Franz Jung war vielleicht ein Genie, doch heute ist er ziemlich vergessen. Er arbeitete als Schriftsteller, Ökonom und Wirtschaftsjournalist, kämpfte in der Novemberrevolution und später gegen die Nazis. Er wurde verhaftet, kam aber wieder frei. Im Gefängnis hat er ein Buch mit dem Titel "Die Technik des Glücks" geschrieben, und so heißt auch eine Franz-Jung-Revue, die heute im HAU2 in Berlin Premiere hat.
Auf der Bühne gibt es Franz Jung gleich doppelt. Robert Stadlober spielt ihn, er ist Mitte 30, und auch Wolfgang Krause Zwieback, er ist Mitte 60 – zwei völlig verschiedene Typen also. Stadlober wirkt jung und wild, Zwieback mild und altersweise. Beide tragen altmodische Anzüge und spielen mit Papierschiffen. Franz Jung hat 1920 einen Fischdampfer gekapert und nach Murmansk entführt. Er war Kommunist, expressionistischer Schriftsteller und Wirtschaftsjournalist.
"Wer ist dieser Franz Jung?"
Für die Inszenierung zeichnen zwei Expertinnen verantwortlich: die Autorin Annett Gröschner und die Verlegerin Hanna Mittelstädt, die in der Edition Nautilus eine Franz-Jung-Werkausgabe herausgebracht hat. Sie haben ein Stück geschrieben, in dem Zitate und biografische Fakten mit Songs der Indie-Pop-Band "Die Sterne" gemixt werden. Annett Gröschner erklärt: "Wenn man das Leben von Franz Jung wirklich auf die Bühne bringen wollte in seiner Gesamtheit, dann würden wir zehn Stunden sitzen. Von daher haben wir uns entschlossen, das als Revue zu machen."
Der Torpedokäfer
Die Band sitzt hinten links, vorn ist Platz für die Schauspieler, die sich anrempeln, sich ins Wort fallen, oft aber auch nur hinter zwei Mikrofonständern stehen. Robert Stadlober sorgt dafür, dass es trotzdem nicht langweilig wird. Aus seinen Augen sprüht Energie und er spricht mit so viel Leidenschaft, dass man fast glauben könnte, Franz Jung selbst vor sich zu haben. Die Musik treibt das Geschehen voran.
Es gibt zwei Leitmotive: Ein Uhrenticken, das klar macht, mit welcher Geschwindigkeit Jung durch sein Leben gerast ist, und den Torpedokäfer. Der Torpedokäfer ist ein Tier, das Franz Jung erfunden hat, um sich selbst zu beschreiben. Er ist außen gepanzert, innen weich und sieht seine Bestimmung darin, mit voller Kraft gegen Wände zu fliegen. Er will sie aufsprengen, und wenn er nach einem missglückten Versuch verletzt am Boden liegt, rappelt er sich wieder auf, um es weiter zu versuchen.
Gegen die Wand
Die erste Wand, gegen die Franz Jung prallte, war die der bürgerlichen Existenz. Er wurde mit 23 Vater, kümmerte sich aber kaum um das Kind. Sein wirtschaftswissenschaftliches Studium schloss er zwar ab, doch nicht um einen Beruf zu ergreifen. Lieber verkehrte er in Künstlerkreisen. Jung hat insgesamt viermal geheiratet. Doch es gelang ihm nie, über längere Zeit eine Beziehung aufrecht zu erhalten.
Die nächste Wand war das Militär. Franz Jung meldete sich 1914 freiwillig, weil er glaubte, die Kriegsbegeisterung der Truppe von innen her untergraben zu können. Doch schon bald desertierte er und kam in Haft. Nach seiner Entlassung nahm er an der Novemberrevolution teil und landete wieder im Gefängnis.
Szene aus dem Stück: "Es ist ohne Übertreibung die Wahrheit. Ich habe mich später nie mehr so wohl gefühlt, wie im Gefängnis."
Denn im Gefängnis hatte er Zeit, um an literarischen Texten zu arbeiten – unter anderem am Buch "Die Technik des Glücks", das der Revue im Hebbel am Ufer den Titel gibt. Dass ausgerechnet er, der ewig Scheiternde, über Glück geschrieben hat, überrascht. Annett Gröschner erklärt: "Das Interessante an Franz Jungs 'Technik des Glücks' ist, dass man sie, wenn man sie liest, nicht so richtig fassen kann. Es gibt verschiedenste Momente, die auch im Stück auftauchen - also einfach diese Frage: Für wen ist Glück? Gibt es Glück ohne Kapital, ohne dass man etwas dafür bekommt? Also wie überhaupt Glück entsteht und wieder vergeht."
Ein melancholischer Abend
Und diese Fragen konnte Franz Jung auch nicht beantworten. Er ging als Kommunist in die Sowjetunion, um beim Wiederaufbau einer Zündholzfabrik zu helfen, und lieferte später in Deutschland hellsichtige Gesellschaftsanalysen – aber Glück hat er in seinem Leben selten gefunden.
Szene aus dem Stück: c"Der einzelne bleibt allein. Es ist bedauerlich, dass mir das immer erst vorexerziert werden muss, weil ich trotz aller Erfahrung anscheinend nicht daran glauben will."
Am Ende wirkt der Abend melancholisch – es geht nicht um Glück, sondern ums Wiederaufstehen nach Niederlagen. Franz Jung war Zeit seines Lebens ein Torpedokäfer.
Die Franz-Jung-Revue "Die Technik des Glücks" hat heute im Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU2) Premiere und läuft dort bis Samstag jeweils um 20 Uhr