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Frankreichs Laizitätsprinzip
Anlaufstelle für religiöse Störfälle

In Frankreich gilt die strikte Trennung von Religion und Staat. Aber was tun, wenn Schülerinnen aus religiösen Gründen vom Schwimmunterricht abgemeldet werden oder Eltern die Lektüre von Harry Potter im Unterricht als teuflisch ablehnen? Ein Einsatzteam hilft Lehrerinnen und Lehrern.

Von Suzanne Krause |
Eine Frau mit Kopftuch auf einer Demonstration gegen das Kopftuchverbot in französischen Schulen im März 2013
Das Gesetz zur Laizität an Schulen hat Proteste hervorgerufen, hier demonstriert eine Muslimin gegen das Kopftuchverbot. (Picture Alliance / Remi Ochlik)
Ausgerechnet die Lektüre eines weltweiten Kinderbuch-Klassikers sorgt in französischen Klassenzimmern immer wieder für Verstöße gegen das Laizitäts-Prinzip. Wenn die Geschichten rund um den englischen Zauberlehrling Harry Potter auf dem Unterrichtsplan stehen, geht manche Familie auf die Barrikaden, sagt Anne-Françoise Pasquier, Laizitäts-Delegierte am Schulamt von Versailles.
"Harry-Potter-Romane gelten manchen Familien als teuflische Literatur, die ihre Kinder zur Hexerei verführen könnte. Wenn die Eltern verweigern, dass ihre Kinder das im Unterricht lesen dürfen, versuchen wir, mit Mutter und Vater in engen Dialog zu treten. Die Kinder sollen ja nicht in einen Loyalitätskonflikt zwischen zuhause und der Schule geraten. Das braucht jedes Mal viel Fingerspitzengefühl, es gibt keine allgemeingültige Antwort."
Vorfälle quer durch alle Religionen
Auf jeden Verstoß gegen das laizistische Prinzip in Frankreichs Schulen muss eine Antwort gefunden werden. Das gibt Bildungsminister Jean-Michel Blanquer kategorisch vor. Wenn trotz Dialogs die Eltern uneinsichtig bleiben, drohen dem Kind schulische Sanktionen. Blanquer zitiert unterschiedliche Vorfälle, mit denen das Schul- und Lehrpersonal konfrontiert ist. Vorfälle, die Ausdruck religiöser Überzeugungen sind - und zwar quer durch alle Religionen.
"Da wird ein ärztliches Gefälligkeitsattest vorgelegt, um das Kind vom Schulschwimmen fernzuhalten. Da weigert sich ein kleiner Junge, einem Mädchen die Hand zu geben. Da verweigert manche Familie, dass ihr Kind im Kunstunterricht die Rodin-Skulptur 'Der Kuss' behandelt – weil das gezeigte Paar nackt ist. Manche Eltern verbieten ihrem Sprössling, in der Musikstunde zu singen. Dabei mühen wir uns derzeit, den Musikunterricht zu fördern. Da bittet mancher Schüler, beim Schulausflug sein Gebet abhalten zu dürfen. Solche Verhaltensweisen sind in der Schule der Republik nicht angebracht. Wir antworten, indem wir in friedlicher Manier die Prinzipien der Republik hochhalten."
900 Vorfälle zwischen April und Juli 2019 in Frankreich
Zwischen April und Juli dieses Jahres sind rund 900 solcher Vorfälle in französischen Schulen erfasst worden. Ähnlich viele waren es im vorangegangenen Vierteljahr. Neu ist allerdings, dass nun sogar aus dem Vorschulbereich Verstöße gegen das Laizitäts-Prinzip gemeldet werden. Denn mittlerweile können sich Lehrerinnen und Lehrer bei Problemen im Klassenzimmer per Email direkt an eine Ratgeberstelle im Bildungsministerium wenden und erhalten innerhalb von 24 Stunden Antwort und konkrete Lösungsvorschläge. Zudem hat der sogenannte Rat der Weisen, eine Experten-Gruppe, das Vademecum zum Thema Laizitäts-Prinzip in der Schule überarbeitet. Die renommierte Soziologin und Politologin Dominique Schnapper steht dem Komitee vor:
"Wir haben ein Problem aufgedeckt: Den älteren Jahrgängen des Lehrpersonals galt das Laizitäts-Prinzip als etwas Selbstverständliches, über das man nicht groß reden muss. Bei den jüngeren allerdings fehlt dieses Bewusstsein. Da muss nun in der Lehreraus- und Fortbildung mehr Gewicht darauf gelegt werden."
Der klare Kurs von Bildungsminister Blanquer helfe den Lehrerinnen und Lehrern, bei religiös motivierten Störfällen im Klassenzimmer mehr Rückgrat zu beweisen. Davon ist Lionel Jeanneret, Laizitäts-Delegierter am Schulamt von Dijon, überzeugt. Es sei ein Gewinn an Freiheit.
"Teils hat mancher Lehrer konfliktträchtige Teile des Unterrichtsstoffs einfach ausgelassen. Oder er hat seine didaktische Methode geändert, aus Rücksichtnahme auf die Überzeugungen gewisser Schüler. Heute aber gibt es keinen Grund mehr, den Unterrichtsstoff einzuengen."