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Frankreich und Islam
"Den Franzosen vorzuwerfen, sie hätten die Radikalisierung verschlafen, ist Unsinn"

Trägt ausgerechnet der französische Laizismus auf paradoxe Art eine Mitschuld am islamistischen Terror? Nach Ansicht des in Paris lebenden österreichischen Journalisten Danny Leder ist dieser Vorwurf unberechtigt. In den letzten Jahren sei die Sensibilität unter Politikern und politischen Aktivisten in der Öffentlichkeit enorm gewachsen, sagte Leder im DLF.

Danny Leder im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Vor dem islamischen Halbmond und Stern weht die französische Flagge.
    In Frankreich wird heftig debattiert, wie Laizismus und Islam zusammengehen (AFP/Patrick Kovarik)
    Benedikt Schulz: Wenn man von Deutschland als einem säkularen Staat spricht und es spricht ja durchaus vieles dafür, dann ist das trotzdem gar kein Vergleich zu dem, was man in Frankreich traditionell darunter versteht. Der Laizismus hat eine lange Geschichte in Frankreich, der Begriff "Laïcité" selbst stammt aus dem Französischen. Staat und Kirche sind seit über einhundert Jahren gesetzlich strikt getrennt, der Laizismus ist in Frankreich ein politisches Ideal. Das Ideal eines Staates, der seine Bürger schützt vor religiösen Praktiken, die die Freiheit der Bürger einschränken. Politiker in Frankreich sehen dieses Ideal zunehmend bedroht: Auch, aber nicht nur, seit den Anschlägen des vergangenen Jahres in Paris. Regierungsmitglieder befürchten offenbar, dass radikale Stimmen im Islam die Trennung von Staat und Religion zunehmend aushöhlen und weder liberale Muslime noch die französische Gesellschaft insgesamt ihnen etwas entgegensetzen.
    Darüber will ich sprechen mit Danny Leder, der österreichische Journalist lebt und arbeitet seit über dreißig Jahren in Paris und hat immer wieder über jüdisches und muslimisches Leben und Zusammenleben in Frankreich nachgedacht und publiziert. Herr Leder, ich grüße Sie.
    Danny Leder: Guten Tag.
    Schulz: Manuel Valls, der französische Premierminister hat vor Kurzem gesagt, die Salafisten seien im Begriff, den Kulturkampf im Islam zu gewinnen. Er hat sogar von einer "ideologischen Schlacht" gesprochen. Kann man wirklich von einem Kulturkampf, gar von einer "Schlacht" sprechen?
    Leder: Ich meine er hat tendenziell Recht. Er hat ein wenig über das Ziel geschossen. Er hat es ja gar nicht so unbedingt eingeengt auf den Islam, sondern generell auf die Situation in Frankreich. Den Kulturkampf gibt es auf jeden Fall, und er wird hauptsächlich eben von dieser zwar minoritären aber extrem rührigen, radikalen, hyperorthodoxen, hyperritualisierenden und letzten Endes antidemokratischen Strömung betrieben, die man eben unter diesem Begriff Salafismus subsumiert. Und es ist keine Frage, dass in bestimmten Bereichen - aber das muss man einengen - also in sozialen Brennpunktvierteln in bestimmten Milieus - , dass es da Bereiche gibt, in denen diese Strömung imstande ist, eine gewisse Form der Dominanz auszuüben.
    Salafisten suchen nach ganzheitlicher, utopischer Alternative
    Schulz: Sie haben das selbst beschrieben: Gerade junge Muslime werden in ihren religiösen Haltungen immer rigoroser. Woran liegt das?
    Leder: Ich mein, die Gründe sind mannigfaltig: Es ist natürlich die Suche nach Geborgenheit, die die Gesellschaft immer weniger bietet. Es ist soziale Verwahrlosung, es ist die Suche nach einer ganzheitlichen, utopischen Alternative, die sich jetzt natürlich auch nährt aus den sozialen Missständen, aus der Diskriminierung. Es gibt aber auch etliche andere Momente: Wir haben Leute, die sich diesen radikal-islamistischen Strömungen anschließen, ob nun aus muslimischen Familien - auch aus muslimischen Mittelstandsfamilien - oder auch aus Konvertiten. Die schließen sich dieser Bewegung aus Abenteuerlust an. Es gibt also eine Reihe von Faktoren, die in diese Richtung gehen. Aber man muss natürlich auch erkennen, dass jenseits dieser - sagen wir sozialpsychologischen Ansätzen - es sich um eine politische Bewegung handelt. Eine Bewegung, die als ganzheitliche, ideologische Antwort einen Gegenentwurf zu den vorhandenen Zuständen präsentiert. Der Großteil der Leute, die sich jetzt dem Fundamentalismus entgegenstellen, sind oft Pragmatiker oder Verteidiger einer pragmatischen Vernunft und das ist natürlich immer eine unzureichende Angelegenheit in den Augen von Jugendlichen, die nach einer "Ideallösung" suchen.
    Schulz: Mir scheint das ein wesentlicher Kritikpunkt unter laizistisch gesinnten Intellektuellen - so nenne ich das jetzt mal - zu sein. Dass man aber diesen Ansprüchen dieser extremer werdenden, rigoroseren Muslime in der jüngeren Vergangenheit zumindest immer nur nachgegeben haben soll, quasi, um des lieben Friedens willen. Wie sehen Sie das? Hat man die lautesten und extremsten Stimmen Frankreichs zu lange gewähren lassen?
    Leder: Nein, das stimmt überhaupt nicht. Diese Kritik ist schlicht und einfach Unsinn. Aber Sie haben es ja vorher selber gesagt, der Laizismus ist in Frankreich eine verankerte, ideologisch ausgewälzte Angelegenheit, es ist der Grundsatz dieser Republik, es wird zum Teil aber auch übertrieben, kann man sagen. Und 1989 brach ja der erste Konflikt aus und wurde zum Gegenstand einer nationalen Diskussion, als in einem Gymnasium drei Gymnasiastinnen ein islamisches Kopftuch anlegten und der Direktor sich dagegen stemmte, was eine generelle Diskussion auslöste. Inzwischen haben wir ja ein Gesetz - seit 2004, wenn ich mich richtig entsinne - dass an den Schulen generell auffällige religiöse Symbole bei Schülern, aber auch bei sämtlichen Staatsbediensteten verbietet. Also den Franzosen vorzuwerfen, sie hätten diese Radikalisierung verschlafen, ist Unsinn.
    Was es hingegen gibt, ist im kommunalen und im politischen unteren Verwaltungsbereich: Dort gab es natürlich Formen des Arrangements, das heißt in Gemeinden, Bezirken und Brennpunktvierteln, wo sich die sozialen Probleme gehäuft haben und wo die Jugendkriminalität, der Vandalismus überhandnahm. Da gingen Bürgermeister dazu über, den religiös eifernden Truppen aus dem salafistischen Milieu zunehmend die Betreuung dieser Jugendlichen praktisch zu überantworten, dass sie dann eben durch ihre sinnstiftende, disziplinierende Funktion gleichzeitig auch praktisch die Ruhe garantieren. Und natürlich war da auch die Optik, sich dadurch Wählerstimmen in diesem Potenzial zu sichern. Aber ich würde sagen, generell wird dem "islamischen Kommunitarismus" wie das hier genannt wird, kaum Spielraum überlassen. Und man muss natürlich auch beachten, dass das nicht übertrieben wird, weil bis zu einem gewissen Grad gehört die Toleranz gegenüber einer kultischen, religiösen Identität, das gehört ja zu einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft.
    "Gefährliche Abgleitflächen"
    Schulz: Aber würden Sie denn nicht sagen, dass, wenn bestimmte Strömungen - in dem Fall Salafisten - wesentliche, auch betreuende, erzieherische Aufgaben übernehmen, auf diese Art und Weise wesentliche Prinzipien des säkularen Staates ausgehöhlt werden?
    Leder: Unbedingt. Da bestehen gefährliche Abgleitflächen. Da ist in den letzten Jahren die Sensibilität unter Politikern und politischen Aktivisten in der Öffentlichkeit enorm gewachsen. Das darf man sich aber jetzt nicht generell so vorstellen, dass in sämtlichen französischen Vororten die Gemeinden praktisch den salafistischen Bewegungen die Betreuung der Jugend überlassen hätten. Aber das spielt sich ja auch unter der Oberfläche ab: Es gibt zum Beispiel Sportvereine, die werden von Salafisten praktisch übernommen und unterwandert. Das weiß man ja nicht sofort. Sie bekommen also weiterhin Subventionen. Das dringt ja erst dann an die Öffentlichkeit, wenn man beispielsweise merkt, dass während der Halbzeitpause eines Fußballspiels ein kollektives Gebet betrieben wird, wo sich die Leute auf den Rasen werfen, um dann kniend zu beten. Wenn diese Dinge praktisch platzen und sichtbar werden, merkt man, dass zum Beispiel bestimmte Institutionen oder Gruppen unterwandert worden sind und erst dann ist es möglich, wirklich darauf zu reagieren. Aber man kann nicht davon sprechen, dass die französische Gesellschaft diese Entwicklung verschlafen hätte. Im Gegenteil: Die einen sagen ja, der französische Staat hätte sich den islamistischen Terror praktisch selber eingebrockt, weil er zu hart mit den Muslimen umging, also zu dogmatisch. Und die anderen werfen den französischen Politikern vor, sie seien da zu lax vorgegangen. Im Vergleich zu den verantwortlichen Politikern in Deutschland hat ja Frankreich in keiner Hinsicht versagt.
    Herausforderung für den Laizismus
    Schulz: Trotzdem kann man ja sagen, dass der Laizismus in Frankreich aktuell und in Zukunft vor Herausforderungen steht. Und daher die Frage mal in die Zukunft gerichtet, welche Zukunft hat der Laizismus in der französischen Gesellschaft?
    Leder: Das ist ein springender Punkt. Die Frage ist, inwieweit wir in Europa und den demokratischen, rechtstaatlichen Bastionen imstande sind, die Grundlage unseres Zusammenlebens auf die Grundlage säkularer und rechtstaatlicher Prinzipien zu verteidigen. Es hängt davon ab, inwiefern jetzt die dschihadistische Bewegung - die heute namentlich vom sogenannten islamischen Staat im Nahen Osten ausgestrahlt wird - imstande ist, sowohl politisch als auch militärisch zu extremen Schlägen gegen uns auszuholen. Dann wird man natürlich unsererseits den Laizismus radikalisieren und die Religionsfreiheit leider weiter einschränken müssen als Gegenreaktion. Wenn hingegen die Offensive, der Druck, schwächer wird, dann wird man imstande sein können, mit den Dingen kompromissvoller, geschickter und diplomatischer umzugehen. Da gibt es ja gar keine ideologische, dogmatische Lösung.
    Schulz: Danny Leder, Journalist, der in Paris lebt und arbeitet. Mit ihm habe ich gesprochen über die Herausforderungen des Laizismus in Frankreich in der Gegenwart und in der Zukunft. Herr Leder, ganz herzlichen Dank.
    Leder: Dankeschön.