Wie ein ausgestreckter Zeigefinger ragt die Halbinsel Cap Ferret in den Atlantik. Die schmale Sandbank trennt das Bassin d'Arcachon vom Ozean. Ihren äußersten Zipfel schirmt eine lange Schutzmauer ab. Sie verhindert, dass das Meer die Landspitze verschlingt, sagt Benoît Bartherotte, und blickt prüfend auf eine Anhäufung von Steinen: Durch die Ritzen rieselt Sand in die Tiefe. Den Wall hat er gebaut, allein. Das hat ihn sein Vermögen gekostet.
"Der Deich ist 470 Meter lang. Jetzt bei Ebbe beträgt die Wassertiefe 31,40 Meter. Durch die Zugaben für die Flut und starke Dünung misst der Deich vom Meeresboden bis zur Dammkrone an seiner höchsten Stelle 40 Meter. Das entspricht einem Haus mit elf oder zwölf Etagen. Es ist der höchste Deich in Frankreich und vermutlich sogar in Europa."
Sein Haus liegt deutlich tiefer als der Deich
Zerzaustes graues Haar, dichter weißer Vollbart, aufrechte Statur: Der 72-Jährige sieht wie ein alter Seemann aus, tatsächlich hat er als Geschäftsmann Fortüne gemacht. Bartherotte wirft noch einen genießerischen Blick über die weite Bucht. Am anderen Ufer zeichnet sich majestätisch die "Dune de Pilat" ab, größte Wanderdüne von Europa. Dann dreht er sich um und geht durch einen verwunschenen Garten aus Palmen, Seekiefern und Mimosen auf ein schlichtes Holzhaus zu. Es liegt deutlich tiefer als der Deich.
Das Gelände hat er in den 1980er Jahren gekauft, zu einem Spottpreis, weil es damals keinen Deich gab und das Meer bedrohlich nahe rückte, erzählt Bartherotte. Im Wohnraum stapeln sich Kladden, Ordner, Fotoalben. Er greift zu einer blauen Mappe, nimmt alte Landkarten heraus, setzt sich auf die Veranda.
"Ich habe miterlebt, wie ein ganzer Kilometer verschwand"
"So sah die Spitze von Cap Ferret um 1830 aus. Danach ist sie in rasantem Tempo geschrumpft. Ich war schon als Kind hier, in den Ferien. Dadurch habe ich selbst miterlebt, wie ein ganzer Kilometer verschwunden ist. 1985 habe ich angefangen, meinen Deich aufzuschütten. Inzwischen konnte ich den Landverlust komplett stoppen."
Ein Grund für die starke Erosion: Das gegenüberliegende Arcachon, ehemals ein Fischerdorf, wurde im 19. Jahrhundert zum Seebad ausgebaut, sein Ufer befestigt – das hat die Strömungen im Bassin verändert. Bartherottes Deich schützt jetzt auch ein paar Dutzend Häuser, die hinter seinem Gelände in der Senke liegen.
"Anfangs habe ich nur Steine ins Wasser geworfen"
Zerknittertes Leinenhemd, ausgewaschene rote Hose, Espadrilles – kaum zu glauben, dass Benoît Bartherotte einst als Stylist gearbeitet und ein Pariser Modehaus geleitet hat. 1985 baute er eigenhändig und ohne Baugenehmigung die Holzhütte in Cap Ferret, für seine Frau Zaza und die sieben Kinder. Als dann einzelne Nachbarhäuser in die Bucht stürzten, stand für den Macher fest: Sein Paradies darf nicht im Meer verschwinden. Er zeigt ein Foto mit einer langen Reihe von schwer beladenen Lkw.
"Anfangs habe ich nur Steine ins Wasser geworfen, aber sie sackten weg. Alles fiel zusammen. Schließlich habe ich lange Strommasten genommen, damit sich die Steine darin verhaken. Zu Zehntausenden habe ich die versenkt. Hier sieht man Reste von deutschen Bunkern, auch die habe ich massenweise benutzt. Der Atlantikwall liegt jetzt bei mir im Wasser."
All sein Geld fließt ins Wasser – der Deich will Futter
Zehn Jahre hat es gedauert, bis der Deich fertig war. Seither will das Monster unablässig gefüttert werden: Bartherotte lässt jedes Jahr mindestens hundert Laster anrollen, um weitere Steine aufzuschütten. Inzwischen kommt er mit 3.000 Tonnen Ballast pro Jahr aus – es sei denn, ein heftiger Sturm macht ihm einen Strich durch die Rechnung. All sein Geld fließe ins Wasser, sagt er. Das bringt ihn zum Lachen.
"Ich bin wie eine Muschel oder eine Auster: Ich habe den Deich über Jahre hinweg ausgeschieden. Eine Auster fragt man nicht, ob sie sich von ihrer Schale trennen kann. Ich und mein Deich sind eins."
Ich bin mein Deich, sagt Bartherotte.
Der Nachbar ist skeptisch
Jean Mazodier aber hat gemischte Gefühle, wenn er das Bollwerk seines Nachbarn betrachtet. Der 78-Jährige ist Vorsitzender eines "Vereins für Schutz und Gestaltung von Cap Ferret" , er setzt sich für das Wohl des ganzen Ortes ein.
"Die Wassermassen fluten bei Ebbe aus dem Bassin. Sie prallen auf den Deich, werden von ihm zurückgedrängt. Dadurch haben sie einen bis zu 40 Meter tiefen Meeresgraben aufgerissen. Es entstehen starke Strömungen. Aber was blieb Benoît anderes übrig? Er hat sein Haus verteidigt, zu Recht."
"Die Wassermassen fluten bei Ebbe aus dem Bassin. Sie prallen auf den Deich, werden von ihm zurückgedrängt. Dadurch haben sie einen bis zu 40 Meter tiefen Meeresgraben aufgerissen. Es entstehen starke Strömungen. Aber was blieb Benoît anderes übrig? Er hat sein Haus verteidigt, zu Recht."
Viele Anwohner haben ihr Terrain ebenfalls befestigt, betont Mazodier, allerdings mit viel kleineren Schutzmauern, weil niemand so ein großes und ausgesetztes Gelände besitzt wie der ehemalige Stylist.
Der Staat hat Bartherottes Deich inzwischen akzeptiert
Vor fünf Jahren hat der Staat erstmals eingeräumt, dass die privaten Verteidigungsanlagen in Cap Ferret nützlich sind und dazu beitragen, die Erosion aufzuhalten. Jean Mazodier fordert, dass Staat, Region und Kommunen endlich aktiv werden und gemeinsam entscheiden, wie die Halbinsel in Zukunft geschützt werden soll. Mazodier zeigt auf ein wunderschönes Haus am Ufer der Bucht. Seine Großmutter hat es 1910 erbaut, seine Eltern mussten Steine aufhäufen, um es zu schützen. Er selbst hat die Villa verkauft.
"Ich habe Nein gesagt, weil der Ozean eines Tages kommen wird. Ich habe es vorgezogen, mein Haus auf einer 25 Meter hohen Düne zu bauen. Benoît will den Ozean bezwingen. Ich habe den Kampf gescheut."