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Bischof Franz-Josef Bode
„Franziskus bleibt hinter den Erwartungen zurück“

Bischof Franz-Josef Bode zeigt sich von Papst Franziskus ernüchtert. „Ich habe den Eindruck, dass sich Franziskus im Zusammenspiel mit der Kurie und mit einem Apparat, der Jahrhunderte eingespielt ist, sehr schwer tut", sagte Bode im Deutschlandfunk.

Franz-Josef Bode im Gespräch mit Christiane Florin |
Bischof Franz-Josef Bode spricht bei einer Pressekonferenz über einen Zwischenbericht der Universität Osnabrück zu sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück.
Der Osnabrücker Bischof Bode Bode setzt sich auf dem Synodalen Weg für Veränderungen ein, er leitet das Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
„Ich bin ernüchtert, das muss ich sagen. Die Schriften im Anfang, die waren ja ganz großartig, 'Evangelii gaudium' und die anderen Schriften, 'Laudato si' sind hoch anerkannt worden. Es bleibt insgesamt hinter den Erwartungen zurück, welche geweckt worden sind“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Franz-Josef Bode, im Interview der Woche im Deutschlandfunk. „Ich habe den Eindruck, dass Franziskus sich im Zusammenspiel mit der Kurie und mit einem Apparat, der Jahrhunderte eingespielt ist, sehr schwer tut.“
Beim Besuch der Deutschen Bischöfe im Vatikan vor einigen Wochen habe es „deutliche Kritik“ vom Papst und einigen Kurienkardinälen am Synodalen Weg gegeben, so Bode. Er glaube dennoch, dass sich die römisch-katholische Kirche institutionell verändere: „Das ist ganz unabdingbar, weil man die Dinge nicht in die Tube zurückdrücken kann, wie sie jetzt ausgesprochen worden sind.“ 
Bode setzt sich auf dem Synodalen Weg für Veränderungen ein, er leitet das Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“. Auf die Frage, ob er Feminist sei, antwortete er: „Ich bin sehr dafür, dass es eine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gibt. Dafür muss man manchmal feministisch sein, weil die Frauen bisher und immer noch nicht gleichberechtigt in diesen Fragen sind, und wenn es bedeutet, dass ich mich sehr für Frauen einsetze, dann würde ich dieses Wort akzeptieren.“

„Leute aus dem Innersten der Kirche treten aus“

Der Bischof von Osnabrück rechnet damit, dass auch in seinem Bistum die Zahl der Kirchenaustritte weiter steigt. „In unserem Bistum sind voriges Jahr 6.000 Menschen ausgetreten, dieses Jahr werden es sicher fast 10.000 sein“, sagte er. Ihn treibe die Frage am meisten um, was er persönlich dazu beigetragen habe, dass Menschen die Kirche, „zumindest die Körperschaft öffentlichen Rechts“, verlassen. „Ich denke, dass ich persönlich sicher auch dazu beigetragen habe.“ Er glaube aber, dass es „weithin die Gesamtverhältnisse seien, in denen die Kirche stehe. „Was am schwierigsten ist, dass Leute aus dem Innersten der Kirche austreten“, so Bode. Er bemühe sich, zu den ehemaligen Mitgliedern Kontakt zu halten. 
Gegen Franz-Josef Bode hat Anfang Dezember dieses Jahres der Betroffenenrat Nord – Missbrauchsbetroffene der Bistümer Osnabrück, Hildesheim und Hamburg – eine kirchenrechtliche Anzeige erstattet. Unter anderem, weil er sexualisierte Gewalt als Beziehung verharmlost haben soll. Dazu sagte er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk:
„Es war ein Ausdruck des Beschuldigten, dass er das damals Liebesbeziehung sogar genannt hat. Das ist wirklich sträflicherweise, muss ich sagen, in den Akten geblieben, diese Bezeichnung. Ich selber habe das Wort für diesen Vorgang eigentlich nicht gebraucht, sondern höchstens in Zitation dieser Schreiben.“ Es sei ihm klar, dass dieses Wort völlig falsch sei. Grundsätzlich gebe es die Versuchung, die „Väterlichkeit des Bischofs gegenüber dem Beschuldigten mehr walten zu lassen als vielleicht das Gespür für das, was die Betroffenen erleiden könnten“, sagte Bode.

„Habe im Tiefsten mit Rücktritt gerungen“

Er habe „im Tiefsten“ mit sich gerungen, ob er seinen Rücktritt anbieten solle, sich dann aber entschieden, im Amt zu bleiben: „Ich habe jetzt bei dieser Gelegenheit wirklich im Tiefsten überlegt, ob ich gehe oder bleibe, und ich habe gespürt, dass meine Gremien mir sehr viel Rückhalt geben und mit mir gemeinsam noch Veränderungen nach vorne gehen wollen. Und  deswegen habe ich mich dann entschieden, zu bleiben, was ein nicht einfacher Weg ist, weil er jetzt immer noch infrage steht, auch durch diese Anzeige etwa“, sagte der Bischof.  
Franz-Josef Bode ist seit 1995 Bischof von Osnabrück und damit der Dienstälteste in der Deutschen Bischofskonferenz.

Das Interview zum Nachlesen:

Christiane Florin: Ich begrüße zu diesem Interview der Woche am 1. Weihnachtstag Franz-Josef Bode. Er ist Bischof von Osnabrück und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Herr Bode, Sie waren im November zusammen mit allen anderen deutschen Bischöfen in Rom zu einem Ad-limina-Besuch, wie das heißt, also einem Besuch an den Schwellen der Gräber der Apostel Petrus und Paulus. Sehen Sie sich als Nachfolger der Apostel?
Franz-Josef Bode: Ja, ich habe mich immer so verstanden. Ich habe mich nur immer gefragt, welcher mein Vorgänger ist. Die Apostel sind so verschieden.
Florin: Heißt das auch, Sie sehen sich als jemanden, der eine besondere Berufung hat?
Bode: Ja, Jesus hat einen Kreis um sich geschart, der besonderen Auftrag und Sendung bekommen hat, und in dieser Nachfolge verstehe ich mich auch.
Florin: Es gibt dieses Bild der Hirten und der Schafe. Sie sind formal ein Hirte. Waren Sie auch mal ein Schaf?
Bode: Ich war ein Schaf und bin auch noch ein Schaf. Ich habe einen Stock aus der Hirtenarbeit, also von einer evangelischen Schäfermeisterin aus dem Siegerland, und oben an diesem Hirtenstock aus der Arbeit der Hirten ist ein Lamm, damit mir immer bewusst bleibt, dass ich selber Schaf und Lamm bin und dass der Hirte sich selber ja zum Lamm gemacht hat. Das ist eine Einheit, Schaf sein und Hirte sein. Das darf man, glaube ich, nicht vergessen, diese Einheit.

"Irritationen" in Rom über den Synodalen Weg

Florin: Die toten Apostel haben vermutlich in Rom nichts gesagt, aber Sie haben mit dem Papst gesprochen, und es haben Kurienkardinäle mit Ihnen gesprochen. Vorsichtig ausgedrückt gab es vom Papst und von diesen Kardinälen Kritik am Reformvorhaben in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, am Synodalen Weg. Was haben Sie da gehört? Was wurde Ihnen gesagt?
Bode: Ja, es wurde deutlich Kritik geübt, vor allen Dingen von den Kardinälen, von der Glaubenskongregation und der Bischofskongregation. Ich denke, dass einmal die Form infrage steht, ob die Bischöfe sich vielleicht nicht an ihrer eigenen Vollmacht zu viel begeben, wenn sie auf Augenhöhe mit den Laien gehen. Dann die inhaltlichen Fragen, dass es um die christliche Anthropologie geht, also die ganze Genderfrage, die Frage nach der Weihe der Frauen ist ein sehr wichtiges Thema und auch, wie der Synodale Weg weitergeht, der Synodalrat, dass man diese Weise des Miteinanders, was man ja oft in Rom auch den „sogenannten Synodalen Weg“ nennt, dass das auch noch verstetigt werden soll, das sind Irritationen in Rom, die man gespürt hat.
Florin: Jetzt sagen Sie Irritation. War es nicht eine Klatsche aus Rom für den Synodalen Weg?
Bode: Es war eine deutliche Kritik, das kann man lesen, denn es war ja immerhin sogar ein Moratorium gefordert, also das zu unterbrechen, nachzudenken. Das haben wir ja abgelehnt. Dadurch ist der Vortrag von den Kardinälen veröffentlicht worden, und da kann man das lesen, dass das schon sehr deutlich ist. Aber es liegt ja noch eine Bischofssynode vor uns, eine Weltsynode. Rom ist nicht gleichzusetzen mit der Weltkirche, und das, glaube ich, muss man deutlich sehen.
Florin: Aber das heißt doch, dass nichts von dem, was in den Papieren des Synodalen Weges steht - Sie haben eben das Thema Frauen, Gleichberechtigung zu Ämtern, angesprochen, es gibt das Thema Machtkontrolle. Es gibt das Thema priesterliche Lebensform, vermutlich ja auch etwas zum Thema Zölibat - also nichts von dem wird von der Leitung der Kirche in Rom gutgeheißen, keine dieser Änderungen. Wie wollen Sie da den Synodalen Weg mit Anstand zu Ende bringen?
Bode: Ja, es wird zunächst infrage gestellt, natürlich, das war auch zu erwarten, denn wir wissen ja, dass wir bestimmte Fragen hier vor Ort nicht lösen können. Das wussten wir, dass wir diese Fragen nach Rom geben und dass sie nicht ohne Weiteres angenommen werden, glaube ich, kann man auch erwarten. Dennoch ist es ja jetzt zum ersten Mal überhaupt in eine breitere Diskussion hineingegangen, und ich sehe das eher als einen Anfang eines Gespräches als das Ende eines Gespräches.

"Ich bin sehr dafür, dass es eine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gibt"

Florin: Ich nehme jetzt mal das Thema Frauen, weil Sie einer der Vorsitzenden dieser Frauengruppe sind, zusammen mit der Theologin Dorothea Sattler. Sie haben da auf der letzten Vollversammlung des Synodalen Weges ein Papier verabschiedet, das ist aber nur ein Prüfauftrag, den Sie da nach Rom geben. Wie lange wollen Sie Frauen noch prüfen?
Bode: Ich weiß, dass die Geduld sehr, sehr am Ende ist. Ich habe das in Rom deutlich gesagt beim Papst, als ich vor Kurzem bei ihm selbst war, im Februar, und habe das auch jetzt noch mal gesagt, dass wir die gleichen Fragen schon gestellt haben, als ich Priester wurde vor 50 Jahren, und dass deshalb die Geduld am Ende ist und man nicht mehr von Ungeduld oder so sprechen kann, Druck, und der Druck entsteht durch diese lange Geschichte. Ich denke aber, dass es sich trotzdem lohnt, die Argumentation über das, was Johannes Paul II. zu der Frauenfrage gesagt hat, weiterhin offenzuhalten und das in die Weltkirche einzubringen. Ich habe den Eindruck, dass auch in der Frage des Diakonats der Frau, weil das – man kann das sehen bei der Vorbereitung der Weltsynode, doch breit in der Welt gefordert wird und erwartet wird, dass diese Dinge sich lohnen, weiter da dran zu bleiben, selbst wenn das jetzt so deutlich ausgesprochen ist.
Florin: Sind Sie Feminist?
Bode: Das ist ein einseitiges Wort. Ich bin sehr dafür, dass es eine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gibt. Dafür muss man manchmal feministisch sein, weil die Frauen bisher und immer noch nicht gleichberechtigt in diesen Fragen sind, und wenn es bedeutet, dass ich mich sehr für Frauen einsetze, dann würde ich dieses Wort akzeptieren.
Florin: Die Gleichberechtigung wird aber nicht kommen. Der Papst hat ja kürzlich noch mal gesagt, es gebe ein marianisches Prinzip, das sei eben für die Frauen, und ein petrinisches Prinzip, das sei für die Männer. Er hat nach der Amazonas-Synode auch das noch mal geschrieben, dass es da keine Gleichberechtigung im weltlichen Sinne geben wird. Dann sagen Sie denn, das ist nicht mehr meine Kirche, die Frauen diskriminiert?
Bode: Solange wir noch im Gespräch bleiben, solange die Weltsynoden sich da noch nicht mit mehr auseinandergesetzt haben, bleibe ich dabei, dass wir einen Weg in die Zukunft finden können. Vielleicht erlebe ich das nicht mehr, dass Frauen geweiht werden, vielleicht zum Diakon, aber ich möchte diese Frage nach vorne offen halten, und solange das nicht vollkommen abgebrochen wird, auch das Gespräch abgebrochen wird, ist es immer noch meine Kirche, zumal diese Frage nicht die einzige ist natürlich, die mich an Kirche beschäftigt, sondern es gibt eine breite Pastoral, für die ich mich immer eingesetzt habe, wo Frauen und Männer besser zusammenwirken.

"Natürlich gibt es eine Prärogative der Bischöfe"

Florin: Sie haben vorhin gesagt, der Synodale Weg, also dieses Gespräch zwischen Bischöfen und Laiinnen und Laien in Deutschland, das sei ein Gespräch auf Augenhöhe. Ist das so, wenn Bischöfe eine eigene Mehrheit haben und, wie man auch bei der letzten Vollversammlung gesehen hat, Beschlüsse kippen können, die die Mehrheit der Synodalen gefasst hat?
Bode: Es ist auf Augenhöhe soweit wie eben möglich. Natürlich gibt es eine Prärogative der Bischöfe, wenn ich das sagen darf, aus ihrem Amt, aus ihrem Dienst eben an der Einheit.
Florin: Das heißt aber, die Bischöfe wollten diese Zweidrittelmehrheit?
Bode: Wir haben damals das mit dem ZDK (Zentralkomitee der Deutschen Katholiken) gemeinsam besprochen, weil letztlich die Entscheidung in der – wir haben immer noch eine hierarchische Kirche auch – die Bischöfe das entscheiden müssen und dafür ja auch geradestehen müssen, und deshalb ist das eingeführt. Wir wollen natürlich möglichst zu Ergebnissen kommen, die von allen breit getragen werden. Deswegen ist ja die Zweidrittelmehrheit eingeführt worden. Ich denke, nur so würde man ja auch das nach Rom geben können. Durch die Entscheidung der Bischöfe wird es überhaupt erst nach Rom hingegeben.
Florin: Aber wie glaubwürdig ist die Bekundung, auf Macht verzichten zu wollen, das haben die Bischöfe ja bekundet, wenn man gleichzeitig sagt, naja, aber unsere Stimme muss schon mehr wert sein als die der Nicht-Geweihten, der Laien?
Bode: Das verstehe ich. Wir wollen natürlich möglichst gemeinsam zur Entscheidung kommen. Das ist ja das Synodale Prinzip, dass eben diejenigen, denen diese geistliche Entscheidung obliegt, dass sie möglichst gemeinsam mit allen, mit den Getauften und Gefirmten und Beauftragten, Gesendeten, mit allen, die im Volk Gottes sich einbringen, dass sie möglichst gemeinsam diesen Weg gehen. Aber am Ende steht eben doch eine Entscheidung. Das ist im Bistum der Bischof, und das ist auch in der Weltkirche der Papst. An diesem, mögliche ich mal sagen, Prinzip der Kirche kommen wir nicht vorbei, weil wir auch eine hierarchische Kirche sind.

Papst Franziskus bleibt hinter Erwartungen zurück

Florin: Herr Bode, Sie haben gerade den Papst erwähnt. Ich kann mich noch an ein Gespräch erinnern, das wir vor ungefähr zehn Jahren geführt haben. Damals war Franziskus gerade im Amt, und es waren große Hoffnungen mit ihm verbunden. Auch Sie persönlich hatten große Hoffnungen. Haben Sie diese Hoffnungen immer noch, dass dieser Papst etwas ändern wird, nachdem er in fast zehn Jahren nichts geändert hat?
Bode: Wir sind sehr viel nüchterner geworden. Ich glaube, dass Franziskus von diesem Impetus, den er damals gesetzt hat, und von dieser Weise, sehr pastoral zu denken, immer noch ganz viel hat. Das habe ich auch im persönlichen Gespräch mit ihm gemerkt. Ich habe aber den Eindruck, dass er im Zusammenspiel mit der Kurie und mit einem Apparat, der, wenn ich das mal so sagen darf, Jahrhunderte eingespielt ist, sich da sehr schwertut. Vieles wird, glaube ich, bei weitem nicht so eingestielt, wie man das erwarten konnte. Franziskus hat natürlich gewagt, jetzt den Synodalen Weg, also ich meine die Weltbischofssynode, sogar noch zu verlängern, das synodale Prinzip zu erweitern. Es ist immer noch der Versuch, glaube ich, mit möglichst vielen in Einheit mit der gesamten Weltkirche einen Weg in die Zukunft zu gehen. Diesen Willen hat er.
Papst Franziskus zelebriert eine Messe
Bischof Bode ist "ernüchtert" von Papst Franziskus (picture alliance / Stefano Spaziani / Stefano Spaziani)
Florin: Sind Sie von Papst Franziskus enttäuscht?
Bode: Ich bin ernüchtert, das muss ich sagen. Die Schriften im Anfang, die waren ja ganz großartig, „Evangelii gaudium“ und die anderen Schriften, „Laudato si“ sind ja hoch anerkannt worden. Es bleibt insgesamt hinter den Erwartungen zurück, welche geweckt worden sind.

"Ich bin dem Beschuldigten mehr gefolgt als den Betroffenen"

Florin: Wir wissen, dass es in der römisch-katholischen Kirche weltweit massenhaften sexuellen Missbrauch gegeben hat, massenhaft sexualisierte Gewalt, massenhafte Vertuschung. Wir hören jetzt aus Rom, dass sich institutionell an dieser Kirche nichts ändern soll. Noch einmal die Frage: Wie kann man Bischof in einer Kirche sein, die aus diesen Verbrechen keinerlei systemische Schlüsse ziehen will?
Bode: Ich denke doch, dass die Kirche systemische Schlüsse ziehen will. Sie sagt ja nicht, dass die Institution immer genauso bleiben muss, wie sie ist, sondern dass es sehr stark um eine Evangelisierung geht. Die Institution steht nur im Dienst der Glaubensverwaltung, und insofern denke ich: Je mehr aus der Weltkirche eingebracht wird, auch in der Auseinandersetzung mit dem Missbrauch, je mehr diese Themen, die wir angesprochen haben – Machtmissbrauch, Zusammenspiel von Männern und Frauen, Aufarbeitung –,  desto mehr wird sich auch die Institution verändern. Das ist ganz unabdingbar, weil man die Dinge nicht in die Tube zurückdrücken kann, wie sie jetzt ausgesprochen worden sind.
Florin: Gegen Sie liegt seit Anfang Dezember eine Anzeige vor, eine kirchenrechtliche Anzeige, vom Betroffenenbeirat der Nordbistümer, also Missbrauchsbetroffene der Bistümer Osnabrück, Hildesheim und Hamburg.
Bode: Ja.
Florin: Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, dass Sie sexualisierte Gewalt als Beziehung verharmlost haben, und zwar noch in jüngerer Zeit. Warum haben Sie das Beziehung genannt?
Bode: Es war ein Ausdruck des Beschuldigten, dass er das damals Liebesbeziehung sogar genannt hat. Das ist wirklich sträflicherweise, muss ich sagen, in den Akten geblieben, diese Bezeichnung. Ich selber habe das Wort für diesen Vorgang eigentlich nicht gebraucht, sondern höchstens in Zitation dieser Schreiben. Es ist mir völlig klar, dass dieses Wort völlig falsch für diese Beziehung ist. Ich habe auch immer wieder deutlich gemacht, dass ich da Fehler gemacht habe, auch in der Einschätzung. Ich bin dem Beschuldigten, so muss man sagen, mehr gefolgt als den Betroffenen. Das ist das, was jetzt eigentlich die große Schwierigkeit ausmacht.
Florin: Im September wurde ein Zwischengutachten vorgestellt für Osnabrück. Auch dieses Gutachten belastet Sie. Es wirft Ihnen genau das vor, was Sie vorhin gesagt haben, sich nämlich den Tätern näher gefühlt zu haben als den Betroffenen.
Bode: Ja.
Florin: Sie haben daraufhin erklärt, Sie seien blind gewesen für das Leid der Betroffenen. Wie kann das sein? Sie sind Seelsorger, Sie sind Chef der Pastoralkommission, der Seelsorgekommission. Ich sage es mal umgekehrt: Ich nehme Ihnen das mit dem Blindsein nicht ab.
Bode: Das Wort blind ist natürlich aus dem ersten Affekt. Wir haben aber tatsächlich, dabei würde ich auch bleiben, nicht wahrgenommen manchmal oder nur schrittweise wahrgenommen. Ich denke, dass ich das auch im Laufe der Zeit mehr und mehr gelernt habe, was Missbrauch eigentlich für das ganze Leben von Menschen bedeutet. Aus einigen Geschichten, die ich dann in vielen Gesprächen mit Betroffenen erfahren habe, ist mir das auch deutlicher geworden. Und trotzdem ist diese Versuchung, die Väterlichkeit des Bischofs, ich sage es jetzt mal etwas bildlich, gegenüber dem Beschuldigten mehr walten zu lassen als vielleicht das Gespür für das, was die Betroffenen erleiden könnten.

"Ich habe im Tiefsten überlegt, ob ich gehe oder bleibe"

Florin: Aber Sie sagen immer, Sie sind erschüttert. Alle Bischöfe sind erschüttert, wenn ein Gutachten präsentiert wird, aber alle sind noch im Amt, also alle kleben offenbar sehr erschüttert noch an ihrem Sessel.
Bode: Ja, zunächst einmal bin ich erschüttert, dass das eben doch in diesen 27 Jahren, das ist eine sehr, sehr lange Zeit...
Florin: In der Sie Bischof sind, meinen Sie?
Bode: In der ich Bischof bin, also ich natürlich einen Weg da auch genommen habe. Ich habe jetzt bei dieser Gelegenheit wirklich im Tiefsten überlegt, ob ich gehe oder bleibe, und ich habe gespürt eben, dass meine Gremien mir sehr viel Rückhalt geben und mit mir gemeinsam noch Veränderungen nach vorne gehen wollen. Und deswegen habe ich mich dann entschieden, zu bleiben, was ein nicht einfacher Weg ist, weil er jetzt immer noch infrage steht, auch durch diese Anzeige etwa. Ich selber habe für die nächste Zeit schon einige Termine mit Betroffenen abgemacht, damit wir diesen Weg, den wir begonnen haben, mit einem guten Schutzkonzept schon jetzt drei Jahre lang, dass wir diesen Weg in diesen Jahren, die ich als Bischof hier unter normalen Gesichtspunkten noch habe, auch dafür nutze, das zu Ende zu führen.
Florin: Sie sind 1995 Bischof von Osnabrück geworden. 2010, als Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche breit in der deutschen Öffentlichkeit berichtet und diskutiert wurde, waren Sie schon 15 Jahre im Amt. Niemand, auch Sie nicht, hat 2010 gesagt: Es ist ein Massenphänomen. Sie haben alle gesagt, es seien Einzelfälle, „bedauerliche Einzelfälle“, war damals die Wendung. Warum haben Sie gelogen 2010?
Bode: Ich habe es als bedauerliche Einzelfälle angesehen, weil es bis dahin ja nur wirklich Einzelfälle auch in unserem Bistum waren. Ich habe diese systemischen Hintergründe nicht sofort erkannt. Auch die Zahl ist mir nicht so deutlich gewesen. Ich war ja schon 2010 zumindest insofern davon erschüttert, dass wir diesen Bußakt gemacht haben, von dem jetzt gesagt wird, dass er ziemlich folgenlos war. Das würde ich nicht sagen. Wir haben damals sofort auch unabhängige Ansprechpartner und -partnerinnen eingesetzt. Die gibt es also über 20 Jahre schon bei uns. Es sind nicht genug Schritte getan worden, ohne Zweifel. Ich habe es tatsächlich erst als Einzelfälle angesehen, und dieses gesamte Zueinander und diese ganze Verquickung in systemische Fragen, das muss ich sagen, ist nicht genug erkannt worden.

Studie: Jedes fünfte Kirchenmitglied will aus der Kirche austreten

Florin: Vor einigen Tagen ist ein Auszug aus der Bertelsmann Religionsmonitoring-Studie erschienen. Da steht das drin, was man eigentlich schon wusste oder ahnte. Es gibt einen großen Anteil an Mitgliedern der römisch-katholischen Kirche, die entschieden sind, auszutreten oder zumindest mit dem Gedanken spielen, auszutreten. Von 20 Prozent ist da die Rede. Welche Mitverantwortung geben Sie sich an solchen Zahlen?
Bode: Das ist das, was mich am meisten innerlich umtreibt: Was habe ich dazu beigetragen, dass Menschen die Kirche, also zumindest die Körperschaft öffentlichen Rechs, verlassen? Ich denke, dass ich persönlich, gerade jetzt auch durch das, was am Ende durch die Studie angesprochen worden ist, sicher auch dazu beigetragen habe. Ich glaube aber, dass es weithin die Gesamtverhältnisse sind, in denen wir stehen. Es ist eine Mischung, es ist ein Rückgang von Glauben in diesem konkreten Sinn, der institutionell gebunden ist ohnehin. Es gibt natürlich ganz konkrete Anlässe. Was am schwierigsten ist, dass Leute aus dem Innersten der Kirche austreten, mit denen ich möglichst Kontakt suche. Ich habe auch mit vielen gesprochen. Ich meine, dass wir uns in der Pastoral mit diesen Leuten, die noch irgendwie einen Bezug zum Glauben halten wollen, also zu einer Art von Kirchlichkeit, die offener ist, dass wir da dranbleiben müssen, selbst wenn das nur wenige sind, die wir dann erreichen. Ich persönlich habe zu einigen Kontakt und setze mich sehr dafür ein, dass wir auch im Bistum denen, die schreiben oder so, nachgehen.
Ich habe bei meiner Visitation ein Gespräch mit Leuten gehabt, die ausgetreten sind aus sehr unterschiedlicher Motivation. Ich habe sie gefragt, was ich denn tun solle jetzt in dieser Lage. „Solche Gespräche führen“, wurde dann gesagt. Das sind natürlich alles nur Versuche. Wir sind damit noch nicht so klar, mit diesen Massen, die es jetzt sind. In unserem Bistum sind voriges 6.000 Menschen ausgetreten, dieses Jahr werden es sicher fast 10.000 sein. Dazu müssen wir den Draht halten, weil ich der Meinung bin, dass die Grenzen von Kirche nicht nur daran hängen, wie die Körperschaft öffentlichen Rechts gestaltet ist.
Florin: Jetzt an Weihnachten wird, das ist ja die Weihnachtsgeschichte, wieder vom Kind in der Krippe erzählt und auch darüber gepredigt. Wie kann es sein, dass die Kinder, die nicht gerade Jesus sind, den Verantwortlichen so egal waren?
Bode: Ich würde nicht sagen, dass die Kinder uns egal waren. Ich bin ja selbst Jugendbischof gewesen. Ich glaube, dass die Sehnsucht auch in kirchlicher Bildung und in kirchlichen Schulen und Kindergärten ist, da sind ja in keinster Weise die Zahlen zurückgegangen, in der Beziehung auch dieser Kinder zu uns. Was wir, glaube ich, wirklich nicht wahrgenommen haben, ist, was da an Leid durch Kirche geschehen ist, durch das, was eben an Missbrauch da war. Das ist ein wirkliches Versagen, für das ich auch immer wieder persönlich um Vergebung gebeten habe. Gerade daran möchte ich ja arbeiten, dass wir mehr diese gesamte Situation von Familien, von solchen Erfahrungen auch wahrnehmen.
Florin: Als Sie 1995 Bischof von Osnabrück geworden sind, da waren Sie der jüngste Diözesan-Bischof. Inzwischen sind sie der Dienstälteste. Sehnen Sie sich manchmal in diese Zeit zurück, als die katholische Kirche noch eine unhinterfragte Autorität war, als das mit dem Missbrauch noch nicht so öffentlich bekannt war? War es damals schöner?
Bode: Sie war damals auch nicht unhinterfragt. Ich habe mich immerhin mit den Jugendverbänden sehr auseinandergesetzt. Es gab damals die ganze Frage einer Systemkirche, es gab einen Demokratieförderplan. Wir haben auch einen Brief über Sexualität gemacht. Also es gab eine große Auseinandersetzung. Ich komme aus den 68ern, wo ich Abitur gemacht habe. Da stand Kirche in vielfältiger Hinsicht ganz anders infrage, nicht jetzt in diesen Fragen des Missbrauchs. Das ist später gekommen. Insofern hat jede Zeit ihre Auseinandersetzungen.
Allerdings waren diese ersten Jahre hier im Bistum eben auch Aufbaujahre. Unser Bistum war ja geteilt, und ich musste die Trauerarbeit etwas mit bearbeiten, dass wir hier ein neues Bistum sozusagen anfingen, ein kleineres, überschaubares. Das hat mir natürlich sehr, sehr viel Kraft gegeben damals. Das gebe ich zu, aber ich bin heute sicher etwas angefochtener Bischof, aber ich würde trotzdem sagen, dass ich meinen Dienst trotz allem immer noch sehr gerne tue.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.