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Frankreichs Gewerkschaften machen mobil

Das Rentenalter soll in Frankreich auf 62 Jahre angehoben werden. Mit der neuen Reform will Frankreichs Präsident Sarkozy das 32 Millarden Euro große Loch der Rentenkassen stopfen. Dreiviertel der Franzosen sind gegen die Reform und die Gewerkschaften rufen zu Demonstrationen auf.

Von Burkhard Birke | 07.09.2010
    Dieses Mal zählt mehr denn je Quantität: Die Gewerkschaften bauen auf Mobilisierung der Massen, um die Regierung doch noch zum Einlenken zu bewegen. Die Anhebung des legalen Rentenalters um zwei auf 62 Jahre, die Erhöhung der Beiträge im öffentlichen um rund drei auf die üblichen gut zehn Prozent des Lohnes und die generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit sind unpopulär – aus Sicht der Regierung jedoch unumstößlich. Mit der Rentenreform soll das in diesem Jahr allein 32 Milliarden Euro betragende Loch in den Rentenkassen gestopft, und die Alterssicherung auf langfristig stabile Beine gestellt werden.

    Da auch Kapitalerträge an der Finanzierung der Renten beteiligt werden sollen, hält die Regierung die Reform für sozial ausgewogen. Im Gegensatz zur linken Opposition und den Gewerkschaften, die haben gestern Abend schon damit begonnen das Land mit Bahn-, Bus- und Metrostreiks lahm zu legen:

    "Natürlich müssen alle darunter leiden. Ich glaube, es gibt auch andere Wege, aber nicht im Augenblick – deshalb halte ich den Streik für gut."

    "Der Streik ist nicht der richtige Weg: Es gibt doch die Verhandlungen…"

    "Völlig berechtigt: Ohne Eier zu zerschlagen kann man doch kein Omelette backen!"

    Fast repräsentativ sind diese Stimmen aus dem Volk. Je nach Umfrage befürworten bis zu dreiviertel aller Franzosen die heutigen Proteste gegen die Rentenreform. Mehr als die Hälfte glaubt allerdings nicht, dass die Regierung von der Reform abrückt.

    Ein Widerspruch? Weshalb protestieren, wenn man nicht glaubt, grundlegend etwas ändern zu können? Allein mit dem Volksport Streik und Besitzstandswahrung ist das nicht zu erklären, wohl aber mit dem Gefühl einer grundlegenden Malaise. Viele Franzosen sind enttäuscht über die Politik von Präsident Sarkozy und seiner Regierung. Sie können nicht verstehen, dass ausgerechnet der durch den vermeintlichen Parteispendenskandal geschwächte Arbeitsminister Woerth die Mutter der Reformen ab heute durchs Parlament bringen soll.

    Selbst bislang zurückhaltende Gewerkschafter haben Woerths Glaubwürdigkeit angezweifelt, angesichts immer neuer Enthüllungen, die den Minister zwar nicht überführt, aber zumindest der Lüge enttarnt haben.

    Woerth hatte bestritten, sich als Minister für die Verleihung der Ehrenlegion an den späteren Chef seiner Frau stark gemacht zu haben.

    Am Samstag gingen bereits Zigtausende gegen Fremdenhass und die Roma-Politik auf die Strasse, gestern befanden sich die Lehrer gegen den Stellenabbau im Ausstand, heute wird, so hoffen die Gewerkschaftsführer und Opposition, die breite Masse reagieren. Der Elysée hat schon vorher beschwichtigend reagiert, Sarkozys Generalssekretär Claude Guéant:

    "Im Laufe der Woche werden sicher zusätzliche Vorschläge unterbreitet. Der Präsident und die Regierung, Arbeitsminister Woerth haben stets betont, die Reform müsse gerecht sein. Ich nehme das Beispiel von Arbeitnehmern, die früh ins Berufsleben eingetreten sind. Es ist klar, dass jemand, der vor 18 im Berufsleben stand, verdient, bereits mit 60 in Rente zu gehen."

    Taktik, um den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen? Bernard Thibault, Chef der Gewerkschaft CGT:

    "Wir bewegen uns nicht, heißt es da einerseits und andererseits hören wir, dass wir uns bei dem ein- oder anderen Aspekt vielleicht bewegen´könnten. Schauen wir mal, vielleicht kommen wir ja zu Verhandlungen."

    Schließlich verlässt auch in Frankreich kein Gesetz die Nationalversammlung so wie es eingebracht wurde. An der Rente mit immer noch niedrigen 62 wird aber wohl kein Weg vorbeiführen.