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Frankreich
Tabakhändler als "Banker"

Ab 2016 haben alle Bürger in der EU einen rechtlichen Anspruch auf ein eigenes Girokonto, auch wenn sie keinen festen Wohnsitz haben. In Frankreich gibt es schon jetzt eine Möglichkeit für sie, ein Konto zu eröffnen - im Tabakladen.

Von Bettina Kaps |
    "Le Petit Caporal" ist mit seiner roten Raute an der Fassade ein typisch französischer Tabakladen. Philippe Alauz steht an der Kasse, er verkauft Zigaretten, Lottoscheine, Zeitschriften, Briefmarken. Seit Kurzem hat er ein neues Produkt im Angebot: Der Rauchwarenhändler kann jetzt Geldkonten eröffnen. Alles, was Alauz dazu braucht, ist ein kleines Terminal in weiß und orange, das Gerät steht neben dem Ständer mit den Glückspielen in seinem Laden.
    "Die Kontoeröffnung dauert zehn Minuten. Der Kunde scannt seinen Personalausweis ein, er wird erfasst und geprüft. Dann bezahlt er 20 Euro und bekommt sofort ein Konto, eine Mastercard und eine IBAN-Nummer. Für uns Tabakhändler ist das eine bedeutende Anerkennung. Bis vor Kurzem hätte sich niemand vorstellen können, dass wir Geldkonten vergeben können, jetzt ist es Wirklichkeit geworden."
    Das neue Kontosystem heißt "Nickel" - das ist umgangssprachlich und bedeutet so viel wie sauber, ordentlich, perfekt. Hugues Le Bret ist ein Mitbegründer des Nickel-Kontos. Der Name, sagt er, bringe die Philosophie des neuen Systems auf den Punkt.
    "Kein Überziehungskredit, kein Scheckheft. Bei uns können die Leute nur so viel ausgeben, wie sie besitzen. Das System ist also absolut gesund. Es drohen keine Kosten für Schulden oder ungedeckte Schecks, die manche Bankkunden so sehr in die Enge treiben, dass ihnen sogar Kontenverbot droht. Die Leute kommen zu uns, um sich selbst zu kontrollieren."
    Das Nickel-Konto funktioniert über Internet und Handy. Mit der Mastercard kann der Kunde in Geschäften bezahlen und an allen Geldschaltern der Welt Bargeld abheben. Das geht aber auch bei den Tabakwarenhändlern, die das Konto vertreiben. Die Neuartigkeit des Kontos beruhe auf einer Technologie, die sein Partner, der Informatiker Ryad Boulanouar entwickelt hat, sagt Hugues Le Bret.
    "Der fundamentale Unterschied zu einem klassischen Konto besteht in der Echtzeit: Wenn Sie bei uns eine Überweisung erhalten, informieren wir sie schon zuvor. Wenn Sie einen Einkauf bezahlen, wird Ihr Kontostand in Echtzeit kontrolliert. Falls das Konto nicht gedeckt ist, lehnen wir die Zahlung ab, das ist kostenlos. Jede Kontobewegung wird unverzüglich und exakt verzeichnet. Ich teile Ihnen per SMS mit: Sie haben heute früh um 12.07 Uhr in der Hafen-Apotheke, Rathausstraße 12 in Vannes zwölf Euro ausgegeben."
    Eine soziale Komponente
    Bei den klassischen Banken würden die Daten erst in der Nacht abgeglichen und verarbeitet, erklärt Le Bret, der viele Jahre für die französische Großbank Société Générale gearbeitet und die Internetbank Boursorama geleitet hat.
    Das neue Konto ist vor allem für Menschen interessant, die Kontenverbot haben, weil sie einen ungedeckten Scheck ausgestellt oder ihr Konto heftig überzogen haben. Das betrifft über zwei Millionen Menschen in Frankreich. Für ein Nickel-Konto braucht man keine Adresse und keine regelmäßigen Einkünfte. Dadurch habe sein Unternehmen eine soziale Komponente, sagt Le Bret.
    "20 Prozent unserer Kunden sind arbeitslos, vier Prozent haben kein regelmäßiges Einkommen. Viele von ihnen haben Bankenverbot. Ohne Konto kann man aber keinen Vertrag bei einer Zeitarbeitsfirma bekommen. Ein Drittel unserer Kunden haben eine feste Stelle und wollen ihre Kontogebühren senken."
    Die jährliche Gebühr eines Nickel-Kontos beträgt 20 Euro. Bargeld einzahlen kostet zwei Prozent der jeweiligen Summe. Geld ziehen kostet einen Euro am Automaten und die Hälfte beim Tabakhändler, auch im Ausland fallen dabei keine weiteren Gebühren an. Alles andere ist gratis.
    Philippe Alauz hat in seinem "Petit Carporal" schon über 400 Konten eröffnet. Unter seinen Kunden sind auch Rentner. Sie fühlten sich sicherer, wenn sie ihr Geld bei ihm abheben statt am Automaten, sagt Alauz. Für sein Geschäft bringt das auch einen Vorteil:
    "In Frankreich nehme ich über die Zigaretten Steuern für den Staat ein. Wenn die Kunden bei mir Geld abheben, haben wir weniger Bares in der Kasse, das bedeutet also mehr Sicherheit."
    Seit Februar sind nun rund 70 Tabakhändler auch als "Banker" tätig. 11.000 Konten wurden bereits eröffnet. Die Vereinigung der 27.000 Tabakläden in Frankreich steht hinter der Initiative, an der die Tabakhändler auch verdienen können.