Am sichtbarsten wurde der Streit über die automatisierte Gesichtserkennung zuletzt bei der Frage, ob Schulen dabei zum Experimentierfeld werden dürfen. An zwei Gymnasien in Nizza und Marseille will die konservativ regierte Region Provence-Alpes-Côte d'Azur das Verfahren testen: die Eingangstore wurden mit Kameras ausgestattet, nur nach elektronischer Gesichtskontrolle darf die Schule betreten werden - so sollen potenzielle Gewalttäter erkannt, Attentate verhindert werden. Gegen diese Pläne gab es schnell Protest. Arthur Messaud, Jurist bei der Bürgerrechtsorganisation "La quadrature du net", im Sender RMC:
"Was uns am meisten stört, ist, dass hier die Kinder instrumentalisiert werden, um eine neue Technologie akzeptabel zu machen - indem man sagt: 'Schaut her, diese Technik schützt die Schwachen der Gesellschaft', usw. Ein absoluter Betrug! Denn tatsächlich ist das Ziel dieser Maßnahme nichts anderes, als die Gesichtserkennung zu legitimieren, damit die Bevölkerung sie akzeptiert. Damit der Staat sie dann überall einsetzen kann: auf der Straße, bei Demonstrationen, im Handel – dabei wird diese Technik von den meisten im Land eben nicht akzeptiert."
Staatliche Zugangscodes per Gesichtsvideo
"Überall einsetzen" will der Staat sie noch nicht. Es gibt Diskussionen, sie in der Pariser Metro einzuführen, spätestens zu den Olympischen Sommerspielen, 2024. In der Verwaltung ist man schon jetzt deutlich weiter. Die etwa 500 staatlichen Online-Dienste sollen künftig mit einem einzigen Zugangscode genutzt werden können, durch eine Smartphone-App, entwickelt vom französischen Innenministerium: "Alicem" heißt sie.
Vorgesehen ist, dass jeder einmalig den biometrischen Pass mit dem Smartphone scannt und ein Video seines Gesichtes dreht. Die Regierung speichert diese Daten und vergibt dann Zugangscodes nur nach einem Softwareabgleich zur Gesichtserkennung. Die französische Datenschutzbehörde CNIL hatte schon im Frühjahr schwere Bedenken gegen Alicem erhoben: Wer die "biometrische Behandlung" ablehne, wurde argumentiert, könne keine staatlich abgesicherte digitale Identität erlangen. Von Regierungsseite hieß es dazu, es gäbe ja Alternativen, niemand werde "gezwungen, ein Alicem-Konto anzulegen". Die Schul-Experimente von Nizza und Marseille kritisierte die CNIL letzte Woche als "legal nicht umsetzbar" und untersagte sie gänzlich – eine Entscheidung, die der Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi von den konservativen Republikanern, nicht nachvollziehen kann:
"Heutzutage hat doch jeder die Gesichtserkennung auf seinem Smartphone. Die CNIL zeigt durch ihre Entscheidung nur, dass sie eine völlig veraltete Institution ist. Dabei sollte die CNIL unserem Land doch helfen, die Werkzeuge bereitzustellen, die den Veränderungen der Gesellschaft entsprechen. Es ist völlig unverständlich."
Auch in der Regierung nicht unumstritten
Cédric O, in der Regierung von Präsident Macron Staatssekretär für Digitales, im Sender France Info:
"Um jemanden zu identifizieren, der versucht, einen geschützten Ort zu betreten, kann die automatisierte Gesichtserkennung ein geeignetes Mittel sein. Ob auch Schulen so geschützt werden sollten, darüber kann man streiten. Was wichtig ist, es einfach mal auszuprobieren. Im Moment reden alle mit, aber keiner weiß, wie gut oder schlecht diese Systeme wirklich arbeiten. Wir müssen experimentieren, brauchen gesicherte Daten und dann eine öffentliche Debatte darüber."
Doch auch über eine Kontrollinstanz, die das staatliche Vorgehen überwachen soll, machte sich Cédric O öffentlich schon Gedanken. Ganz unumstritten scheint das Verfahren auch in der Regierung nicht zu sein.