Ohne Anmeldung geht nichts. Pass, Presseausweis, Taschenkontrolle, Körperscanner – das französische Parlament ist bestens gesichert. Nicolas Leron wartet am Eingang.
"Ich denke, wir können uns in die 'Buvette' der Parlamentarier setzen, das ist im Moment nicht viel los."
Der Kantinenraum ist leer, aber Journalisten sind nicht erwünscht. Macht nichts! Der gewaltige Raum davor ist ohnedies Nicolas Lieblingsraum in diesem mächtigen Parlamentsgebäude, dem Palais Bourbon, in dem sich die französische Demokratie in rotem Samt und unter Kronleuchtern eingerichtet hat. In der Kulisse des frühen 18. Jahrhunderts.
"Das Gebäude ist schön, oder? Ein bisschen klein, vor allem die Büroräume, aber dafür schön, in Frankreich kommt Schönheit vor Nützlichkeit!"
Und Schönheit hat auch seinen Sinn, ergänzt der junge Parlamentsassistent.
"Das ist der Konferenzraum, das war mal ein Speisesaal, glaube ich, deshalb der große Kamin dort. Interessant ist hier, dass der Raum zwischen dem 'Hemicycle', dem Plenarsaal liegt, und den Räumen der Abgeordneten."
Und nicht weit zur Kantine, hier passen die Assistenten ihre Chefs ab, tauschen Dossiers aus, Meinungen. Dazu dient ein gewaltiger Tisch in U-Form, dezent ausgeleuchtet, wertvolles Holz.
Frankreiches politische Landschaft ist aufgewühlt
Laurent ist ein nachdenklicher Kopf. Vor geraumer Zeit hat der junge Assistent eine Denkfabrik gegründet, Eurocité:
"Das ist ein progressiver Forschungs- und Analyseansatz. Anfangs links angesiedelt, europäisch, dem Parti Socialiste nahestehend. Aber so einfach sind die Dinge jetzt nicht mehr. Die politische Landschaft in Frankreich ist aufgewühlt. Wir sehen uns dennoch als sozialdemokratisch an und sagen, Politik kann man heute nur noch europäisch denken."
Nicolas Leron war Mitglied der französischen Sozialisten. Zehn Jahre lang ein Treuer. Und jetzt:
"Ich bin nicht mehr Mitglied der Sozialisten. Seit 2016 habe ich meine Beiträge nicht mehr gezahlt, und dann verschwindet man von den Mitgliedslisten."
Chaos und langweilige Sitzungen
Warum verlässt einer, der links und europäisch denkt eine Partei wie diese?
"Das war eine Form von Überdruss. Dieses Durcheinander am Ende der Amtszeit von Hollande, diese Stimmung 'Fin de Reigne'."
Aber zur Partei La République en Marche des neuen Präsidenten Emmanuel Macron ist Leron nicht übergelaufen, jedenfalls nicht als Aktivist.
"Nein, ich bin kein Mitglied. Ich habe Arbeit gesucht, zunächst bei den Abgeordneten des Parti Socialiste, aber die Fraktion der Sozialisten war von rund 290 Abgeordneten auf knapp 30 enorm geschrumpft nach der verlorenen Wahl und deren Reflex war, erst einmal die angestammten Mitarbeiter zu halten, die Treuesten, wenn man so will."
So heuerte der Ex-Sozialist, der sich mit europapolitischen Thesen und Veröffentlichungen in Frankreich derzeit einen Namen macht, bei einem Abgeordneten von En Marche an. Die ideologische Hürde im neuen Job sagt Leron, sei nicht all zu hoch:
"Das ist ein neuer Parlamentsabgeordneter, der zuvor im Kommunalparlament von Versailles saß, und wir haben mehr oder weniger dieselben, politischen Auffassungen. Er ist sozialdemokratisch, sozialliberal, ein bisschen Zentrist, jedenfalls ohne zementierte Ideologie. Das sind diese neuen Abgeordneten, die aus der Privatwirtschaft kamen und kaum Politik gemacht hatten."
Den Bruch mit den Sozialisten hat sich Leron gut überlegt:
"Ich bin schon lange dabei, ich bin ganz jung in die sozialistische Partei eingetreten, ich war überzeugt. Und ich bin weiter ein Anhänger dieser Form von Partei, weil ich an das Kollektiv als Einheit glaube, aber ich habe auch die Schwerfälligkeit des Apparats erlebt, ich konnte nie recht Fuß fassen, weil ich nicht die Zeit hatte, mich abends ständig an endlosen Debatten zu beteiligen. Die, man muss es sagen, auch nicht besonders interessant waren. Aber ans Kollektiv glaube ich noch…"
Nicolas Leron räumt ein, dass er nicht gedacht hätte, dass Macron mit seiner Bewegung diesen Erfolg haben würde. Offenbar habe Macron etwas in Gang gesetzt, was einem großen Bedürfnis entsprach. Sagt der junge Ex-Sozialist.
Nicolas Leron zeigt ins Halbrund des Plenarsaals. Roter Samt dominiert die Szene. Sein Chef sitzt weit hinten und weit oben, Platz 321.
Am Rande des Halbrundes steht eine Schautafel, den größten Raum nimmt die Mehrheit von "En marche" ein.
Zufrieden mit Macrons Europapolitik
Der junge Assistent verlässt den Plenarsaal, an Besuchergruppen vorbei. Dabei kommt er nochmals ins Erzählen:
"Ich bin überzeugter Sozialdemokrat. Und diese sozialdemokratische Überzeugung finde ich zum Teil bei En Marche, vor allem, was die Europapolitik angeht, bin ich sehr zufrieden mit dem, was geschieht, da hat Hollande viel zu wenig angepackt, also viel Übereinstimmung mit Macron, wenn auch nicht vollständig. Und da die Sozialistische Partei Frankreichs kaum noch existiert, auch, wenn man ihren Tod nicht voraussagen sollte, und ich teilweise ihre Ideen noch teile, warte ich ab und konzentriere mich auf die Analyse, das Nachdenken, die Ideendebatte."
"Abwarten", diese Vokabel hört man in diesen Tagen ziemlich oft von französischen Sozialisten.