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Frankreichs Präsidentschaftswahlkampf
"Macron ist ein Kandidat, der Hoffnung vermittelt"

Der Kampf um das Präsidentenamt habe positive wie negative Erscheinungen, sagte der Grünenpolitiker Daniel Cohn-Bendit im DLF. Positiv sei, dass der sozialistische Kandidat, Emmanuel Macron, es schaffe für das europäische Projekt zu mobilisieren: "Das hat es schon lange nicht mehr gegeben in Frankreich."

Daniel Cohn-Bendit im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Portrait des Grünenpolitikers Daniel Cohn-Bendit.
    "Ich finde das sehr spannend, was er macht", sagte der Grünenpolitiker Daniel Cohn-Bendit über Emmanuel Macron. (imago stock&people)
    Jürgen Zurheide: Der französische Präsidentschaftswahlkampf hat die ein oder andere Kapriole bisher schon geschlagen, jetzt geht es weiter, und die große Frage, die im Moment im Mittelpunkt steht: Wie lange hält Fillon noch durch? Hält er überhaupt durch oder ist der Kandidat der Konservativen dann endgültig vom Fenster angesichts der Vorwürfe, die es gegen ihn gibt und was das alles heißt. Über all das und was das für den französischen Präsidentschaftswahlkampf heißt, wollen wir jetzt reden mit Daniel Cohn-Bendit, den ich zunächst herzlich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Cohn-Bendit!
    Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen!
    Zurheide: Zunächst einmal eine Prognose von Ihnen: Wird Fillon das durchhalten oder wird er seinen Hut nehmen müssen, was ist Ihre Prognose?
    Cohn-Bendit: Nach Adam Riese kann er das nicht durchhalten, aber Adam Riese gilt nicht mehr in Frankreich. Es gibt so viele Überraschungen, Wendungen, dass es sein kann, dass weil die Konservativen nicht wissen, wie sie jetzt einen Ersatzkandidaten aus dem Hut zaubern können, dass sie dann eben sagen, okay, da müssen wir durch, Augen zu und durch, und irgendwann wird sich das erledigen. Man kann ja nicht drei Monate nur über das eine sprechen, dass seine Frau einfach eine nicht existierende, eine Fata-Morgana-Assistentin war. Irgendwann wird das Ganze dann aufhören. Könnte sein. Scheint mir unwahrscheinlich, aber was ist schon unwahrscheinlich bei diesem Wahlkampf in Frankreich.
    Zurheide: In der Tat, wenn ich gerade mal "Le Monde" sehe heute sehe im Kommentar, dann sagen sie, die Präsidentschaftswahl ist die letzte Wahl, der die Franzosen noch Bedeutung beimessen, deshalb ist die Art und Weise, wie über das höchste Amt und um das höchste Amt gekämpft wird, katastrophal. Können Sie das bestätigen?
    Cohn-Bendit: Na ja, also katastrophal. Sie haben natürlich negative Erscheinungen, Sie haben aber auch positive. Die Art und Weise, wie die sozialistische Partei einen Kandidaten erkoren hat, der jetzt doch eine Mobilisierung schafft, die man für unmöglich gehalten hat, in der linken Mitte oder in der Mitte einen Kandidaten wie Emmanuel Macron, der Begeisterungsstürme mobilisiert bis jetzt, das ist auch etwas Neues und das ist auch, sagen wir, eine Situation, die positiv zu bewerten ist.
    "Le Pen wird von ihren Anhängern anders beurteilt als von den Anhängern Fillons"
    Zurheide: Wir kommen gleich noch auf die beiden letzten Aspekte, die positiven, ich will noch mal bei den negativen bleiben: Sowohl Fillon, aber auch Le Pen, die ja ähnliche Probleme wie Fillon hat oder jedenfalls auf einer ähnlichen Ebene mit dem Europäischen Parlament, wo es um Geld geht, was sie anders ausgegeben hat, als sie es hätte ausgeben sollen, das steht für die alten Eliten und das steht auch für den Bruch am Ende zwischen weiten Teilen des Volkes und der alten Eliten. Ist das richtig oder falsch beobachtet?
    Cohn-Bendit: Ja, das Problem mit Marine Le Pen ist – und das ist ja schon irre –, ist, dass sie im Grunde genommen das umdrehen kann und den Teil der Bevölkerung, den sie mobilisiert, also die 25 Prozent, die ja gegen Europa sind, dann sagen sie, ich war berechtigt, anders zu handeln, weil wir eh Europa abschaffen wollen, und ich werde bestraft von Europa, weil ich Europa, die Europäische Union, das Europäische Parlament abschaffen will. Und deswegen wird sie von ihren Anhängern anders beurteilt als von den Anhängern Fillons. Das ist der große Unterschiede, das ist ihre Chuzpe, und die scheint im Moment noch zu wirken.
    Zurheide: Aber der andere Punkt war – unabhängig jetzt von Le Pen, was dann da ein Sonderfall ist –, dass die Eliten und dass zum Beispiel überhaupt die Tatsache, dass man da Geld bekommt, das man ausgeben kann, auch für Familienangehörige, das macht ja nicht nur Fillon, zum Beispiel im Kabinett und in Kabinettssitzungen werden Bargeldumschläge verteilt, das ist ja für ein zivilisiertes Land in Europa oder in dem Teil der Welt, der solche Regeln hat, eigentlich völlig unvorstellbar. Das gibt's alles noch in Frankreich.
    Cohn-Bendit: Nein, nein, also bei den Kabinettssitzungen wird kein Bargeld jetzt so, also das ist jetzt mal ein bisschen zu viel. Aber ja, es ist richtig, das ganze Parlament, parlamentarische System hat Kassen und eine Unzahl von Kassen, wo sich Abgeordnete, Minister nicht selbst bedienen können, aber andere bedienen können. Das hat was schon, sagen wir, Vordemokratisches, und das bleibt in Frankreich. Und da gibt es eine Entfremdung eines Teils der politischen Klasse mit den Menschen, mit der Mehrheit der Menschen im Lande, das ist richtig.
    "Ich finde das sehr spannend, was er macht"
    Zurheide: Was ist denn jetzt, Sie haben gerade die beiden neuen Bewegungen angesprochen, sowohl bei den Sozialisten, wobei denen werden dann insgesamt weniger Chancen eingeräumt, der andere ist Emmanuel Macron, Sie haben ihn angesprochen, Sie persönlich unterstützen ihn ja auch. Was erwarten Sie von ihm?
    Cohn-Bendit: Ja, also ich unterstütze … das ist jetzt nicht so ganz einfach, aber ist ja egal. Ich finde das sehr spannend, was er macht. Ja, was ihn unterstützt, ist, dass er was völlig Neues versucht hat. Er hat nicht nur seine Kandidatur in den Ring, seinen Hut in den Ring geworfen, sondern der hat gleichzeitig eine neue Bewegung, eine neue Partei gegründet, sagen wir mal, mit Internet. Und dann hat er jetzt 180, 190.000 Menschen organisiert innerhalb von paar Monaten und noch dazu Mobilisierung schafft. Er ist ein Kandidat, der Hoffnung vermittelt, und ich glaube, dass er heute bei seiner großen Kundgebung in Lyon, wobei ja in Hunderten von Städten gleichzeitig das live übertragen wird. Also er schafft es, in einem Teil der Bevölkerung, das ist immer nur ein Teil der Bevölkerung, Begeisterung und Hoffnung zu vermitteln, und das ist in diesen Zeiten was Neues. Und er ist der Einzige, der so radikal und klar den Franzosen erklärt, ohne Europa werden wir es in Frankreich nicht schaffen. Er schafft Begeisterungsströme, mobilisiert für das europäische Projekt, das hat es schon lange nicht mehr gegeben in Frankreich.
    "Im Gegensatz zu Fillon will Macron keinen Kahlschlag"
    Zurheide: Jetzt ist die Europapolitik das eine, kein Widerspruch, aber die andere Frage ist ja, wie man dieses Frankreich neu justiert. Der Staat, der einen recht großen Einfluss hat – und das hab ich jetzt zurückhaltend formuliert –, wird vermutlich auch an der ein oder anderen Stelle was neu machen müssen. Fillon wollte das ja sehr radikal machen, trauen Sie Macron diesen Spagat zu, was zu verändern, ohne die Widerstände so zu provozieren, dass das in Frankreich ja immer wieder zu einer Art Blockade geführt hat?
    Cohn-Bendit: Das Interessante an Macron und das hat auch Hamon, also der sozialistische Kandidat, ich würde ihn nicht so schnell abschreiben, der hat auch so einen Sprung in den Umfragen gemacht wie zum Beispiel Martin Schulz bei der SPD, hätte man auch nicht geglaubt vor ein paar Wochen, das muss man so sagen. Das, was Macron so interessant macht, ist, er will liberalisieren, er will die Hand des Staates reduzieren, gleichzeitig will er aber neue Sicherheiten für die Bürger formulieren, er will Schutzschilde. Das heißt, wenn man den Arbeitsmarkt liberalisiert, muss man gleichzeitig aber eine Sicherheit, eine Flexi-Security, eine Sicherheit, dass die Menschen in eine Lage versetzt werden, dann eine andere Arbeit, Ausbildung zu finden, das alles, was in Frankreich sehr schlecht läuft. Und mit dem Staat, er will die ganze Staatsverwaltung, die regionalen Verwaltungen, städtischen, er will helfen, sie zu modernisieren. Das heißt, im Gegensatz zu Fillon will er keinen Kahlschlag, sondern er will einen Modernisierungsschub in der ganzen Verwaltung beginnen. Und das, glaube ich, ja, er könnte es schaffen. Ob er es schafft oder nicht, das weiß ich nicht, aber das ist die Hoffnung, die er vermittelt, dass er das kann.
    Zurheide: Das war Daniel Cohn-Bendit von den Grünen über die Lage in Frankreich, einer derjenigen, der sowohl Frankreich wie Deutschland gut kennt. Herr Cohn-Bendit, ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch und für die Einsichten, die Sie uns vermittelt haben, danke schön!
    Cohn-Bendit: Bitte sehr, tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.