Wie ein gestrandetes Wrack steht das Hochhaus zuvorderst auf der Düne. Vier Stockwerke, 78 Wohnungen, über hundert Fenster mit Blick aufs Meer. Die Scheiben sind zersplittert, die hellen Mauern mit Graffiti beschmiert. Ein Bauzaun schirmt die Ruine ab. Frédéric Boudeau deutet durch das Gitter auf den gepflasterten Vorplatz. Er geht in Sand über.
"Am Fuß der Düne hat sich nichts verändert, aber oben bricht die Düne ab, der Grat ist nur noch zehn bis elf Meter vom Haus entfernt."
Der 41-Jährige - hellblaues Hemd, blaues Jackett, Jeans - ist seit zehn Jahren Direktor des örtlichen Gemeindeverbands. Seit acht Jahren lässt er das Gebäude nun schon überwachen.
"Wir messen mehrmals pro Jahr, erstens wie stabil das Gebäude ist und zweitens wie sich die Küstenlinie vor dem Haus entwickelt. Was wir allerdings nicht vorhersehen können, sind große Stürme wie im Jahr 2014, die 20 bis 25 Meter Küste auf einmal abreißen."
1965 waren es noch rund 200 Meter bis zum Meer...
Damals ließ der Präfekt die Bewohner des Hochhauses evakuieren. Auch Jacqueline Gandoin musste ausziehen. Die zierliche Frau mit dem schlohweißen Haar hatte im Erdgeschoss gewohnt. Ihre Terrasse führte stufenlos zum Sand. Heute lebt sie in einem Seniorenheim am Rand der Stadt. Die 86-Jährige erinnert sich genau.
"Ich musste meine Wohnung am 29. Januar 2014 um 19 Uhr verlassen, wie alle anderen Bewohner auch. Es war schrecklich. Innerhalb einer Woche wurden alle Leitungen gekappt: Heizung, Gas, Strom und Wasser. Man hat uns von allem abgeschnitten."
Soulac ist ein familiäres Städtchen mit hübschen Giebelhäusern aus hellrotem Backstein. Ihre Eltern, erzählt Gandoin, haben hier bereits 1929 ein Haus gebaut, drei Jahre vor ihrer Geburt. Das "Signal" wurde 1965 in Angriff genommen. Zu dieser Zeit war das Meer noch rund 200 Meter von der Baustelle entfernt.
"Meine Eltern hatten mir von diesem Bauvorhaben erzählt. Es gefiel ihnen nicht, weil sie genau wussten, welche Probleme zu erwarten waren. Das war für alle vorhersehbar! 200 Meter sind für einen Ozean rein gar nichts. Und erst recht nicht, wenn es sich um die Biskaya handelt mit ihren starken Strömungen."
... 2005 waren es nur noch 70 Meter
2005 tauschte Jacqueline Gandoin das Haus ihrer Eltern trotzdem gegen eine Drei-Zimmer-Wohnung im "Signal" ein. Dabei war das Meer damals schon auf 70 Meter herangerückt und die Präfektur hatte das Gelände ausdrücklich zur Gefahrenzone erklärt.
"Warum ich trotzdem gekauft habe? Weil man mir im Rathaus Versprechungen gemacht hat! Madame Gandoin, machen Sie sich keine Sorgen! Wir geben 'Le Signal' nicht auf! Kaufen Sie nur, in 20 Jahren sehen wir weiter", sagte man mir. Damals war ich ja schon über 70, da schien mir das in Ordnung. Meine Enkel waren jedenfalls begeistert."
Die resolute Frau geht zur Anrichte, holt ein paar alte Fotos aus der Schublade. Da sitzt sie mit Sohn und Enkeltochter in einem geräumigen Wohnzimmer, der Blick geht hinaus ins Freie, das Meer aber ist von einer Düne verdeckt.
"Das hat mir ein Gefühl der Sicherheit verliehen. Ich hörte das Meer und wusste genau: Heute ist es wild, heute ist es ruhig. Aber 2010 hat der Orkan Xynthia über Nacht den oberen Teil der Düne komplett abgetragen. Als ich morgens aufstand und plötzlich das Meer sehen konnte, dachte ich: Unmöglich, mit meinem Gehirn stimmt was nicht. Ich habe mir die Augen gerieben, dann war ich mir sicher: Es ist wirklich das Meer."
"Das hat mir ein Gefühl der Sicherheit verliehen. Ich hörte das Meer und wusste genau: Heute ist es wild, heute ist es ruhig. Aber 2010 hat der Orkan Xynthia über Nacht den oberen Teil der Düne komplett abgetragen. Als ich morgens aufstand und plötzlich das Meer sehen konnte, dachte ich: Unmöglich, mit meinem Gehirn stimmt was nicht. Ich habe mir die Augen gerieben, dann war ich mir sicher: Es ist wirklich das Meer."
Bei Erosion haftet der Eigentümer
Zurück zum Strand. Frederic Boudeau ist die Düne heruntergeklettert, steht nun unterhalb des leerstehenden Wohnblocks im feuchten Sand.
"Die Gesetzeslage ist eindeutig: Bei Erosion müssen sich die Anwohner selbst schützen. Weil das Gebäude Privateigentum ist, können wir es allerdings auch nicht abreißen. Wir durften die Bewohner ausquartieren, aber das Haus gehört uns nicht."
Die Eigentümer aber stellen sich quer: Sie wollen entschädigt werden, haben geklagt - und in allen Instanzen verloren. Weil das französische Gesetz die Küstenerosion bisher nicht als Naturkatastrophe definiert. Für den Badeort ist "Le Signal" eine Zeitbombe: Sollte das Haus ins Meer kippen, droht ein ökologisches Desaster, sagt der Direktor des Gemeindeverbands. Zumal es mit Asbest verseucht ist.
"Die Beseitigung von Asbest und der Abriss dürften 1,5 Millionen Euro kosten, solange das Gebäude steht. Aber wenn es ins Meer fällt, rechnen wir mit 26 Millionen Euro."
"Ein Symptom für ein tiefgreifendes Übel"
Der Präfekt hat im Juni ein Machtwort gesprochen: Der Staat will "Le Signal" nun auf seine Kosten reinigen. Vorher muss die Düne verstärkt werden, wieder einmal. Damit das Meer nicht schneller arbeitet als der Mensch. Die Frage des Abbruchs sei noch nicht geklärt, sagt Fréderic Boudeau.
"Das Signal ist ein Symptom für ein tiefgreifendes Übel: die Erosion der Sandküsten in Frankreich. Das Gebäude löst Ängste aus. Ja, es ist ein Präzedenzfall. Der Präfekt hat jetzt die wichtige Entscheidung zur Asbestbeseitigung getroffen. Es wird nicht einfach sein, schwere Baufahrzeuge auf einer instabilen Düne einzusetzen. Das wird ein ganz neues Kapitel für uns."