Ein Video auf YouTube zeigt sieben Frauen im Gemeinde-Schwimmbad von Grenoble, die Ende Juni im Freiluftbecken planschen und singen: "Wir baden!"
Ihr Slogan klingt trotzig. Denn die Frauen tragen Burkini, den muslimischen Ganzkörper-Badeanzug. Das aber widerspricht der Schwimmbad-Hausordnung, die Frauen werden hinauskomplimentiert. Dann treten die Bademeister in Streik, das Freibad bleibt zwei Tage lang dicht. Während die Affäre in Frankreich hohe Wellen schlägt. Ganz wie vor drei Jahren, als Musliminnen im Burkini an Stränden im Süden des Landes gesichtet wurden. Mehrere Gemeinden hatten daraufhin das Zurschaustellen von Symbolen religiöser Zugehörigkeit am Strand explizit verboten.
Hinter der Aktion im Schwimmbad von Grenoble nun steckt der Verein "Alliance Citoyenne", ein Zusammenschluss von Bürgern, die ungerechte Behandlung im öffentlichen Leben anprangern. Getreu dem US-amerikanischen Vorbild des "Community organizing". Taous Hammouti von "Alliance Citoyenne" erklärt im Privatradio RMC, warum sie und ihre Mitstreiterinnen im Freibad von Grenoble den Burkini anlegten.
"Die Schwimmbad-Hausordnung ist diskriminierend und ungerecht. Sie verhindert, dass wir von den kommunalen Einrichtungen profitieren können. Im Schwimmbad wird uns traditionelle Badebekleidung aufgezwängt, das ist ungerecht."
Verbot aus Hygienegründen?
Die Mehrheit der Franzosen sieht das anders. Bei einer Meinungsumfrage im August 2016 sprachen sich 64 Prozent der Befragten gegen den muslimischen Ganzkörper-Badeanzug am Strand aus. Wobei: Knapp jedem Dritten war das Thema egal. Anlässlich der Burkini-Affäre in Grenoble verlangt der dortige Bürgermeister eine gesetzliche Regelung, entsprechend dem sogenannten Kopftuch-Erlass, der seit 2004 Jungen und Mädchen verbietet, in öffentlichen Schulen auffällige religiöse Symbole zu tragen. Ein gesetzliches Burkini-Verbot hält jedoch Sibeth Ndiaye für überflüssig. Die Regierungssprecherin erklärt im privaten TV-Nachrichtensender BFMTV, die Aktion der Musliminnen in Grenoble sei, "ein von einer politischen Minderheit instrumentalisierter Fall". Die Schwimmbad-Regeln seien klar.
"Sie dürfen nicht oben ohne ins Wasser springen und auch nicht im Burkini. Und zwar aus Gründen der Hygiene und der Sicherheit. Diese Regeln wurden wirklich keineswegs aufgestellt, um Mitglieder dieser oder jener Religionsgemeinschaft vom Schwimmbad fernzuhalten."
Ganz so klar ist die Lage allerdings nicht, meint Alain Jean. Jean arbeitet im Pariser Sportministerium und ist Präsident der UFOLEP, der 'französischen Union für das laizistische Werk bei der Leibeserziehung', wichtigster Sport-Verband im Land.
Er sagt: "Vom französischen Gesetz wird keinerlei Sportkleidung verboten. Gesetzliche Grenzen gibt es nur betreffs Hygiene und Sicherheit. Beim Burkini geht es um dieselbe Debatte wie im Frühjahr rund um den sogenannten 'Hijab für den Laufsport', eine Kopfbedeckung für Musliminnen, die ein französischer Sportartikelhersteller auf den Markt bringen wollte. Wenn nun ein Burkini nicht gegen die Hygienevorschriften verstößt, ist er erlaubt. Und auf die Frage, ob er die Sicherheit der Trägerin und anderer Sportler gefährdet, lautet die Antwort: Nein."
"Im Sport haben religiöse Kennzeichen nichts verloren"
"Die freie Glaubensäußerung hat Vorrang, wenn dies nicht die öffentliche Ordnung stört." Daran erinnert eine neue Broschüre des Sport- und Jugendministeriums in Paris. Der Leitfaden im Bereich "Laizität und Sport" detailliert auf 64 Seiten, die rechtlichen Vorgaben und gibt konkrete Fallbeispiele. Ein Thema: Burkini im Gemeindebad. Dazu heißt es in der Broschüre, es stehe den Einrichtungen frei, das Thema in ihrer Hausordnung zu regeln. Im Streitfall solle die Direktion bei einem Gespräch die objektiven, hygienischen Gründe für das Verbot des Ganzkörper-Badeanzugs erläutern.
Zur Burkini-Schwimmbad-Affäre hat sich Sportministerin Roxana Maracineanu nicht geäußert. Wohl aber zum 'Lauf-Hijab'. Der sorgte für solche Schlagzeilen, dass der Fabrikant zurückruderte. Obgleich die Sportministerin damals twitterte:
"Ich möchte alle Frauen, Mütter, junge Mädchen, überall dort abholen, wo sie sind und egal, wie sie sind. Sie ermutigen, Sport zu treiben. Denn der Sport ist, und davon bin ich überzeugt, ein machtvoller Hebel der Emanzipation."
Die Sportministerin, ehemals erfolgreiche Wettkampfschwimmerin, setzt auf das Motto "Sport für alle". Doch ihre Toleranz gegenüber Sportbekleidung nach muslimischem Schnitt wird von vielen Landsleuten nicht geteilt. Vor allem nicht von den Feministinnen, die für eine strikte Auslegung des Laizitäts-Prinzips sind. Linda Weil-Curiel kämpft seit langem gegen den Einfluss des politischen Islam im Sport.
"Im Sport haben religiöse Kennzeichen nichts verloren. Natürlich geht es an erster Stelle um den islamischen Schleier. Wenn wir das durchgehen lassen, werden bald Katholiken ein Kreuz auf ihr Trikot nähen und Juden mit Kippa zum Sport kommen."
Im Sportclub werden Probleme im Dialog geregelt
Glaubensäußerungen in Worten, Symbolen und Textilien sind in Frankreichs Sportwelt ein Thema. Die UFOLEP, wichtigster Amateur-Sportverband, hat im März für ihre Mitglieder einen Leitfaden verfasst, eine Premiere. Dabei gibt Verbands-Präsident Arnaud Jean zu:
"Mir ist kein Fall bekannt, dass einer unserer Sportclubs uns Verstöße gegen das Laizitäts-Prinzip gemeldet hätte. Das soll nicht heißen, dass es so etwas nicht gibt. Aber bis zu uns an der Verbandsspitze durchgedrungen ist nichts."
Eventuelle Probleme würden lokal im Sportclub geregelt, im Dialog, meint auch Julien Gazille vom 'französischen Verband Sport für alle'.
"Ein Beispiel: Eine Person jüdischen Glaubens konnte an gewissen Tagen wegen ihrer religiösen Praktiken nicht zu unserem Sporterzieher-Kurs kommen. Natürlich hat sie das Recht, ihren Glauben frei auszuüben, solange sie dabei niemanden stört. Aber bei der Ausbildung ist eine gewisse Stundenzahl vorgeschrieben. Der Club hat es der Person ermöglicht, die Kursstunden nachzuholen."
Schulung in "republikanischen Werten und Laizität"
Eine gütliche Einigung funktioniert nur, wenn das Laizitäts-Prinzip respektiert wird. Radikalisierte jedoch pfeifen darauf. Das weiß auch Julien Gazille. In seinem Sportverband ist er als 'Referent für staatsbürgerliche Fragen' tätig. Der Posten wurde nach den islamistischen Attentaten im Januar 2015 in Paris geschaffen, dank der von der damaligen Regierung angeordneten Präventionskampagne. Seither werden landesweit Sportclub-Mitarbeiter zum Thema 'Republikanische Werte und Laizität' geschult. Vor drei Jahren veröffentlichte das Sportministerium eine Broschüre zur Radikalisierung im Sportbereich. Denn laut polizeilichen Ermittlungen haben alle islamistischen Attentäter in Frankreich eines gemeinsam: Sie betrieben intensiv Sport - Boxen, Kampfsport, Fußball. Im November 2017 wurde der Fall von zwei radikalisierten Fußballtrainern in einem Verein im Pariser Großraum bekannt. Im privaten TV-Infosender BFMTV erklärte Rathaussprecher Pierre Tebaldini:
"Wir wissen sicher von einem Gebet, das die beiden Trainer auf dem Fußballfeld veranstaltet haben. Als Vorsichtsmaßnahme haben wir sie aufgefordert, zu gehen."
Das ist kein Einzelfall. Das Problem der Radikalisierung im Sportbereich sei nicht ausreichend durchleuchtet, heben zwei Abgeordnete der Nationalversammlung in ihrem kürzlich erschienenen Bericht zu 'Öffentlicher Dienst und Radikalisierung' hervor. Die Sportorganisationen verdoppeln ihr Engagement im Bereich Aufklärung.
Doch einen Burkini als erstes Anzeichen einer Radikalisierung zu werten, erscheint wenig angebracht. Entwickelt hat diese keusche Bademode eine Muslimin in Australien, als praktische Sportbekleidung für gläubige Frauen. Während hingegen für Islamisten generell Frauen weder im Schwimmbad noch am Strand etwas verloren haben, ob nun im Bikini oder im Burkini.