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Frankreich und der Blick auf den großen Nachbarn im Osten

Die Sendung "Europa heute" blickt auf 20 Jahre Einheit und den Blick Europas auf Deutschland. Den Anfang macht Frankreich und die Frage: Wie misstrauisch war Frankreichs Präsident Mitterand damals wirklich? Hat er tatsächlich gegen den Vereinigungsprozess opponiert? Und wie hat sich seither das deutsch-französische Verhältnis entwickelt?

Von Burkhard Birke |
    Im Falle einer Wiedervereinigung könnten die Deutschen "mehr Territorium gewinnen als sie unter Hitler je hatten". Diese Worte hat Charles Powells Frankreichs damaligem Präsidenten Francois Mitterrand in den Mund gelegt.

    Aufgeschrieben hatte sie der Berater der britischen Premierministerin Margaret Thatcher nach einer Unterredung der beiden Skeptiker. Publik wurden sie vor Jahresfrist nach Öffnung der entsprechenden britischen Staatsarchive!

    Als beleidigend und historisch falsch bezeichnete Roland Dumas das Zitat. Der damalige Außenminister Frankreichs war allerdings bei der Unterredung Mitterrands mit Thatcher nicht dabei und unbestritten bleibt Mitterrands anfängliches Zögern. Hans Stark Deutschlandexperte des Ifri, des französischen Instituts für internationale Beziehungen:

    "Mitterrand ging die ganze Sache viel zu schnell. Es schien aus seinen Augen, dass er nicht mehr in der Lage war, diesen Prozess politisch zu kontrollieren. Das gefiel ihm nicht und das gefiel ihm vor allem deswegen nicht, weil Mitterrand befürchtete, und da war er auch ein Pessimist ähnlich wie Adenauer in den 50er-Jahren, dass die Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur einher gehen würde mit dem Ausbrechen regionaler Konflikte, insbesondere ethnischer Natur."

    Befürchtungen, die sich mit der Auflösung des Sowjetreiches und später auf dem Balkan durchaus bewahrheiteten. Im Herbst 89 freilich fühlte sich Mitterand zunächst von den Ereignissen, aber auch von seinem Partner Kohl überrollt. Ohne Absprache – wie sie sogar laut Elysée-Vertrag vorgesehen ist - hatte der Bundeskanzler seinen 10 Punkte Plan zu deutschen Einheit vorgelegt. Hans Stark:

    "Es fehlten an diesem Zehnpunkteplan aus französischer Sicht die Punkte elf und zwölf. Der Punkt elf war die Anerkennung der Westgrenze Polens. Das fehlte! Und der Punkt zwölf war eine Erklärung, dass die Wiedervereinigung Deutschlands nichts an der europäischen Agenda ändern würde."

    Deshalb verfolgte Francois Mitterrand Ende 89 seine eigene Agenda. Frankreich hatte sich mit den beiden deutschen Staaten gut arrangiert; um es mit dem Schriftsteller Mauriac auszudrücken: Man liebte Deutschland so sehr, dass man glücklich war, zwei davon zu haben! Das traf zumindest auf die politische Elite zu, denn das Volk feierte begeistert den Fall der Mauer und störte sich nicht an der Perspektive an einem wiedervereinigten Deutschland mit mehr als 80 Millionen Einwohnern.

    Kurz vor Weihnachten 1989 reiste Mitterrand jedenfalls zum Staatsbesuch nach Ostberlin, traf sich mit dem damaligen Ministerpräsidenten Hans Modrow und wie später bekannt wurde auch mit dem frisch gewählten SED Vorsitzenden Gregor Gysi. Mitterrands damaliger Berater, der spätere Außenminister Hubert Védrine:

    "Der Staatsbesuch in Ostberlin war völlig logisch. Mitterrand wollte Kohl helfen, die DDR zu kontrollieren. Der amerikanische Präsident findet das sogar so berechtigt, dass er seinen Außenminister James Baker acht Tage vorher schickt. In der Übergangszeit war es legitim, sich um die DDR zu kümmern. Ab Februar 1990 änderte sich das."

    In der Tat markierte dieser Zeitpunkt eine Wende: Mitterrand legte seine anfängliche Skepsis ab. Hans Stark vom Ifri:

    "Von dem Augenblick an, wo im März 1990 Kohl sich ganz klar geäußert hat, dass die Westgrenze Polens unantastbar ist und zweitens die Ostdeutschen Mitte März im Rahmen der Wahl zur Volkskammer dem Wiedervereinigungsprozess mit dem Sieg der CDU eine Legitimation verschafft haben. Von diesem Zeitpunkt, also vom März 1990 hat sich Mitterand nicht mehr gegen die deutsche Einheit gestemmt."

    Entscheidend war die Einbettung des vereinten Deutschlands in ein vertieftes Europa: Kohl opferte die D-Mark auf dem Einheitsaltar zugunsten einer gemeinsamen europäischen Währung. Kohl und Mitterrand gaben gemeinsam den Anstoß zur Wirtschafts- und Währungsunion, sowie zur politischen Union, die letztlich in den Verträgen von Maastricht 1992 einmündeten.

    Insofern entpuppte sich die deutsche Einheit auch als Katalysator für das Zusammenwachsen Europas. Deutschland und Frankreich fungieren seither mehr denn je als Motor des vereinten Europas. Ein Umstand, den auch der heutige Staatspräsident Nicolas Sarkozy immer wieder betont:

    "Wenn Deutschland und Frankreich mit einer Stimme sprechen, dann ist das gut für Europa."

    Nur sprachen und sprechen beide nicht immer gleich mit einer Stimme: In der Finanzkrise, über europäische Wirtschaftsregierung und Mittelmeerunion mussten sich Herr "Hü", wie der Macher Sarkozy gelegentlich genannt wird, und Madame "Hott", Bundeskanzlerin Merkel, stets erst einigen. Das führte zu nicht immer sachdienlichen Verzögerungen, aber aus der Sackgasse mit einem für alle kompatiblen gemeinsamen Nenner.

    Das Gleichgewicht scheint auch nach der Wiedervereinigung gewahrt: Deutschland bringt das ganze Gewicht der bevölkerungsreichsten Volkswirtschaft ein, Frankreich als ständiges UN-Sicherheitsratsmitglied und Atommacht die stets fühlbare Ambition der Grande Nation.