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Frankreichs Theaterbühnen
Ganz Paris spielt von der Liebe

Die Pariser Theater haben die Liebe als Sujet ihrer Inszenierungen neu entdeckt. Gendergeschichtlich, emotional oder tänzerisch – von allen Seiten wird dieses unbeschreibliche Gefühl beleuchtet. Den finanziellen Kahlschlag im französischen Kulturbetrieb werden die Theater bei aller Liebe wohl trotzdem nicht abwenden können.

Von Ute Nyssen |
    Blick in das Pariser Théâtre des Variétés
    Blick in das Pariser Théâtre des Variétés ( AFP / FRANCOIS GUILLOT)
    "Ganz Paris träumt von der Liebe" wäre eine gute Überschrift für die Pariser Herbst/Wintersaison. Die Liebe, eigentlich der französische Erfolgsschlager par excellence, ist bei einigen der wichtigsten Theatermacher mit einem rigoros heutigen Blick neu ins Zentrum gerückt.
    Die utopischen Entwürfe von riskanten Formen des Zusammenlebens in der Liebe, wie sie 1968 erprobt wurden, gibt es dabei allerdings nicht mehr. Die junge Regisseurin Julie Duclos hat sie mit ihrer Truppe im Théâtre de la Colline noch einmal eindrucksvoll vor Augen geführt, voller Melancholie und mit Beispielen aus den Filmen der 'Nouvelle Vague'. Wie ein Schlag gegen die seinerzeit gehegte Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Paarbeziehung, wirkt dagegen ein Stück von Pascal Rambert: die Liebe währt nie ewiglich, und ist es aus, gibt es kein Rezept, sie hochzupäppeln. Dieser schonungslos ausgesprochenen Wahrheit müssen die Figuren in "Ende einer Liebe" ins Auge sehen. Der Choreograph Rambert, der auch schon Live-Sex zwischen Tänzern auf die Bühne brachte - hat mit dem schon älteren Stück den Boom des Themas eingeläutet.
    Eine ähnlich nüchterne Diagnose liefert aber auch das faszinierende neue Stück von Joël Pommerat im Théâtre de l'Odéon. In der extremen Situation des Verlusts handeln seine Protagonisten wie besessen von der Illusion, sie könnten daran noch etwas ändern. Sowohl die Gewaltbereitschaft der Liebe wird bloß gelegt, manchmal auch fürchterlich komisch, als auch deren gespenstische Macht über die Betroffenen. Jede ironische Liebesrelativierung im Modell der "Beziehungskiste" fehlt hier.
    Was aber wäre die Liebe ohne Verliebtsein? Die hochreflexive Neuinszenierung an der Comédie Française von Marivaux' "Unbeständigkeit der Liebe" aus dem 18. Jahrhundert feiert das Glück des Augenblicks. Regisseurin Anne Kessler lässt die ungetreue Silvia und ihren intriganten Verführer in einem spontanen Tanzintermezzo à la "Ein Amerikaner in Paris" einfach abheben vom schwankenden Boden der Gefühle und der Gesellschaft.
    Subventionskürzungen um acht Prozent stehen bevor
    In Ramberts Stück weist die Frau den Mann auf die eisigen Landschaften hin, in denen sie künftig allein umherirren werden. Die Darstellung dieser tödlichen Verzweiflung hat der wohl beschwingteste Abend in dem Pariser Liebesreigen mit dem Motiv des "Wegtanzens" schön verbunden. Regisseurin Jeanne Candel befragt für das Théâtre de la Cité Internationale die Liebe unter gendergeschichtlichen Aspekten, und unter jenen der Kunst. Mit Chansons, nachgestellten Gemälden und mit stummen Szenen, in denen sich eine Frau beispielsweise die Haare mit Salz und Kräutern bestreut, um anschließend den Kopf in den Backofen zu stecken. Auch hier können Mann und Frau nicht zusammen kommen – aber wenigstens die Utopie der Zusammenarbeit ist Wirklichkeit geworden.
    Doch der Boden, auf dem diese Pariser Theater-Erfolge stehen, schwankt. Acht Prozent Subventionskürzung hat die französische Regierung im Dezember 2014 allen Künstlern in Aussicht gestellt. Wie die Gelder verteilt werden, entscheidet ganz wesentlich die Provinz. Dort macht sich, ganz unabhängig und schon vor dem Sieg des Front National bei den Kommunalwahlen, der massive Rechtsruck Frankreichs geltend. Der ganz banale Druck, insbesondere bei anspruchsvollen Projekten, habe mit dem Zwang zu mehr Rentabilität vehement zugenommen, empörten sich die Künstler bei einer Pariser Protestveranstaltung. Sie sehen die Spannbreite des Angebots bedroht. Ihr Widerstand bezieht sich nicht nur auf die teils existenzgefährdenden finanziellen Einschnitte, sondern vor allem auf die hinterhältigen Hiebe gegen den angeblichen "Elitismus" der Kunst.
    Doch die Forderung aus der Politik nach mehr Publikumsnähe läuft ins Leere. Denn der ungewöhnliche Andrang auch jugendlicher Besucher bei den angeführten Inszenierungen signalisiert ja, dass die subventionierte "exception culturelle" Erfolg hat, nicht nur die leichte Kost des Boulevards.
    Ausgerechnet die Liebe also hat Paris wieder in eine Hauptstadt des aktuellen Theaters verwandelt.