Mitte Oktober stellt Emmanuel Macron seine Vision von Frankreich im Jahr 2030 vor. Die Atomenergie preist der französische Präsident als Chance und historisches Modell. Frankreichs Kernkraftwerke sollen helfen, die CO2-Ziele des Landes zu erreichen.
Neben leistungsstarken Meilern im Land wirbt Macron für sogenannte kleine modulare Reaktoren. Die könnte Frankreich exportieren und den Vorsprung der USA, China und Russland bei dieser Technologie einholen. Der Politikwissenschaftler Florent Gougou, der das Image der Atomenergie in Frankreich über Jahre untersucht hat, kritisiert:
„Kleine Reaktoren legen kleine Unfälle mit geringen Konsequenzen nahe. Man bekommt den Eindruck: Das ist nicht so schlimm. In den Reden der Politikerinnen und Politiker, die für die Atomkraft sind, werden nur die Vorteile gezeigt. Die Gefahren werden abgeräumt mit dem Argument: Das passiert in Frankreich nicht.“
Sicherheitsbedenken werden weggewischt
Das französische Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit stellt klar, bei den meisten neuen Techniken dieser Reaktoren müssten Machbarkeit und Effizienz erst noch bewiesen werden. Nur detaillierte Untersuchungen könnten bewerten, ob die neuen kleinen Kernkraftwerke tatsächlich mehr Sicherheit bieten als die herkömmlichen.
Sicherheits-Bedenken aber wurden in Frankreich schon in der Vergangenheit wenig beachtet. Kurz nach dem Reaktorunfall in Fukushima im März 2011 als Deutschland sich auf den Weg zum Atomausstieg machte, erklärt der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy.
„Frankreich wird seiner Verantwortung gewachsen sein. Wir entscheiden uns für die Atomenergie. Für Frankreich ist sie wichtig, um bei der Energie-Produktion unabhängig zu sein und um gegen Treibhausgase zu kämpfen. Begleitet wird das von höchsten Sicherheitsanforderungen.“
Dass die Zustimmung zur Atomkraft auch in Frankreich nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima rasant gesunken war, fing der damalige Staatschef ab, erklärt der Politologe Florent Gougou.
„Nicolas Sarkozy vermittelte, dass Frankreich ein Ort sei, an dem man die Sicherheit von Atomanlagen garantiere. Im darauffolgenden Präsidentschaftswahlkampf setzten die Konservativen – allen voran Sarkozy – auf das Argument, die Nuklearenergie schaffe Arbeitsplätze. Zusammen mit dem Umweltschutz führte das dazu, dass die Bevölkerung wieder für die Atomkraft war.“
Erstmals seit Jahrzehnten werden neue AKW geplant
Mehr als 70 Prozent des Stroms, der in Frankreich fließt, kommt aus Atomreaktoren. Sarkozys Nachfolger, der sozialistische Präsident Francois Hollande, war weniger nuklear-freundlich. In seiner Präsidentschaft beschloss die Regierung, den Anteil aus der Kernkraft bis zum Jahr 2025 auf 50 Prozent der Stromproduktion zu senken.
Unter Präsident Emmanuel Macron wiederum wurde diese Frist auf das Jahr 2035 verlängert - mit der Begründung, das Ziel 2025 sei nicht realistisch. Der französische Präsident plant für Frankreich erstmals seit Jahrzehnten neue Kernkraftwerke des Typs EPR, des europäischen Druckwasser-Reaktors. So einer wird seit Ende 2007 im nordfranzösischen Flammanville gebaut und sollte schon 2012 fertig sein. Nach einer Kostenexplosion von geplanten 3,3 Milliarden Euro auf gut 19 Milliarden wird mittlerweile 2023 für den Start anvisiert.
Dennoch kommt der französische Stromnetzbetreiber RTE in einer Analyse verschiedener Wege zur CO2-Neutralität zu dem Fazit: Atomkraft ist wirtschaftlich sinnvoll. Über den Ende Oktober vorgelegten Bericht freut man sich in Frankreichs Atombranche. Atomgegner kritisieren dagegen, der Report sei realitätsfremd und antidemokratisch.
Den Atom-Kritikern kommt außerdem die Frage des Atommülls in der öffentlichen Debatte viel zu kurz. Während heißer Sommer müssen immer wieder alte französische Atommeiler stundenweise abgeschaltet, weil das Kühlwasser aus den nahegelegenen Gewässern zu knapp wird oder bei der Rückleitung zu heiß ist für die ohnehin schon erhitzten Flüsse, Seen oder das Meer. Auch dieses Problem wird momentan kaum öffentlich diskutiert.
Laut dem staatlich dominierten Elektrizitätsunternehmen EDF sind Stromausfälle wegen der Abschaltungen unwahrscheinlich, weil die Auswirkungen auf die Stromproduktion zu gering sind. Derweil bekräftigen Politikerinnen und Politiker im anlaufenden Präsidentschaftswahlkampf ihre Haltung zur Nuklearenergie. Marine Le Pen, Präsidentschaftskandidatin des extrem rechten Rassemblement National, und bisher Macrons stärkste politische Gegnerin, findet:
„Wir müssen die Atomkraft wieder ankurbeln! Sie hat am wenigsten CO2-Emissionen. Und sie ist vor allem am billigsten. Nutzen wir also diesen Vorteil, den uns die Entscheidung von General de Gaulle damals einbringt!“
Rolle der Atomkraft im Wahlkampf
Charles de Gaulle hatte als Präsident in den 1960er Jahren die Weichen für das umfangreiche Atomprogramm im Land gestellt. Auch der Präsidentschaftskandidat der kommunistischen Partei, Fabien Roussel, setzt auf die Reaktoren.
„Es geht um die Rückeroberung und Verteidigung der Kaufkraft unserer Mitbürger und den Schutz unserer Unternehmen, um Frankreich wieder zu industrialisieren. Unsere eigene Energie produzieren zu können ist wichtig, um sowohl unsere Arbeitsplätze zu schützen als auch die Kaufkraft der Franzosen.“
Jean-Luc Mélenchon dagegen, Präsidentschafts-Kandidat der linken Partei „Unbeugsames Frankreich“ bezeichnet die Atomkraft als Energie der Vergangenheit. Er fragt in einem Meinungsartikel in der Zeitung „Journal de Dimanche“, ob Frankreichs 56 Reaktoren dem Land tatsächlich Unabhängigkeit bei der Energieerzeugung bescheren und gibt selbst die Antwort: „Nein. Es gibt kein Uran in Frankreich. Wir importieren es vor allem aus dem Niger und Kasachstan.“
Zudem sei Atomstrom teurer als mancher aus erneuerbaren Energien, schreibt Mélenchon. Auch Yannick Jadot, Präsidentschaftskandidat der Grünen, ist gegen die Atomkraft. Er weist den Vorwurf, ohne sie riskiere man einen „Black-Out“ zurück.
„Wenn Sie eine Mischung von erneuerbaren Energien zusammenstellen, ergibt das eine solide Versorgung. Ich bin ganz und gar verantwortungsvoll. Niemand sagt: wir werden die französischen Kernkraftwerke morgen schließen. Wir werden Energie einsparen, die Erneuerbaren ausbauen, und schrittweise werden wir die Reaktoren schließen ohne uns in Gefahr zu bringen. Ich schätze einen Ausstieg in 20 Jahren als realistisch. Wir werden also nicht heute Geld in kleine Reaktoren stecken, die man sowieso erst in 20 Jahren nutzen kann.“