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Franz Berwald - Sinfonien, Volume I

Heute geht es um Orchestermusik von Franz Berwald, erschienen beim englischen Label Chandos. * Musikbeispiel: Franz Berwald - "Allegro vivace" (Ausschnitt) aus der Tondichtung "Elfenspiel" Der Schwede Franz Berwald, geboren 1796, gestorben 1868, gilt heute als der führende Skandinavische Komponist des frühen 19. Jahrhunderts, bewundert für seine kühnen und überraschenden Einfälle und die Originalität, mit der er musikalische Formen handhabte. Vielleicht liegt darin aber auch schon einer der Gründe für ein gar nicht so glänzendes Musikerleben, in dem sich Erfolg und Misserfolg nur bei optimistischer Betrachtung die Waage hielten. So scheiterten z.B. seine wiederholten Anläufe, auf den Opernbühnen heimisch zu werden, an mangelndem Zuspruch oder bereits im Probenstadium. Überhaupt war es lange nicht klar, ob das Komponieren eine tragfähige Grundlage für Berwalds Leben bilden könnte: Anfangs arbeitete er als Geiger oder Violaspieler im Orchester des königlichen schwedischen Hofes, später sehen wir ihn als Herausgeber von Musikalien, aber dann - übrigens in Berlin - auch mehrere Jahre lang als Leiter eines Orthopädischen Instituts oder Direktor einer nordschwedischen Glasfabrik. Eine Art Durchbruch erzielte er im März 1842 in Wien, wo mehrere neue Orchesterwerke von ihm aufgeführt und von der Kritik positiv aufgenommen wurden. Man rühmte die Ursprünglichkeit des musikalischen Materials, die Ideen, die Aufteilung der Elemente, die Behandlung der Form und den gekonnten Einsatz der diversen Möglichkeiten des Orchesters. * Musikbeispiel: Franz Berwald - 2. Satz, Scherzo-Teil (Ausschnitt) aus der Sinfonie Nr. 3 "Singulière" Im öffentlichen Musikleben seiner Zeit war Berwald nicht fest verankert. Besonders seine schwedischen Zeitgenossen dürften sich ein falsches Bild von seinem kompositorischen Schaffen gemacht haben. Bekannt waren vor allem manche seiner Vokalwerke und einige kleinere Orchesterstücke. Hinzu kam eine gewisse Verschlossenheit des Meisters und ein kritischer Geist, der auf Abstand achtete. In Stockholmer Tageszeitungen veröffentlichte Berwald ab etwa 1860 kritische Artikel, in denen er pointiert zum Musikleben, aber auch darüber hinaus Stellung bezog. Auch das dürfte ihm nicht nur Freunde gemacht haben. Die hervorragenden vier Sinfonien und die bedeutenden Kammermusik-Werke jedenfalls erfuhren erst lange nach Berwalds Tod Beachtung. Um 1900 war die in den europäischen Nationalstaaten verbreitete Suche nach Eigenständigem, in diesem Fall typisch Schwedischem, seinem Werk nützlich, später waren es vor allem Gedenktage wie der 150. Geburtstag oder der 100. Todestag des Komponisten, die für eine intensivere Beschäftigung mit Berwald sorgten: 1968 begann man unter Leitung des fünf Jahre vorher in Stockholm gegründeten Berwald-Komitees mit der Herausgabe seiner gesammelten Werke, die im Jahre 2005 dann alle vorliegen sollen. * Musikbeispiel: Franz Berwald - 2. Satz "Adagio" (Ende) aus der Sinfonie Nr. 3 "Singulière" Vielleicht liegt es allerdings auch an Berwalds Musikstil, dass ihm die Anerkennung so lange versagt blieb. Trotz aller Originalität und Kunstfertigkeit war er im Grunde ein Anhänger Beethovens, Mozarts oder Cherubinis geblieben, ein später "Klassiker" eben und weniger ein "Romantiker". Übersteigerter Subjektivismus und künstlerische Offenbarung persönlichster Empfindungen waren seine Sache nicht; Anklänge an Liszt oder Wagner sucht man in seinen Werken vergebens. Trotz großem Ausdrucksvermögen und starker melodischer Erfindungskraft schafft sein kühl berechnender Intellekt immer wieder eine gewisse Distanz; alles wird zusammengehalten und gezügelt durch genau geplante Abläufe und Formen. "Berwalds Natur hat einen Zug von Unnahbarkeit", vermerkt ein Biograph, "die Musik scheint einen Künstler widerzuspiegeln, der sich nicht völlig ausliefern will, der eher sein Können als seine Gefühle zur Schau stellen möchte". * Musikbeispiel: Franz Berwald - 2. Hälfte des 3. Satzes "Finale" aus der Sinfonie Nr. 3 "Singulière" Auf dem Schallplattenmarkt haben sich Berwalds Sinfonien heute besser etabliert als im Konzertsaal. Jedenfalls gibt es bereits einige Gesamtaufnahmen. Die jetzt gestartete Reihe kommt vom Dänischen Rundfunk und dem jungen Dirigenten Thomas Dausgaard. Der wurde 1963 in Dänemark geboren und studierte Dirigieren in Kopenhagen und bei Norman del Mar am Londoner Royal College of Music. Ein wichtiger Schwerpunkt seiner Ausbildung war die Assistenzstelle bei Seiji Ozawa beim Boston Symphony Orchestra, wo Dausgaard von 1993 bis 95 arbeitete und beim angeschlossenen Tanglewood-Festival auch programmprägende und künstlerische Verantwortung für eigene Konzertreihen übernahm. Zusätzlichen Schwung verlieh der Karriere kurzfristiges Einspringen für prominente erkrankte Kollegen: so übernahm er 1993 von Carlo Maria Giulini in Stockholm eine Beethoven’sche Missa solemnis oder 1996 eine eigentlich noch mit Georg Solti geplante Europatournee der St. Petersburger Philharmoniker; beide Orchester luden ihn daraufhin spontan auch zu weiteren Dirigaten ein. Seit gut 5 Jahren arbeitet Dausgaard jetzt als Musikdirektor des Schwedischen Kammerorchesters, und nach regelmäßigen Projekten mit den Musikern des dänischen Rundfunks ist er seit 2001 Erster Gastdirigent des Dänischen nationalen Radio-Sinfonie-Orchesters, dem führenden Orchester seines Heimatlandes. Mit ihm soll jetzt für das englische Label Chandos das komplette Orchesterwerk Franz Berwalds aufgenommen werden; die vorliegende CD mit der 3. und 4. Sinfonie ist dazu der erste Teil. * Musikbeispiel: Franz Berwald - 1. Satz "Allegro risoluto" (Ausschnitt) aus der Sinfonie Nr. 4 "Naive" Der Vorteil dieser dynamisch sehr breit angelegten Neuaufnahme der Orchesterwerke Franz Berwalds liegt in ihrem insgesamt weichen, runden, niemals ruppigem Klangbild. Übergänge und Steigerungen gelingen den dänischen Musikern wie aus einem Guss, bemerkenswert ist die Einheitlichkeit der Bläser; die geradezu traumwandlerisch sicher und durchsichtig artikulierenden Streicher beeindrucken ebenso. Ob man im Vergleich die mit historischen Instrumenten arbeitende Aufnahme von Roy Goodman bevorzugt, ist Geschmacksache. Im "modernen" Stil jedenfalls liefern Thomas Dausgaard und sein Rundfunkorchester hiermit meiner Meinung nach eine Referenz-Aufnahme ab. * Musikbeispiel: Franz Berwald - Schluss des letzten Satzes "Animato" aus der Sinfonie Nr. 4 "Naive"

Ludwig Rink |