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Franz Fühmann

Wer war Franz Fühmann? Ein Jesuitenzögling, der die Rituale von Selbstbezichtigung, Beichte und fröhlichem Neubeginn nie verlernte, auch als er längst zum Atheisten geworden war? Ein begeisterter Hitlerjunge aus nationalsozialistisch gesinntem, wohlhabenden Elternhaus? Ein angepaßter Wehrmachtssoldat, der sich freilich am liebsten zum Lesen und Dichten zurückzog, wie er es schon in Kindertagen getan hatte? Ein schuldbewußter Kriegsgefangener, der sich von sowjetischen Agitatoren problemlos zu einem glühenden Stalinisten umerziehen ließ? Ein Heimatvertriebener, der nie wieder einen gleichwertigen Ersatz für das verlorenene geliebte Böhmen finden konnte? Ein Parteifunktionär, der eifrig und eifernd die alleinseligmachende Wahrheit durchsetzen wollte, der aber sogleich in Lebenskrisen geriet, wenn die erlebte Praxis seiner enthusiastischen Überzeugung widersprach? Ein erfolgsverwöhnter Dichter, dessen frühe Texte schon 1942 in der legendären Reihe,"Das Gedicht - Blätter für die Dichtung" des Hamburger Heinrich-Ellermann-Verlags und in der fragwürdigen, aber seinerzeit hochangesehenen Wochenzeitung ''Das Reich" des Reichspropagandaministers Goebbels erschienen? Ein Erzähler und Essayist, dem schließlich im Nachkriegsdeutschland, in Ost und West, viele Ehrungen und Leser zuflogen?

Manfred Jäger |
    Oder war Franz Fühmann eher ein fleißiger Handwerker, der allzuhohe, nicht einlösbare Ansprüche an sich stellte und der daher vor allem Erfahrungen des Scheiterns sammelte? Bleibt er den Zeitgenossen als ein aufrichtiger Wahrheitssucher in Erinnerung, als ein unerschrockener, glaubwürdiger Partner im wirklichen und im fiktiven Gespräch?

    Franz Fühmann trug wohl alle angeführten Eigenheiten und Eigenschaften in sich, nacheinander, nebeneinander, gleichzeitig und ungleichzeitig. Er litt an seinen disparaten Vergangenheiten und an den Zumutungen der Gegenwart in einer diktatorischen Ordnung, mit er der er zuerst naiv und dann praktisch-realistisch Erwartungen verbunden hatte, die er sehr lange trotz aller Bitternisse Hoffnungen nannte. Wie jedermann stilisierte auch er seine Vita zu einem rational begreifbaren Kontinuum mit Brüchen zurecht. Er kannte die Psychoanalyse des von ihm bewunderten Sigmund Freud gut genug, um zu wissen daß die Selbstinterpretation trotz aller Aufrichtigkeit stets rasch an Grenzen stößt. In den finsteren Zeiten, in denen er lebte, schauten der äußere und der innere Zensor ihm gleichsam immer über die Schulter.

    Der einzigartige Fühmann hat so ein exemplarisches Autorenschicksal durchlebt und zugleich schriftlich fixiert. Sein alter Verlag aus DDR-Zeiten, Hinstorff in Rostock, der das Werk weiter betreut, legt jetzt eine repräsentative "Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen" vor, die weit mehr ist als eine schmückende, werbende Ehrengabe für den wichtigsten Autor des Hauses. Ausgewählt und zusammengestellt wurde das etwa zu einem Drittel bisher unbekannte Material von Barbara Heinze, der Leiterin des Fühmann-Archivs der Akademie der Künste. Fühmann wird nicht zur hochgestellten Denkmalsfigur erniedrigt. Die Präsentation der Quelle, die den Autor nicht nur mutig und aufrecht, sondern zu Zeiten auch schwach und kläglich erscheinen lassen, wirkt souverän, wie selbstverständlich, so daß nie der Verdacht aufkommt, es werde womöglich - wie in alten Zeiten - Problematisches unterdrückt. Nur bei den SpitzeIberichten aus dem Verlagsmilieu fällt eine allzu taktvolle Zurückhaltung auf, obwohl es sich doch dabei seit dem Nachwort von Hans-Jürgen Schmitt zu der Briefausgabe und seit Joachim Walthers solider Darstellung keineswegs um Geheimnisse handelt.

    Kommentiert werden die Dokumente freilich nicht - sie wirken durch sich selbst, das heißt genauer gesagt durch die Art der Zusammenstellung. Der Band wurde überlegt durchkomponiert, aber er stellt auch hohe Anforderungen an den Leser. Gewiß, er wird durch übersichtliche Zeittafeln informiert, es gibt auch knapp und sachlich gehaltene Anmerkungen zu Umständen und Personen. Aber als Einführung in Leben und Werk Fühmanns wäre das Buch nicht geeignet. Der Leser wird vor allem dann seine Freude daran haben, wenn er Fühmanns Arbeiten kennt. Der Autor wird dadurch geehrt, daß die Autorin nicht hinter seinen Ansprüchen zurückbleibt. Trotz des reichhaltigen Bildmaterials ist der prächtige Band nicht zum bloßen Blättern und zum flüchtigen Schmökern geeignet.

    Seit 1992 liegt im Aufbau-Verlag die Biographie "Franz Fühmann - Ein deutsches Dichterleben" vor. Verfaßt hat sie der Germanistikprofessor Hans Richter von der Universität Jena. Ein kurzer Vergleich mit diesem ersten biographischen Versuch kann die Vorzüge der neuen Publikation noch verdeutlichen. Daß Richter zwischen populärwissenschaftlichem Sachbuch, biographisch-positivistischer Nacherzählung und germanistischer Studie laviert, fällt dabei nicht so sehr negativ ins Gewicht wie die Verharmlosung der politischen und gesellschaftlichen Gegenpositionen des späten Fühmann, die dem Biographen wohl eher unbewußt unterläuft. Manchmal liest es sich so, als sitze Richter noch immer der demagogischen Dialektik von "Wesen" und "Erscheinung" auf, so als habe Fühmann sich vor allem über schlimme Details erregt und das Gesellschaftsganze milder beurteilt. Das klingt zuweilen so, als müsse noch immer vor dem Vorwurf geschützt werden, vorsätzlich politische Opposition betrieben zu haben.

    Daß Fühmann radikal widersprach - im Werk und in Gesprächen, besonders deutlich in von westdeutschen Publizisten, Wilfried F. Schoeller, Marlies Menge oder Karl Corino, geführten Interviews -, lag nicht bloß daran, daß der SED-Staat die Wirklichkeit propagandistisch immer mehr verzerrte: Es hatte tiefere Gründe, die dem Gesellschaftssystem von allem Anfang an eingeschrieben waren. Fühmann ging ja gerade deswegen mit sich ins Gericht, weil er zu lange zu naiv, zu gutgläubig, zu zustimmungswillig gewesen war und weil er zu lange diszipliniert verschwieg, was er wußte.

    Auf den ersten Blick scheint der neue Band als Materialsammlung nur die Vorform einer noch zu schreibenden Biographie darzustellen, in Wahrheit gibt die Collage jedoch ein reicheres Bild als Richters erster Versuch einer Gesamtdarstellung vielleicht auch deshalb, weil dem Leser eine größere Freiheit für Deutung und Wertung eingeräumt wird.

    Gegliedert wurde der Stoff in 14 Kapitel von unterschiedlicher Länge. Die ersten sechs zeichnen chronologisch die Lebensstationen nach, die folgenden nehmen noch einmal thematische Komplexe seines Werks und seines Engagements, zum Beispiel seines Einsatzes für Kinder, für Behinderte oder in der Friedensbewegung gesondert in den Blick.

    Warum der 1922 in Rochlitz (tschechisch:Rokytnice) im Riesengebirge geborene Fühmann seine Herkunft und seine Kinder- und Jugendzeit in einer Art negativer Parteilichkeit stilisierte, konnte schon Hans Richter, der zuerst auf gegensätzliche Aussagen von Zeitzeugen aufmerksam machte, nicht klären. Auch die neue Publikation kann nur die Widersprüche erneut ausstellen. Der Vater besaß die Apotheke im Ort und eine kleine pharmazeutische Fabrik, aber Fühmann hat diesen relativen Wohlstand nicht recht wahrhaben wollen, obwohl ihm eine Haus- Lehrerin und später der vierjährige Besuch im Jesuitenkonvikt Kalksburg bei Wien finanziert werden konnten. Den Weggang von dort stellte Fühmann als Ausbruch und Flucht dar, während es wohl eher so war, daß die Kosten allmählich zu hoch wurden und die Familie den Sohn lieber aufs Realgymnasium in Reichenberg schickte. Das Zusammenleben mit einem autoritären und zugleich an den Kindern kaum interessierten Vater und mit einer frömmelnden, bigotten Mutter, die eine Ehe voll Zank und Streit führten, muß bedrückend gewesen sein.

    Die Zeitzeugen bestätigen aber keineswegs, daß Vater Fühmann Gründer und erster Ortsgruppenleiter der NSDAP gewesen sei. Er verhielt sich in dem sudetendeutschen Milieu wie die Mehrheit, er trat in die Nazipartei ein, ohne sich jedoch militant aufzuführen. Er beging nach der Niederlage auch nicht Selbstmord, sondern verstarb im Juli 1945 nach einer verspäteten Operation im Krankenhaus eines natürlichen Todes, ohne daß die Tschechen ihm irgend etwas zuleide getan hatten. Offenbar wollte Fühmann seine Herkunft stärker einschwärzen oder einbräunen, um das didaktische Ziel seiner frühen antifaschistischen Umerziehungsliteratur authentisch zu unterfüttern. Freilich verschwimmen dabei autobiographische Genauigkeit und dichterische Freiheit. In den letzten Lebensjahren hat Fühmann dann manchen Akzent anders gesetzt - so war zum Beispiel der Eintritt des 16jährigen in die "Reiter-SA" jetzt nicht mehr unentschuldbar böse, sondern auch erklärlich durch die Attraktivität des Umgangs mit Pferden; am Ende entpuppte sich alles als öde Beschäftigung zwischen Stallausmisten und Gäulestriegeln.

    Die Umerziehung zum Kommunisten während der russischen Gefangenschaft hat Fühmann nie erzählerisch, etwa in der von ihm lange bevorzugten Novellenform, gestaltet. Er poetisierte diese Wandlung märchenhaft romantisch in Gedichten, die er später wegen ihrer übersteigerten Hymnik und ihres affirmativen Pathos verwarf. Schon 1958 sah er sich in der Sackgasse und schrieb von da an keine Gedichte mehr. Aber es gab auch Rückfälle in seiner Prosa, etwa in der Erzählung "Das Judenauto" von 1962, was Kurt Batt, den bedeutenden Lektor, der ihm später zum Freund wurde, zu dem Urteil brachte, daß der forsche Ton der Ideologie wieder die geheimen Abgründe überdecke. Erklärungen für den schnellen Wechsel zur stalinistischen Gläubigkeit versuchte Fühmann selbst erst in den siebziger und achtziger Jahren zu geben: "Ich kam ja wirklich aus einem finsteren Schwarz und dachte nun, ich gehe in das strahlende, helle, untrübbare Morgenrot. Das war nicht der Fall, und meine Konzeption zerschliß."

    In den Lagern und Antifa-Schulen, in denen die politischen Kader für den Aufbau in der sowjetischen Besatzungszone geschmiedet und gestählt wurden, gab es immerhin etwas zu essen und zu lesen. Die Schulungsoffiziere, vor allem der legendäre Nikolai Franzewitsch Janzen, argumentierten psychologisch geschickt. Das Schuldgefühl, die Sowjetunion räuberisch aggressiv überfallen zu haben und indirekt für die Menschenvernichtung, für Ausschwitz verantwortlich zu sein, tat ein übriges. Erstmals werden jetzt aus russischen Archiven die als streng geheim eingestuften Beurteilungen des Kriegsgefangenen veröffentlicht: "Fühmann ist ein sehr begabter Mensch, der sich das Schulprogramm sehr gut angeeignet hat. In politischer Hinsicht hat er sich stark entwickelt. Am Anfang war er geprägt von halbfaschistischen und kleinbürgerlichen Vorurteilen. Er war voll von deutschem pseudointelligenten Hochmut und Individualismus und mißachtete das Kollektiv. Unter dem Einfluß der intensiven Beschäftigung mit dem Lehrgangsprogramm und der politischen Erziehungsarbeit der Gruppe hat Fühmann diese Eigenschaften abgelegt und gewann größere Autorität im Kollektiv, entwickelte sich zu einem klugen Antifaschisten, der die Grundlagen des Marxismus-Leninismus gut beherrscht, einige theoretische Grundwerke durchstudiert hat und ständig bereit zum Kampf um das neue demokratische Deutschland ist."

    In der Abschlußbeurteilung wurde der zum Oberassistenten Aufgestiegene von der Kommandantur für leitende Tätigkeiten zum Beispiel in der zentralen SED-Presse empfohlen. Gern wäre der zu Weihnachten 1949 Entlassene der SED beigetreten, aber er wurde zur NDPD abkommandiert. Er mußte Mitglied der Nationaldemokratischen Partei werden, jener Organisation, die ehemalige Nationalsozialisten, Offiziere, Soldaten, Mittelständler an die DDR binden sollte. Vorsitzender war der Altkommunist Lothar Bolz, der lange als Außenminister der DDR fungierte. lm Führungspersonal gab es viele umerzogene Militärs, auch Mitglieder des von Stalin gegründeten "Nationalkomitees Freies Deutschland" wie General Vinzenz Müller, der in gleicher Eigenschaft die Volksarmee der DDR aufbaute und dessen persönlicher Referent Fühmann zunächst wurde. Erstmalig kommen jetzt auch Dokumente aus der achtjährigen Tätigkeit Fühmanns als hauptamtlicher Funktionär der NDPD ans Licht. Zuständig für Kulturpolitik, gehörte er dem Parteivorstand an und schrieb zahlreiche Artikel für die "Nationalzeitung" und andere Blätter dieser Partei. 1956, nach dem XX. Parteitag der sowjetischen Kommunisten mit den Enthüllungen über Stalins "Personenkult" eckte Fühmann mit einer Reihe interner Vorschläge an, zum Beispiel mit dem Projekt einer im "Verlag der Nation" zu publizierenden "Biblioden" bekannten "bürgerlichen" Germanisten Joachim Müller zu disziplinieren. Auch diese als "vertrauliche Parteisache" eingestuften Briefe an Müller lassen sich nachlesen. Wenn er den Professor ermahnt, hat man das Gefühl, er rufe sich selbst zur Ordnung: "Ich war zum Beispiel seit längerer Zeit damit beschäftigt, einige Gedanken zum Werk Kafkas, aus dem ich für meine Prosa-Arbeiten manchen Gewinn gezogen habe, zu Papier zu bringen. Ich habe diese begonnene Arbeit weggelegt, weil ich mir sagte, jetzt kommt es nicht so sehr darauf an, Kafka gegen manche Mißdeutungen zu verteidigen, sondern jetzt gilt es, Wichtigeres zu verteidigen, und für uns ist heute das Werk sagen wir Hans Marchwitzas mit allen seinen Formschwächen wichtiger als das Werk Kafkas."

    Noch immer wird, wenn der Druck stärker wird, der Arbeiterschriftsteller gegen den "Dekadenzliteraten" ausgespielt. Im Juli 1958 gibt Fühmann vor dem Hauptausschuß seiner Partei wegen seiner vielen Schwankungen und Fehler eine öffentliche Selbstkritik mit den üblichen rituellen Floskeln ab. Er habe eine Theorie vertreten, die er jetzt nicht mehr habe, deren Konsequenz jedoch gewesen wäre, den Personenkult nicht als etwas dem Sozialismus Fremdes oder Feindliches zu verstehen, sondern als dessen Bestandteil. Hochmütig und überheblich sei er gewesen, aber nun werde er alles wiedergutmachen. "Glauben Sie mir, es ist mir besonders bitter, erlebt zu haben und auch zu hören, welche Schritte unsere Partei nach vorn gemacht hat und in dieser Situation zu sitzen, wo man dem Parteitag einen Knüppel zwischen die Beine geworfen hat. Liebe Parteifreunde, ich verstehe völlig, daß die Frage des Vertrauens aufgeworfen werden mußte in einer Stellung, wo ich ein sehr großes ... und so weiter und so fort. Aber die Selbstkritik nützt nicht mehr, er fliegt aus seinen Ämtern und aus dem Parteivorstand. Auch die Staatssicherheit ist unzufrieden. Fühmann hatte sich im Oktober 1954 als "geheimer Informator" mit dem Decknamen "Salomon" zur Mitarbeit verpflichtet. Seine Berichte waren jedoch unergiebig und vage. 1959 wollte ihn die für Blockparteien zuständige Hauptabteilung an die für Kunst und Kultur verantwortlichen Überwacher übergeben, aber die winkten ab. Der Unzuverlässige war längst selbst Beobachtungsobjekt geworden. 1978 läßt die Stasi überprüfen, ob Fühmann nicht aus der Wehrmachtszeit Verbrechen gegen die Menschlichkeit angehängt werden könnten, und 1982 berichtet Kurt Löffler, Staatssekretär im Kulturministerium und Stasi-Informant, aus Anlaß von Fühmanns Engagement für Behinderte, der Autor verhalte sich selber wie ein Geistesschwacher und werde früher oder später in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Erst im April, viele Jahre nach seinem Tod, wird die operative Bearbeitung abgeschlossen, da "Filou" (dies der Stasi-Name für den Staatsfeind) am 8.7.84 verstorben sei. Offenbar sicherte ihm seine "Ammen- und Mentorenrolle" gegenüber jungen aufrührerischen Autoren wie Wolfgang Hilbig und Uwe Kolbe die unliebsame Aufmerksamkeit noch über das Grab hinaus.

    Die Dokumente verdeutlichen, daß der Weg zu diesem selbstbestimmten Verhalten außerordentlich langwierig war. In dem 1973 erschienenen Buch über eine Ungarn-Reise, "22 Tage oder die Hälfte des Lebens", dem Werk, mit dem der Autor seine literarische Existenz am liebsten erst beginnen ließe, kann man nachlesen, wie schwer es ihm wurde, die Entscheidung zu annulieren als "willenloses Werkzeug" der neuen guten Ordnung zu wirken.

    Auch nach dem Ende seiner Karriere als Parteifunktionär blieb Fühmann noch für fast anderthalb Jahrzehnte Mitglied der NDPD. Er rechtfertigte 1961 den Mauerbau; es sei gut, daß sozialistische Panzer am Brandenburger Tor stünden, denn er kenne den Unterschied zwischen roten und braunen Panzern, obwohl beide aus Stahl gebaut und mit Kanonen bestückt seien.

    1968, als die sowjetischen Panzer den Prager Frühling zerstörten, war Fühmann zu Rechtfertigungen dieser Art nicht mehr bereit, aber er geriet in der kritischen Situation, wie er später formulierte, auf den "schwarzen Weg des Alkoholismus". Die Metaphern vom "weißen Magier" und dem "süßen Rauschgift zerbrannter Saaten" wird oft zitiert. Sie entstammt dem berühmten Essay über Georg Trakl und sich selbst. Das biographisch-autobiographische Werk wird unter den Titeln "Vor Feuerschlünden" und "Der Sturz des Engels" bibliographisch registriert. Anderenorts ließ Fühmann durchblicken, er habe sich damals im Endstadium des Deliriums befunden. Über diese und andere Lebenskrisen kann der vorliegende Band im einzelnen noch keine Auskunft geben. Der Autor hat vor allem für die Tagebücher testamentarisch eine Sperre von 20 Jahren verhängt. Nach 2004 wird man mehr über Verdrängtes und Verschwiegenes erfahren können. Bei den Briefen haben die Erben großzügiger entscheiden können, denn da es die DDR nicht mehr gibt, entfällt der Schutz vor möglicher Verfolgung, an die Fühmann vor allem gedacht haben mag. So wird die verdienstvolle Briefauswahl, die Hans Jürgen Schmitt 1994 herausgab, in dem vorliegenden Band durch weitere unveröffentlichte Briefe ergänzt. Denn Fühmann war unermüdlich, allen Leuten, Kindern wie erwachsenen Lesern, aber auch unbelehrbaren Funktionären, zu erklären, worauf es ihm ankam.Trotz der verschlungenen Wege und Irrwege, trotz des jahrzehntelangen Zick-Zack-Kurses war Franz Fühmann ein geradliniger, aufrichtiger, zuweilen sicher auch naiver Zeitgenosse, der es sich in schwieriger Zeit nicht leicht machte. Seine kommunikative Kraft wirkt noch in diesem schönen informativen Buch nach.