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Frankreich
"Sie standen für Werte, die wir alle brauchen"

Die Zeichner von Charlie Hebdo seien den Heldentod gestorben, schreibt Nils Minkmar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Trotz Morddrohungen hätten sie nicht aufgehört, begründete der Europa-Kulturkorrespondent seine Ansicht im DLF. Nach den gestrigen Demonstrationen müsse man aber abwarten, ob sich im Land etwas nachhaltig verändere.

Nils Minkmar im Gespräch mit Christine Heuer | 12.01.2015
    Großkundgebung an der Place de la Nation in Paris - gegen Terror und Extremismus
    Großkundgebung an der Place de la Nation in Paris - gegen Terror und Extremismus (AFP / Loic Venance)
    Der Sonntag sei mit seinen Demonstrationen ein "historischer Tag" für Frankreich gewesen. Das Potenzial für nachhaltige Veränderungen sei da. "Die Leute möchten gerne einen anderen Kurs im Umgang mit dem Terrorismus, im Umgang mit dem radikalen Islam." Es bestehe der Wunsch, etwas gemeinsam zu bewegen.
    Mit Blick auf den Front National glaubt Minkmar nicht, dass die Partei unter Marine Le Pen aus den Attentaten Profit schlagen kann: "Es ist eine Partei voller Hass, jetzt aber hetzen, das geht nicht. Da schaut die Welt viel zu sehr auf sie."
    Mit Blick auf den Berufsstand der Journalisten sei ein raueres Klima spürbar, viele Leserinnen und Leser seien sehr stark unter Druck.

    Das Interview mit Nils Minkmar in voller Länge:
    Christine Heuer: Es gibt dafür kein Vorbild, das war das erste Mal, dass nahezu alle europäischen Spitzenpolitiker und viele weitere aus dem Rest der Welt eingehakt in einer Reihe geschlossen demonstrieren für die Freiheit in unseren Demokratien und gegen den islamistischen Terror. Gestern war es genau so in Paris. Frankreich ist ins Mark getroffen. Die Attentate von letzter Woche sind das französische 9/11, sagen viele, und Frankreich reagiert damit, zusammenzuhalten, sichtbar für alle, und sich gemeinsam erneut auf seine Werte einzuschwören. Es ist, als hätten die Terroristen Asterix erschossen, hat gestern der Europa-Kulturkorrespondent der "FAZ", Nils Minkmar, geschrieben und ein Wort in den Mund genommen, das glücklicherweise, möchte man sagen, ganz aus der Mode gekommen ist. Den Heldentod, schreibt Nils Minkmar, seien die Zeichner und Autoren von "Charlie Hebdo" gestorben. Nils Minkmar ist jetzt am Telefon. Guten Morgen.
    Nils Minkmar: Guten Morgen!
    Heuer: Wieso Heldentod?
    Minkmar: Die Zeichner wussten ja schon seit Langem, dass sie bedroht sind, schon seit der Karikaturen-Affäre in Dänemark. Es gab Bombenanschläge, es gab immer wieder Morddrohungen, und sie haben nicht aufgehört, ihren Beruf auszuüben, sich über alle lustig zu machen, und standen damit für Werte, die wir alle brauchen, und vermittelten Ressourcen, von denen wir alle leben, und das sind für mich deswegen meine Helden.
    "Das war wirklich ein historischer Tag für Frankreich"
    Heuer: Sie sind selber halber Franzose. Wie haben Sie denn die Kundgebung gestern erlebt, wenn auch am Fernsehapparat?
    Minkmar: Das war wirklich ein historischer Tag für Frankreich. Frankreich litt ja in den letzten Jahren unter so einer Art Depression, war ja auch schon in der Reportage zu hören. Man zerlegte sich, stritt sich, und diese Einigkeit zu sehen und diese Fröhlichkeit, damit hatte ich schon gar nicht mehr gerechnet, dass so was noch mal in Frankreich möglich sein würde, auch dass zum Beispiel die Polizisten bejubelt wurden. Jeder gute Franzose schimpft immer über die Polizei, und das waren gestern ganz unglaubliche Szenen.
    Heuer: Ist das ein Wendepunkt? Verändert sich ab jetzt nachhaltig etwas in dem Land?
    Minkmar: Das muss man abwarten. Auf jeden Fall ist das Potenzial dafür da. Das hat der gestrige Tag gezeigt. Die Leute möchten gerne einen anderen Kurs im Umgang mit dem Terrorismus, im Umgang mit dem radikalen Islam. Aber auch insgesamt als Land. Man will mehr zusammenhalten und mehr zusammen gemeinsam bewegen.
    Heuer: Marine Le Pen ist von dieser Gemeinsamkeit ausgeschlossen. Sie durfte gestern nicht mitmarschieren in der ersten politischen Riege Frankreichs und der Welt. Spielen die Ereignisse am Ende dem Front National doch noch in die Hände?
    Minkmar: Mit Marine Le Pen - da gibt es widersprüchliche Aussagen. Hollande hat gesagt, es darf einfach jeder kommen. Er hat niemanden eingeladen, explizit auch niemanden ausgeladen. Sie hätte auch einfach teilnehmen können. Aber das wäre natürlich schwierig gewesen. Ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, hat sich dann noch mal sehr kritisch und eindeutig gegen "Charlie Hebdo" insgesamt ausgesprochen. Das wäre auch wirklich die verkehrte Welt gewesen, wenn die da mitmarschiert wären. Ich glaube nicht, dass es ihnen nützt. Paradoxerweise, die hatten so viele Erfolge und nannten sich ja selber schon die erste Partei Frankreichs, sodass sie jetzt eigentlich nicht machen können, was sie eigentlich gern machen würden, nämlich zu hetzen. Das ist ja eine Partei voller Hass. Das geht jetzt nicht, da schaut die Welt viel zu sehr auf die. Deswegen sind sie jetzt etwas ratlos. Das finde ich gar nicht schlecht.
    "Raueres Klima auch im Umgang oder im Dialog mit Lesern"
    Heuer: Charlie Hebdo, ein Brandanschlag auf die "Hamburger Morgenpost" - ich möchte das nicht in der Bedeutung vergleichen, aber es ist beides passiert. Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für Medienhäuser werden ergriffen. Wird es gefährlich, Herr Minkmar, Journalist zu sein?
    Minkmar: Ja. In den letzten Jahren ist ja die Zahl der Journalisten, die ermordet wurden, immer weiter gestiegen, und in der Tat, man merkt schon ein etwas raueres Klima auch im Umgang oder im Dialog mit Lesern und so. Das stimmt, da verändert sich etwas.
    Heuer: Unser Berufsstand wird ja neuerdings als Lügenpresse verunglimpft. Sind Sie heute schon beschimpft worden?
    Minkmar: Nein. Gestern bin ich zuletzt beschimpft worden. Aber unser Beruf, der wurde ja schon immer verunglimpft. Das ist ja ein Begriff aus den 30er-Jahren. Alle totalitären Impulse versuchen ja, die Journalisten erst mal zu diskreditieren. Insofern ist das irgendwie nichts Neues. Das muss man auch wissen, wenn man sich auf diesen Beruf einlässt. Aber es ist schon etwas heftiger, ja.
    Heuer: Ja, es ist etwas mehr geworden, und es scheint, etwas substanzieller zu sein.
    Minkmar: Ja. Viele Leserinnen und Leser sind da auch sehr stark unter Druck. Ich mache immer die Erfahrung, dass man heftig beschimpft wird, dass so Mails kommen. Und wenn man dann die Leute mal anruft, oder im persönlichen Gespräch, komischerweise kommt man dann sehr schnell auf andere Themen. Das scheint, immer so ein Symptom zu sein, die Medien, auf die man sich dann so wie ein Blitzableiter richtet. In Wahrheit kommt der Druck vielleicht aus ganz anderen Ecken.
    Heuer: Woher? Aus der Politik?
    Minkmar: Ja, aus der Unsicherheit, wie es weitergeht, in der Politik nicht richtig vertreten zu sein und insgesamt das Gefühl zu haben, dass früher alles besser war.
    "Modernes Phänomen der Massenmedien, diese Verschwörungstheorien"
    Heuer: Es gibt diese Verschwörungstheorie der Systempresse, es gibt Verschwörungstheorien auch über die Attentate in Paris. Angeblich stecken dahinter westliche Geheimdienste, auch der Mossad soll mitspielen. Verabschiedet sich unsere Gesellschaft peu a peu von der Vernunft?
    Minkmar: Das ist ein paradoxes Phänomen. Je mehr Phänomene, je mehr Ereignisse zu sehen sind wie 9/11 oder schon die Mondlandung oder das Attentat auf Kennedy, je mehr die Medien etwas weltweit transportieren, desto stärker ist dann die Tendenz zu sagen, das kann nicht die Wahrheit sein, da muss eine Wahrheit hinter der Wahrheit sein, wenn das alle sehen können, dann kann das doch nicht stimmen.
    Heuer: Elvis Presley lebt ja auch noch.
    Minkmar: Ja genau! Das ist auch so ein wirkliches modernes Phänomen der Massenmedien, diese Verschwörungstheorien. Das wundert mich gar nicht, dass da bei Paris so was kommt. Aber meistens haben wir erfahren ist es einfach vertane Zeit, danach zu suchen, was dahinter steckt.
    Heuer: Gefährlich finden Sie diese Entwicklung nicht?
    Minkmar: Ich finde sie logisch. Man muss halt immer wieder dann aufklären, dagegenhalten. Es wird sicher einen Untersuchungsausschuss geben, der die Zusammenhänge da noch mal aufdeckt. Es sind ja auch tatsächlich objektiv Fragen offen. Das muss man beobachten.
    Heuer: Nils Minkmar, Europa-Kulturkorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Haben Sie Dank für das Gespräch, Herr Minkmar, und einen schönen Tag.
    Minkmar: Ich danke Ihnen. Ihnen auch. Ciao!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.