Die totale, journalistische Unabhängigkeit" rief Serge July Anfang der 70er-Jahre aus. Da hatte der erste Chef der Redaktion das Blatt gerade an der Seite des Philosophen Jean-Paul Sartre aus der Taufe gehoben. Keine Werbung, kein Einfluss, keine Aktionäre.
Damit ist es schon länger vorbei. Die Zeitung hat immer wieder turbulente Phasen erlebt, aber jetzt geht es um die Existenz. Angesichts drastisch eingebrochener Auflage, einem Schuldenberg von mehr als sechs Millionen Euro.
Vor Jahresfrist schon hatte der Staat die in Frankreich üblichen Presse-Subventionen im Falle von "Libération" vorziehen müssen, damit das Blatt im 40. Geburtstagsjahr den Kopf über Wasser halten konnte. Ein Geburtstag, den die Redaktion bereits im Unfrieden mit ihrem Direktionsmitglied, Nicolas Demorand, feierte.
Der warf nun am vergangenen Donnerstag das Handtuch, nach einer turbulenten Woche, die mit dem drohenden Bankrott des Blattes zu tun hat. Die Hauptaktionäre, der Bankier Edouard de Rothschild und der Immobilienbesitzer Bruno Ledoux, wollen frisches Geld nur zuschießen, wenn die Redaktion einem Rettungskonzept zustimmt.
Was sie den Journalisten an Ideen präsentierten, überzeugte aber nicht, im Gegenteil: Die Mitarbeiter gingen auf die Barrikaden. Denn die Geldgeber wollen unter der Marke des Blattes ein Kultur- und Konferenzzentrum aufbauen, kostenpflichtige Inhalte anbieten, an ein Restaurant, eine Bar, einen Treffpunkt in der Immobilie ist gedacht. 4500 wertvolle Quadratmeter in der Pariser Innenstadt. Dazu allerdings müsste die Redaktion umziehen, räumte Anteilseigner Ledoux ein, dem ein Teil der Zeitung, aber eben auch das Haus gehört, in dem das Blatt seit 1986 entsteht.
"Was uns da präsentiert wurde, ist leer", erboste sich eines der betroffenen Redaktionsmitglieder, "der Titel würde verschwinden und für ein Restaurant, ein Kulturzentrum, ein Café vermarktet."
Vom "Putsch der Aktionäre" gegen die "Libération" war die Rede, von "Geldmacherei mit der Marke", vom "Ausverkauf des journalistischen Inhalts". Die Redakteure schalteten Anwälte gegen die Besitzer ein und wandten sich gar an den Staatspräsidenten.
Als dann noch eine Mail des Anteilseigners Ledoux bekannt wurde, in der dieser die streikbewährte Redaktion als "ewiggestrig und von kümmerlichem Geist" beschimpfte, gab es kein Halten mehr.
"Wir sind eine Zeitung, kein Restaurant", titelte das Blatt am Samstag vor einer Woche, am Montag schrieb Chefredakteur Rousselot, "Was nutzt ein Restaurant, wenn es keine gute Zeitung mehr gibt?", am Donnerstag trat das , ohnehin schon ungeliebte Direktionsmitglied, Demorand, zurück, am gleichen Tag erklärten Künstler, Schriftsteller, Philosophen und Politiker ihre Solidarität mit der Redaktion.
Immobilien- und "Libé"-Besitzer Ledoux versuchte zu beruhigen, sprach im Finanzministerium vor, um mit einer staatlichen Bürgschaft und/oder direkten Zuschüssen das Blatt retten zu können. Er sprach von "kurzfristigen" Lösungen für eine "engfristige" Strategie, wies auf das internationale, teils wohlwollende Echo hin, das sein "Umstrukturierungsplan" für "Libération" erzielt habe, zeigte sich aber auch kühl kalkulierend, was den Wert der Pariser Immobilie betrifft, aus der die Journalisten sich jedoch nicht vertreiben lassen wollen.
Journalisten, die von jeher für "ihr" Blatt brannten. Ein pures Produkt der 68er-Bewegung, erinnert sich Jean Guisnel in einem Radiointerview. Er ist Gründungsmitglied der Redaktion und verfasste in den neunziger Jahren eine "Biografie" über "Libération", die Zeitung, die Frankreich seit 40 Jahren mit geprägt hat.
"Wir waren dort anfangs 50 Leute auf kleinstem Raum, 49 rauchten ihre Kippen, manchmal auch Substanzen, die lustig machten, das war eine vollständig verrückte Zeit und eine Zeit der totalen Leidenschaft."
Bei "Libé", wie die Zeitung in Frankreich genannt wird, sei es nie ohne Tumulte gegangen, sagt Guisnel.
Aber diesmal ist es ernst.
Bis auf wenige Regionalblätter können sich die Tageszeitungen in Frankreich kaum gegen den Abwärtstrend stemmen. Und im Falle von "Libération" war es mit den Frühlingsgefühlen rasch vorbei, die das linke Blatt erfassten, als die Sozialisten 2012 alle Wahlen für sich entschieden. Jetzt wird die Zeitung von vielen Seiten in die Zange genommen: Kaufzurückhaltung der Leser in der Krise, Konkurrenz investigativer Online-Plattformen wie etwa "mediapart " und die Erkenntnis, dass sich unpopuläre Regierungspolitik am Kiosk noch schlechter verkaufen lässt, als Oppositionspolitik.
Dennoch rief Fabrice Rousselot , der Chef der Redaktion , gestern aus: "Libération wird nicht sterben, das Blatt kann gerettet werden und wird gerettet werden."