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Frankreichs Küstenerosion (2/5)
Mit Strandhafer und Trillerpfeife gegen den Bodenverlust

Küstenschutz ist Dünenschutz, weiß man bei der Forstbehörde im Südwesten Frankreichs. Deren Mitarbeiter pflegen die Vegetation als natürliche Erosionsbremse - und verteidigen sie mit der Trillerpfeife gegen spielende Kinder und trampelnde Touristen.

Von Bettina Kaps |
    Francis Maugard und Frédéric Kaminski von der staatlichen Forstbehörde entscheiden jedes Jahr neu, wie Millionen Urlauber zum Strand geleitet werden können, ohne die Dünen zu beschädigen.
    Francis Maugard und Frédéric Kaminski von der staatlichen Forstbehörde befestigen und schützen die Dünen. Denn die verlangsamen die rasant fortschreitende Küstenerosion. (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
    Es regnet in Strömen. Der Sand ist klumpig und schwer. Dominique Clemenceau rinnen Wassertropfen über die Brille, der 51-Jährige hämmert trotzdem weiter. Am Wochenende werden Tausende von Surfern und Badegästen erwartet. Bis dahin wolle er den Zugang zum Strand fertig machen, sagt der schmächtige Mann im grünen Anorak der staatlichen Forstbehörde. Hinter ihm steht eine Hütte mit der Aufschrift "Poste secours", Rettungswache.
    "Wir verlegen gerade Lattenroste, damit die Rettungsschwimmer von hier aus ganz schnell zum Strand rennen und Ertrinkende aus dem Wasser holen können."
    Zäune schützen Vegetation, Vegetation schützt Küste
    Clemenceau blickt zufrieden auf die beiden Seiten des künftigen Wegs: Dort hat er Drähte gespannt und Lattenzäune aufgestellt. Die Natur ist eingefriedet. Die halbhohen Abgrenzungen aus hellem Kastanienholz sollen verhindern, dass die Urlauber kreuz und quer über die Düne trampeln.
    Wo genau der Weg verläuft, das entscheiden seine Chefs jedes Frühjahr neu, je nachdem, wie die Winterstürme gewütet haben, sagt der Arbeiter. Er deutet zum Kamm der Düne. Zwei Männer, in grünen Parkas und Rangerhosen wie er, begutachten dort ein großes Rechteck im Sand, es ist gleichfalls mit Latten abgetrennt. Hinter dem Zaun bricht die Düne ab.
    Letztes Jahr wurden die Besucher noch genau an dieser Stelle zum Strand gelenkt, sagt Frederic Kaminski. Der Forstaufseher, ein großer blonder Mann in den Vierzigern, ist für die Dünenlandschaft rund um den Badeort Lacanau verantwortlich.
    "Jetzt mussten wir den ehemaligen Zugang schließen, weil sich diese Abbruchkante gebildet hat, etwa acht Meter über dem Strand. Wir legen den Pfad nun seitlich an. Wir fragen uns jedes Jahr neu, ob wir an dieser Stelle der Düne überhaupt noch Badegäste durchlassen können."
    Im Schnitt 2,5 Meter Küstenrückgang pro Jahr
    Den Plan für die Wegführung segnet sein Kollege ab. Francis Maugard – rundes Gesicht, graues Stoppelhaar, weißer Stoppelbart – leitet die Risikobekämpfung von der Gironde-Mündung bis zur spanischen Grenze. Die 200 Kilometer lange Küstenlinie verzeichnet inzwischen einen Rückgang von durchschnittlich zweieinhalb Metern pro Jahr. Der Forstingenieur verfügt über einhundert Arbeiter und ein Budget von 600.000 Euro pro Jahr, um die Erosion zu bremsen. Der so genannte Strandplan sei Teil seiner Strategie, sagt er.
    Die Küstenlinie in Aquitanien / Südwestfrankreich verzeichnet inzwischen einen Rückgang von durchschnittlich zweieinhalb Metern pro Jahr. Die Forstbehörde pflanzt jeden Winter neuen Strandhafer, um die Dünen zu befestigen und vor Erosion durch den Wind zu schützen.
    Mit Lattenzäunen werden die Touristen immer wieder anders zum Strand geleitet - damit die Natur geschützt wird, die den Dünen Standfestigkeit gibt (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
    "Das Konzept 'plan plage' haben wir hier in Aquitanien entwickelt. Es sorgt dafür, dass große Menschenmengen gezielt und angenehm zum Strand geleitet werden, ohne die Natur zu beschädigen. An manchen Stränden kanalisieren wir auf diese Weise drei Millionen Menschen pro Jahr."
    Damit das gelingt, verlegt Dominique Clémenceau an den Stränden nördlich und südlich von Lacanau vor der Saison 3.000 Meter Lattenzaun, im Herbst sammelt er diesen wieder ein. Jenseits der Wege sprießen junge Grünpflanzen im Sand. Das ist Strandhafer. Sein ausgedehntes Wurzelwerk hält den Sand fest und vermindert sein Abtragen durch Wind. Der Arbeiter pflanzt jeden Winter neue Setzlinge. Maugard ist zufrieden.
    "Wir wollen erreichen, dass alles, was wir hier künstlich anlegen, natürlich aussieht und eine richtig schöne Landschaft entsteht. Dann haben wir ein gutes Argument und können den Leuten sagen: Bitte respektiert die Natur."
    "Erosion durch Brandung können wir kaum verlangsamen"
    Eine von Menschen gestaltete Kulturlandschaft ist das Médoc schon seit 200 Jahren. Vom 18. Jahrhundert an haben Maugards Vorvorgänger versucht, die Wanderdünen zu bändigen und das sumpfige Hinterland zu entwässern. Sie stellten Holzpalisaden auf, um den Sand aufzufangen, gaben den Dünen eine sanft steigende, windschnittige Form, deckten sie mit Zweigen ab, pflanzten Strandhafer. Alles Techniken, die bis heute gültig sind, sagt der Forstingenieur. Zugleich warnt er vor falschen Erwartungen:
    "Erosion durch die Brandung können wir kaum verlangsamen. Wenn sich der Ozean Sand holt, sind wir machtlos. Aber die Erosion durch den Wind, die können wir mit unseren Methoden zur Gestaltung der Dünen ganz erheblich bremsen."
    Er zeigt nach Süden, wo das Seebad Lacanau zu sehen ist: Die mehrstöckigen Häuser stehen hoch oben auf der Düne. Der Sandhügel wird durch einen Deich geschützt. Vor der Uferzeile macht der Strand einen Knick und schiebt sich vor ins Meer. Ein Wall aus dunklen Steinblöcken führt geradeaus ins Wasser. Auch die so genannte Buhne soll den Hunger des Meeres bremsen. Maugard gefallen die Befestigungen nicht.
    "Hier wird ein natürlicher Prozess unterbrochen. Da entsteht eine Art Halbinsel. In zwei bis drei Jahrzehnten wird die Uferzeile womöglich schon an die 80 Meter ins Meer hineinragen. Der Badeort wird dadurch immer anfälliger, weil das Meer stärker von den Seiten her angreift. Der Rückzug muss ins Auge gefasst werden."
    Kinder zu verscheuchen, gehört zum Job
    Dominque Clemenceau klopft noch einen Lattenrost fest, dann lässt er den Blick schweifen. In der Ferne bewegt sich was: Zwei Jungen spielen in den Dünen. Dominique greift in die Tasche, zückt die Trillerpfeife. Die Kinder zucken zusammen, trollen sich.
    "Sie können den Sand ins Rutschen bringen. Kindern macht das nun mal Spaß. Aber wir rufen sie zur Ordnung. Der Pfiff – das wirkt, radikal. Die denken sofort an Gendarmen – und das sind wir ja auch ein bisschen."
    Viel lieber aber verteilt er Infozettel und erklärt den Strandurlaubern, wie fragil diese wunderbare Landschaft ist.