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Frankreichs neuer Premier

Zwei Tage nach dem klaren Nein der Franzosen zur EU-Verfassung hat Staatspräsident Jacques Chirac am Dienstag Dominique de Villepin zum neuen Premierminister ernannt. Damit zog er die Konsequenzen aus dem Ergebnis der Volksabstimmung Villepin, bisheriger Innenminister, ist Nachfolger von Jean-Pierre Raffarin und gilt als Chirac ergeben. Christoph Heinemann berichtet aus Paris.

    Hommage an den Vorgänger: Jean-Pierre Raffarin habe mutig schwierige Reformen angepackt und entschlossen gehandelt, sagt der neue Premierminister über Jean-Pierre Raffarin. Noch vor kurzem hatte de Villepin in einem Interview die Politik des scheidenden Regierungschefs kritisiert: "Ob die Franzosen beim Referendum mit ja oder nein stimmen werden: wir brauchen eine volontaristischere, mutigere, und solidarischere Politik". Hörbar verstimmt ging Raffarin auf die Äußerungen seines Kabinettskollegen ein: "Das war eine Entgleisung von ihm. Das passiert häufig, wenn man es eilig hat. Ich habe ihn zur Ordnung gerufen und damit ist die Sache für mich beendet."
    Dominique de Villepin und Jean-Pierre Raffarin: unterschiedlicher können Parteifreunde kaum sein. Dem gedrungenen und gemütlich wirkenden ehemaligen Regierungschef mit der Boxernase, der im westfranzösischen Poitou-Charente zu Hause ist, folgt der hoch aufgeschossene Intellektuelle aus großbürgerlichem Hause, der sich auf dem diplomatischen Parkett wohl zu bewegen versteht.

    Er verfügt aber weder in einer französischen Region noch in der Pariser Politik über eine Hausmacht. Ironie der Geschichte: als Generalsekretär des Elysée kündigte Villepin vor drei Jahren Jean-Pierre Raffarins Berufung in das Amt des Premierministers an.

    Der Absolvent der Elitehochschule ENA wählt zunächst die diplomatische Karriere: in Washington und Neu Delhi arbeitet Dominique de Villepin in den französischen Botschaften, bevor ihn der Chirac-Vertraute Alain Juppé, der Anfang der neunziger Jahre das Außenministerium führte, zu seinem Büroleiter macht. Nach Jacques Chiracs Sieg in der Präsidentschaftswahl 1995 wird Dominique de Villepin Chef des Präsidialamtes.

    Chirac schätzt die unbedingte Loyalität des zwanzig Jahre Jüngeren. Und er hält an Villepin fest, obwohl dieser dem Präsidenten zur vorzeitigen Neuwahlen rät, die anders als erwartet, zu einer linken Mehrheit in der Nationalversammlung führen. Das heißt: Kohabitation: Chirac muss den Sozialisten Lionel Jospin zum Premierminister berufen. Im Mai 2002 - die UMP stellt inzwischen die Mehrheit im Parlament - wird Dominique de Villepin Außenminister.

    Als die Vereinigten Staaten zum Krieg im Irak rüsten, schlägt seine Stunde. Frankreich werde keine Resolution durchgehen lassen, die den automatischen Rückgriff auf Gewalt erlaube, kündigt der Minister im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an.

    Und er legt nach: "Frankreich ist ein altes Land auf einem alten Kontinent. Europa, das Krieg, Okkupation und Barbarei erfahren und nicht vergessen hat, das weiß, was es den Freiheitskämpfern schuldet, die aus Amerika und aus anderen Ländern kamen". Die anwesenden Diplomaten spenden Beifall - Später wird diese Rede sogar vertont.

    Als Innenminister bekommt Dominique de Villepin ab März 2004 das Land jenseits der Pariser Palais zu sehen: die harte Arbeit der Polizei im Kampf gegen die Gewalt in den Vorstädten, die explosive Lage auf Korsika, die gescheiterte Integration eines Teils der Einwanderer.

    Die größte Herausforderung für den neuen Premierminister bildet die hohe Arbeitslosigkeit. Wenn sich die Lage in den nächsten beiden Jahren nicht bessert, dann hat der Literatur-Liebhaber, der selbst mehrere Bücher geschrieben hat, wieder Zeit für seine Leidenschaft. Das wäre für Dominique de Villepin die zweitbeste Lösung. Die beste wäre ein Umzug in den Elyséepalast nach der Präsidentschaftwahl 2007. Diesmal als Hausherr.