Archiv

Frankreichs neuer Präsident Macron
"Er muss erst mal eine Regierung bilden"

Wahlsieger Emmanuel Macron habe seine Bewegung hinter sich, sagte "Documents"-Chefredakteur Gérard Foussier im DLF. Er setze darauf, dass die Eigendynamik seiner Wahl bei der Parlamentswahl zu einer Mehrheit der Sitze für seine Bewegung "en marche" führen werde. Doch die unterlegenen Parteien könnten sich für ihre Niederlage revanchieren - und Macrons Handlungsspielraum stark einschränken.

Gérard Foussier im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron (24.4.2017)
    Mann ohne Partei und die Parlamentswahlen im Nacken: Emmanuel Macron. "Er setzt darauf, dass diese Eigendynamik von gestern dazu führt, dass er die Mehrheit der Sitze bekommt", warnt Journalist Gérard Foussier. Kann klappen, muss aber nicht. (AFP / Lionel Bonaventure)
    Tobias Armbrüster: Wir kommen noch einmal zur Wahl in Frankreich gestern, zur Präsidentenwahl. Ein sehr deutliches Ergebnis war das für Emmanuel Macron. Fast zwei Drittel der Stimmen hat er geholt bei dieser Wahl. Seine Kontrahentin Marine Le Pen vom Front National lag deutlich unter den Erwartungen, deutlich unter 40 Prozent.
    Ein deutliches Ergebnis, trotzdem bleiben viele Fragen offen, Fragen über Konsequenzen aus diesem Ergebnis, Fragen, die sich daraus ergeben. Das können wir jetzt alles besprechen mit Gérard Foussier. Er ist Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Dokumente" – "Documents". Schönen guten Morgen, Herr Foussier.
    Gérard Foussier: Guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Foussier, der Front National verliert, Macron gewinnt. Ist jetzt alles wieder gut in Frankreich?
    Macron "will seine Bewegung in eine Partei ummodeln"
    Foussier: Langsam! So schnell schießen die Franzosen nicht. – Erst mal Erleichterung. Marine Le Pen geht nicht in den Élysée-Palast. Die Franzosen halten sehr viel von Symbolik und das ist ein Symbol für die Außenwelt. Für Frankreich natürlich auch, aber auch für die Nachbarn in Europa und in der ganzen Welt. Ich weiß nicht, wie die Welt reagiert hätte, wenn gestern Le Pen gewonnen hätte. – Punkt eins.
    Punkt zwei: Er muss noch regieren. Der Präsident regiert nicht, er präsidiert, aber dafür muss er erst mal eine Regierung bilden mithilfe einer Mehrheit, einer parlamentarischen Mehrheit, die er nicht hat. Warum, weil er keine Partei hat. Seine Bewegung will er in eine Partei ummodeln, um eine Organisationsstruktur zu haben, um eine Parlamentswahl zu gewinnen.
    "Parteien, die gestern nicht dabei waren, wollen sich natürlich revanchieren"
    Armbrüster: Jetzt ist das Problem in Frankreich, die Parlamentswahlen sind schon relativ bald, in wenigen Wochen. Es ist nach wie vor eine Bewegung. Wie funktioniert das in Frankreich? Wie kriegt man eine Bewegung ohne Abgeordnete im Parlament in eine so schlagkräftige Truppe, dass man eine Parlamentswahl möglicherweise sogar gewinnen kann?
    Foussier: Das ist überhaupt die Frage, wie macht er das. Seine Lösung klingt ganz einfach. Es gibt 577 Wahlkreise in Frankreich. In jedem Wahlkreis wird es einen Kandidaten von "en marche", von der Macron-Bewegung geben. Und er setzt darauf, dass diese Eigendynamik von gestern dazu führt, dass er die Mehrheit der Sitze bekommt. Gut, kann man behaupten, kann man hoffen, muss man nur erreichen. Die große Gefahr oder die große Angst ist, dass man in Frankreich – ich wage jetzt den Vergleich – eine Art Schulz-Effekt, also einen Macron-Effekt erreicht, der am Ende gar nicht so viel bringt, wie sich das Macron oder seine Anhänger erhoffen. Die Parteien, die gestern nicht dabei waren, bei der Wahl schon, aber nicht als Partei, die wollen sich natürlich revanchieren. Es gibt keinen Sozialisten, der bereit ist zu sagen, okay, ich gebe meinen Ausweis zurück, ich bin nicht mehr Sozialist, ich bin jetzt Anhänger von Macron. Gilt genauso für die Republikaner. Die Frage wird sein, inwiefern das Wahlvolk bereit ist zu sagen, okay, wir vergessen die sogenannten etablierten Parteien – so etabliert sind die anscheinend nicht -, aber wir vergessen die bisherigen traditionellen Parteien und entscheiden uns jetzt, dem neuen Präsidenten unsere Unterstützung zu geben. Es ist gut gemeint, aber manchmal ist gut gemeint auch das Gegenteil von gut.
    "Er muss jetzt ganz genau definieren, was er unter Europa versteht"
    Armbrüster: Herr Foussier, jetzt hat Macron im Wahlkampf und auch vorher schon angedeutet, dass er ein großer Freund der Europäischen Union ist, der europäischen Bewegung. Da hat er sich immer wieder für starkgemacht. Er sieht die Zukunft seines Landes in Europa. Er hat sich auch eng angelehnt an Deutschland, sieht Deutschland als eine Art Vorbild. All das vor dem Hintergrund, dass es in Frankreich in den vergangenen Jahren vor allen Dingen wirtschaftlich nicht so besonders gut gelaufen ist und dass die Skepsis gerade gegenüber Europa auch in Frankreich da ist.
    Foussier: … und gegenüber Deutschland auch.
    Armbrüster: Gegenüber Deutschland. – Kann man mit solchen Positionen, mit solchen europa-, mit so deutschlandfreundlichen Positionen in Frankreich tatsächlich Massen von Wählern gewinnen?
    Foussier: Es hat Umfragen gegeben, wonach die Franzosen tatsächlich für Europa sind, zwar möglicherweise für ein anderes Europa, aber nicht gegen Europa, wie Le Pen das vorgemacht hat. Insofern war das ein Plus für Macron. Er muss jetzt aber ganz genau definieren, was er unter Europa versteht, was er unter deutsch-französischer Freundschaft versteht. Ich glaube, es gibt noch eine weitere Unbekannte: Wer wird im September Bundeskanzler beziehungsweise Bundeskanzlerin werden. Insofern muss er auch schon wissen, mit wem er es zu tun haben wird. In Deutschland freut sich die Bundeskanzlerin, dass er gewonnen hat. Vielleicht kann man das umformulieren, dass Le Pen nicht gewonnen hat. Bei der SPD war das ein bisschen zweideutig. Die freuen sich natürlich auch, aber Schulz zum Beispiel hatte ganz deutlich gesagt, ich unterstütze den sozialistischen Kandidaten, der jetzt nur mit sechs Prozent dasteht und versuchen will, jetzt eine Auferstehung der sozialistischen Partei zu organisieren.
    Finanzminister für Europa gefordert
    Armbrüster: Jetzt hat sich Emmanuel Macron auch in vielen Bereichen positioniert, die viele deutsche Politiker als sehr problematisch ansehen. Ich nenne nur mal das Stichwort, er fordert unter anderem einen Finanzminister für die Europäische Union, hat auch in einem Interview mal gesagt, er sieht das Wirtschaftswachstum Deutschlands als problematisch an. Sind das alles Bereiche, die viele in Deutschland in den vergangenen Wochen gerne übersehen haben und die ihm jetzt bitter aufstoßen?
    Foussier: Ich glaube, das Thema war sicherlich zu kompliziert und zweitrangig im Vergleich zu der Konfrontation mit Le Pen. Bisher war das so, dass die Deutschen immer wieder von Frankreich verlangt haben, dass endlich mal Reformen durchgesetzt werden, was Frankreich nicht gemacht hat, nicht Macron, sondern Hollande und die Vorgänger. Also hat man in Berlin erwartet, jetzt ist Frankreich dran, Frankreich muss seine Schulaufgaben machen. Jetzt ist es umgekehrt. Man erwartet in Frankreich in der Euphorie – und die Franzosen sind gerne euphorisch nach so einem Wahlsieg -, dass Frankreich, ich benutze das Wort ungern, den Deutschen diktiert, was zu machen wäre. Langsam, da wird Frankreich auch nichts diktieren können. Aber wenn das Gespräch stattfindet, ist das schon mal ein erster Schritt in Richtung Harmonisierung der Politik. Nur Vorsicht: Wenn Frankreich einen Finanzminister für Europa fordert, dann gucken erst mal die Deutschen, was meinen die damit. Ein französischer Minister, der alleine bestimmen würde, was eigentlich richtige Politik ist, kommt sicherlich in Deutschland nicht an, solange Frankreich seine Wirtschaft nicht wieder auf Vordermann gebracht hat.
    Armbrüster: Es bleibt also spannend in Frankreich, auch nach diesem deutlichen Wahlausgang. – Gérard Foussier war das, Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Dokumente" – "Documents". Vielen Dank, dass Sie Zeit heute Morgen hatten, hier ins Studio zu kommen.
    Foussier: Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.