Merkel Bundeskanzlerin - in den gut acht Jahren, seitdem hat es keinerlei Vorgänge gegeben, die man auch nur im Entferntesten als eine persönliche Affäre bezeichnen könnte. Ihr Leitbild ist im Gegenteil das der schwäbischen Hausfrau, die rechtschaffen und tugendhaft für das Gemeinwohl sorgt. Damit steht sie in krassem Gegensatz zum Beispiel zum früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi oder zu französischen Präsidenten – oder Beinahe-Präsidenten, wie Dominique Strauss-Kahn. Frankreich diskutiert jetzt über eine angebliche Affäre seines Präsidenten François Hollande mit einer französischen Schauspielerin, Julie Gayet – und das kurz bevor am Dienstag Hollande, der im Umfragetief steckt, eine große politische Rede halten will. Pascale Hugues lebt als französische Publizistin in Berlin, und dort begrüße ich sie jetzt. Guten Tag, Frau Hugues!
Pascale Hugues: Hallo!
Meurer: Schadet oder nutzt diese vermeintliche Affäre dem französischen Präsidenten?
Hugues: Ich glaube, dass es wahrscheinlich ihm schadet, weil er am Dienstag nicht über seine neuen, endlich neuen Pläne für Wirtschaftsmaßnahmen, Steuerreduzierungen, Reduzierung der Ausgaben des Staates – darüber wird kein Journalist ... Die Journalisten werden am Dienstag nicht deswegen kommen, dieser neue Plan, dieser Reformplan, wird völlig untergehen, und alle haben nur im Kopf, ob er diese Affäre hat oder nicht. Und in dem Sinn schadet es ihm.
Meurer: Glauben die Journalisten, dass er diese Affäre hat?
Hugues: Keine Ahnung, das ist ein Gerücht. Es ist ganz komisch, dass es jetzt rauskommt. Also ein paar Tage ist es lauter schon, also in den Redaktionen hatte man so Vermutungen, aber es ist ein Gerücht, und es kommt ein paar Tage vor dieser Pressekonferenz, das ist vielleicht nicht ein Zufall.
Meurer: Was ist denn das Image von François Hollande in Frankreich, sein persönliches Image?
Hugues: Ja, man nennt ihn Flamby. Flamby ist eine Marke von einem Pudding, was nicht so für eine starke Männlichkeit spricht. Aber man weiß auch, dass er sehr charmant, sehr viel Humor hat, aber er gilt nicht als großer Lebemann, ja, also mehr ein Mann, der Frauen mag, aber nicht ... Er hatte eine sehr lange, dann hatte er eine neue, und das geht uns alle nichts an. Also ich finde, ein Mann, der Frauen mag und der so eher sympathisch ... aber das geht uns nichts an, und das finde ich sehr gefährlich. Also stellen Sie sich vor, wenn Sie jetzt ... also die ganze deutsche Presse ist voll. Man hat monatelang fast nichts über Frankreich gehört, ein bisschen über die Wirtschaftsschwierigkeiten, und jetzt ist das auf den Hauptseiten, auf den ersten Seite so Riesenartikel, und Sie fragen mich ...
Meurer: In Deutschland galt das in der Tat immer so, dass das alles ja Privatangelegenheit ist, hat sich auch ein wenig geändert. Ist das in Frankreich nicht etwas anders, dass solche Affären – nehmen wir mal François Mitterrand beispielsweise – durchaus tagelang und in aller epischen Breite diskutiert werden?
Hugues: Ja, weil Mitterrand hatte jahrelang ein richtiges Doppelleben mit einer zweiten Familie, und das wurde verschwiegen, weil Mitterrand das nicht wollte. Und das war ... Also es ist Mitterrand, der erlaubt hatte, dass man über seine uneheliche Tochter, Mazarine Pingeots, spricht. Also er hat das grüne Licht gegeben. Es hat sich geändert mit Sarkozy. Plötzlich wurde das Privatleben, die Kinder, die Stiefkinder, die ehelichen Schwierigkeiten und die neue Frau wurden dann publik gemacht. Da war der Bruch. Es ist Sarkozy, der erstmals sein Privatleben zur Schau gestellt hat, aber vorher … Also man wusste von Chirac, man wusste von Giscard d'Estaing, die hatten alle Affären, jeder wusste. Also die Presse wusste, aber es wurde geschwiegen. Es ging niemand etwas an.
Meurer: In Deutschland glaubt man ja fast, dass das dazugehört als französischer Präsident, dass man sich eine Affäre oder eine Kurtisane, wie man früher sagte, geleistet hat. Ist das falsch?
Hugues: Ja, also ich glaube erst mal, sie hatten das auch hier – Seehofer und ... Also es gibt mehrere Politiker, die Affären hatten. Ich weiß nicht, der menschliche Typ ist gleich auf beiden Seiten des Rheins. Es ist vielleicht nicht so spektakulär und es gehört nicht ... in Deutschland ist es eine nicht so sexualisierte Gesellschaft wie die französische, wo Männer gucken, wo Frauen gucken, es knistert viel mehr in Frankreich. Wenn Sie in der U-Bahn fahren und so, spiegelt sich das auf der politischen Klasse. Hier ist es alles ein bisschen ruhiger und "anständiger", aber ich sehe da kein Problem. Jeder soll sein Leben leben, wie er will.
Meurer: Frau Hugues, Sie schreiben heute ja im "Tagesspiegel", der Berliner Tageszeitung, eine Kolumne, in der Sie sich über die Schlagzeile der Woche hier in Deutschland wundern. Erster Satz Ihrer Kolumne: "Merkel regiert vom Bett aus." Und Sie fragen sich kurz, ob das tugendhafte Deutschland sich den französischen Sitten anpasst. Ist Ihr Weltbild wieder in Ordnung?
Hugues: Ja, das war der Titel der "Bild"-Zeitung, und als Französin, wenn man diese Titel sieht, denkt man sofort, oh, sie hat einen Lustknaben im Bett und man denkt nicht, sie hat sich das Becken gebrochen. So sind wir gestrickt im Kopf, wir Franzosen.
Meurer: Wir denken da an Langlaufskier.
Hugues: In Frankreich denkt keiner an Langlaufskier, jeder denkt an einen Mann, einen versteckten Mann. Aber ja, ob das Klischee ist oder nicht ... Ich glaube, dass es in Deutschland vielleicht versteckter ist. Wir haben viele Politiker, die Affären haben oder hatten, aber es ist versteckt und es ist nicht so glamourös, es gehört nicht dazu. Aber wir wissen nichts über François Hollande, wir wissen wirklich nichts. Und wenn es so ist, die Frau ist wunderschön, warum nicht, das geht uns nichts an.
Meurer: Die angebliche Affäre des französischen Präsidenten François Hollande beschäftigt Frankreich, und ich sprach darüber mit der Publizistin Pascale Hugues in Berlin. Danke Frau Hugues, schönes Wochenende Ihnen!
Hugues: Danke!
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