"Hier wohnen einfache Leute", sagt eine Mutter. 40 von 63 Schulen im Departement Seine-Saint-Denis, nördlich von Paris, blieben heute aus Protest geschlossen. Denn entweder es fehlt an Lehrern, oder die Lehrer kommen und gehen, weil sie die schwierigen Bedingungen nicht aushalten.
"Nach den Sommerferien waren hier 18 Klassen ohne Lehrer. 400 Kinder standen alleine da. Es gibt Kinder, die haben schon elf Mal einen Lehrerwechsel erlebt."
Auch diese junge Mutter beteiligt sich am Lager der protestierenden Eltern. Die Regierung versucht, Druck aus dem Kessel zu nehmen.
Das Netz der Bildungszonen mit Priorität, der REP, wird gerade verändert, im nördlichen Departement Seine-Saint-Denis sollen künftig allein 78 der ausgewiesenen, bedürftigen Sektoren liegen. Das bedeutet unter anderem, Lehrer, die bereit sind, hier zu unterrichten - trotz des hohen Ausländeranteils, trotz der sozialen und der Sicherheitsprobleme - erhalten künftig 200 Euro statt 100 Euro monatlich mehr, außerdem anderthalb Stunden Freizeit wöchentlich.
"Die Kinder brauchen Hilfe", fleht eine Mutter in dieser jüngsten, ärmsten und am schnellsten wachsenden Region Frankreichs.
Förderzonen in Frankreich
Aber die Vorstädte nördlich von Paris sind nicht die einzigen, die klagen. Auch in Toulouse im Süden und Dijon im Osten, aber auch in den ärmeren Stadtteilen von Paris selbst folgten heute Eltern und Lehrer dem Aufruf der Gewerkschaften. Denn: Die prekären Regionen konkurrieren untereinander. Jetzt da die Karte der bedürftigen Bildungszonen neu gezeichnet wird, hoffen die einen auf mehr Hilfe und die anderen bangen um ihre Zuschüsse, sehen ihre pädagogische Arbeit der vergangenen Jahre bedroht.
Für dieses und das kommende Schuljahr hat die französische Regierung 350 Millionen Euro für die Förderzonen eingeplant, daraus wird nun die Aufstockung der Lehrerprämien finanziert, aber auch Hilfe bei den Hausaufgaben für die Kinder und Maßnahmen zur Gewalteindämmung.
"500 weitere Lehrerstellen" für die prekären Vororte von Paris bis 2017 stellte Bildungsministerin Najad Vallaud-Belcacem gestern in Aussicht. Das seien insgesamt 800 Posten mehr, unterstrich die Ministerin.
"Reicht nicht!", sagen die Gewerkschaften, die weiterhin auf Streik und Proteste setzen:
"Um die Lage in Seine-Saint-Denis zu entspannen, bräuchte es sofort 1.000 Stellen, es muss weiter verhandelt werden, die Lehrer haben die Nase voll, noch länger zu warten." Ärgert sich Rachel Schneider von der Gewerkschaft FSU.
Ziel: Zahl der Lehramtsabsolventen erhöhen
Die Regierung hat zugesagt, es nicht bei den finanziellen Anreizen zu belassen. Auch die Ausbildung soll sich verändern. Eine zweite Chance im Auswahlverfahren ist vorgesehen, sagt Frankreichs Bildungsministerin, damit sich die Zahl der Lehramtsabsolventen für das Departement erhöht.
Die Angst vor einer Ausweitung der Proteste in den Vorstädten von Paris ist groß. Die Zahl der Schul-Abbrecher ohne Abschluss ist hoch, die Jugendarbeitslosigkeit liegt in manchen Regionen bei mehr als 40 Prozent:
"Wir erzielen mit unserem bisherigen System keine guten Ergebnisse, statt den sozialen Ungleichheiten etwas entgegen zu setzen, werden sie noch verstärkt", beklagt Frankreichs Bildungsministerin Vallaud-Belcacem.
Um das Scheitern in den Schulen in Grenzen zu halten, will die Sozialistin das Sitzenbleiben nur noch in Ausnahmefällen zulassen und lässt gerade prüfen, ob Noten sinnvoll sind oder ob nicht breit angelegte, farbliche Bewertungsstufen den Kindern die Angst vor dem Scheitern nehmen könnten. Zwei Maßnahmen, die zu heftigen, innerfranzösischen Debatten führen.